| # taz.de -- Kampf gegen die Erderhitzung: Danke, China! | |
| > Die Volksrepublik lässt den Kampf gegen Erderhitzung gewinnbarer | |
| > erscheinen als je zuvor. Das versetzt fossile Staaten und Unternehmen in | |
| > Panik. | |
| Bild: Die Zukunft ist jetzt: Das CGN-Delingha-Solarkraftwerk in Haixi in der Pr… | |
| Die alte Klima-Weltordnung starb am 17. Oktober 2025. An diesem Tag stimmte | |
| die Schifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen IMO in London über | |
| einen CO₂-Preis für Schiffstreibstoffe ab. Der ist dringend nötig in einem | |
| Sektor, der für etwa drei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen | |
| verantwortlich ist und sich bislang nur zaghaft und nur lockere Klimaregeln | |
| gegeben hat. | |
| 63 Länder, darunter China, Brasilien, Großbritannien, Indien und die | |
| EU-Staaten, hatten im April einen entsprechenden Vorschlag unterstützt. | |
| Auch die großen Reedereien waren dafür, um das bislang fragmentierte | |
| Regelwerk zu vereinheitlichen. Gegen das Klimaabkommen waren die Öl-Staaten | |
| – und die USA. | |
| Donald Trump drohte mit Vergeltungsmaßnahmen, sollten die IMO-Länder die | |
| neuen Klimaregeln beschließen. Zölle, Visa-Einschränkungen, Einreiseverbote | |
| für individuelle Verhandler*innen – es mangelte nicht an Strafideen. | |
| Dann schlug Saudi-Arabien vor, die Abstimmung zu verschieben. 57 Länder | |
| stimmten für den Vorschlag, der einer Ablehnung gleichkommt, nur 49 | |
| stimmten dagegen. Trump war erfolgreich, der Schifffahrtsvertrag versenkt. | |
| Und mit ihm die Idee des Pariser Klimaabkommens, dass der Erderhitzung nur | |
| beizukommen ist, wenn alle zusammenarbeiten. | |
| Dieser IMO-Putsch hat eine neue Ära der Klimapolitik eingeleitet. Eine Ära | |
| der Konfrontation. | |
| Das Pariser Abkommen, das 2015 unter großem Jubel verabschiedet wurde, | |
| setzte auf Konsens. Die Staaten sollten regelmäßig nationale Klimaziele | |
| einreichen und sich gegenseitig unter Druck setzen, ihre Versprechen zu | |
| halten. Die Welt war damals noch auf einem apokalyptischen Pfad von 3,6 | |
| Grad Erderhitzung. Inzwischen bringen die weltweiten Klimaschutzmaßnahmen | |
| den Planeten auf nur mehr katastrophale 2,8 Grad. Und würden die Staaten | |
| ihre Klimaziele einhalten, liefe es auf 2,1 Grad hinaus. | |
| ## Wer Energie hat, hat die Macht … | |
| Schlimm genug: 2,8 oder 2,1 Grad bedeuten noch immer Millionen Tote und | |
| Milliardenschäden. Und die weltweiten CO₂-Emissionen steigen immer noch. | |
| Vor allem war das Paris-Abkommen aber nicht dafür ausgelegt, dass der | |
| zweitgrößte Emittent der Welt Klimaschutz nicht nur ignoriert – wie während | |
| Trumps erster Regierungszeit –, sondern aktiv angreift, wie in seiner | |
| zweiten. | |
| Ein Zeichen des Misserfolgs von Paris ist diese Attacke allerdings nicht. | |
| Vielmehr ist der globale Angriff auf Energiewende und Klimaschutz so | |
| heftig, weil das fossile Energiesystem sich ernsthaft bedroht sieht. | |
| Energie stand schon immer im Zentrum von Macht. Im Kalten Krieg | |
| disziplinierten die USA und die Sowjetunion ihre Verbündeten auch mithilfe | |
| ihrer gigantischen Öl-Reserven. Die Entspannungspolitik des deutschen | |
| Bundeskanzlers Willy Brandt wurde nicht zuletzt deswegen möglich, weil die | |
| Sowjetunion westdeutsche Ingenieur*innen, Kredite und Stahlrohre brauchte, | |
| um die Gas-Reserven in Sibirien anzuzapfen. | |
| Doch die Macht verschiebt sich mehr und mehr – nach China. 2024 ging in | |
| China viermal so viel Leistung aus Solaranlagen und sechsmal so viel aus | |
| Windrädern ans Netz wie in der EU: insgesamt 1.200 Gigawatt. | |
| Als die Internationale Energie-Agentur IEA 2021 berechnete, wie die Welt | |
| bis 2050 klimaneutral werden könnte, kam heraus, dass Wind- und Solarkraft | |
| weltweit bis 2030 auf eine Kapazität von 1.020 Gigawatt jährlich ausgebaut | |
| werden müssten. China war schon 2024 bei jährlichen 360 Gigawatt, der | |
| Großteil davon aus Solaranlagen. Eine weitere Verdreifachung scheint | |
| problemlos machbar: Der Ausbau der chinesischen Solarkraft hat sich schon | |
| von 2022 bis 2024 verdreifacht. | |
| Dieses Tempo lässt die Weltklimakonferenzen wie jene, die am 10. November | |
| im brasilianischen Belém beginnt, immer nebensächlicher wirken. Das Tempo | |
| des Klimaschutzes überholt das der Verhandlungen. Der chinesische | |
| Erneuerbaren-Turbo versetzt fossile Unternehmen und Staaten wie die | |
| Vereinigten Staaten von Amerika in Panik – und befeuert so die fossile | |
| Gegenoffensive. Erstmals verlieren die Fossilen nicht mehr nur den Kampf um | |
| Strategien, Pläne und Zukunftsvorstellungen, sondern um die Gegenwart. | |
| Und China ist der Grund, warum der Kampf gegen die Erderhitzung gewinnbarer | |
| scheint als je zuvor. Trotz Trump, der das IMO-Abkommen versenkt, | |
| Klimaschutz einen „Green New Scam“ nennt und in den USA Wind- und | |
| Solar-Projekte verbietet. | |
| ## … und China weiß, wie man Energie macht | |
| Chinas heimischer Markt ist heillos überflutet von Solarplatten und E-Autos | |
| – sie sind dort so billig und der Wettbewerb so hart, dass viele | |
| Unternehmen große Verluste machen und verzweifelt nach Exportmärkten | |
| suchen. China hat 2024 so viele Solaranlagen, Batterien und E-Autos | |
| exportiert, dass der CO₂-Ausstoß weltweit um ein Prozent weniger anstieg, | |
| damit wurden etwa die CO₂-Emissionen Australiens ausgeglichen. | |
| Das billige Angebot aus China stößt auf rege Nachfrage, vor allem seit | |
| 2022. Als Russland vollends in die Ukraine einmarschierte und der EU | |
| plötzlich große Teile ihrer Gasversorgung fehlten, machten sich die | |
| Europäer*innen auf die Suche nach neuen Lieferanten. Fündig wurden sie | |
| unter anderem in Katar, das ihnen für teures Geld Flüssiggas lieferte. Das | |
| trieb dessen Preis weltweit in die Höhe und stellte viele Länder vor | |
| Probleme. | |
| Pakistan zum Beispiel konnte sich die höheren Preise nicht mehr leisten, | |
| die ohnehin unzuverlässige Stromversorgung im Land brach teilweise | |
| zusammen. Die pakistanische Regierung, aber vor allem Privatleute, | |
| investierten deshalb in Solaranlagen – 2024 importierten sie Paneele, die | |
| 16 Gigawatt Strom produzieren können. Das entspricht in etwa dem Zubau | |
| hierzulande, obwohl Pakistan nur ein Drittel so viel Strom verbraucht wie | |
| Deutschland. | |
| Wie in Pakistan wurde in vielen Ländern des Globalen Südens 2022 deutlich, | |
| dass erneuerbare Energie weit sicherer und oft billiger ist als fossile | |
| Importe. Verlieren diese Länder den Zugang zum Markt, weil sie nicht genug | |
| US-Dollar zum Bezahlen der Importe aufbringen können, kollabiert ihre | |
| Energieversorgung. [1][Solar- und Windenergie macht sie unabhängig]. | |
| ## Attraktive Partnerschaften | |
| Partnerschaften mit China werden für viele Länder mit Energieproblemen | |
| immer attraktiver. Peking wird das postfossile Energiesystem dominieren, | |
| daran besteht kein Zweifel. Der technologische Vorsprung chinesischer | |
| Ingenieur*innen bei Solaranlagen, Hochspannungsleitungen und Batterien | |
| ist zu groß und das Wachstum der entsprechenden Unternehmen zu schnell, um | |
| sie noch einzuholen. | |
| Dadurch verschieben sich die Lieferketten der nötigen Rohstoffe. Und wer | |
| die Industrie der Zukunft in seinem Land ansiedeln will, sucht eher in | |
| China nach Investor*innen als in Europa. In Marokko etwa bauen | |
| chinesische Firmen Wertschöpfungsketten für grünen Wasserstoff. In | |
| Brasilien hat BYD gerade seine größte E-Auto-Fabrik außerhalb Chinas | |
| eröffnet. | |
| Wer dagegen vom Export von fossilen Brennstoffen abhängig ist, muss um | |
| seine Wirtschaft fürchten. Länder wie Angola, Saudi-Arabien und Kasachstan | |
| werden einem [2][Bericht des Bundesnachrichtendienstes] zufolge bis 2040 | |
| von einem Rückgang der weltweiten Nachfrage nach Öl und Gas stark | |
| destabilisiert. Ihr aktuelles Geschäftsmodell und damit das politische | |
| Überleben ihrer Machthaber beruht auf dem Export fossiler Brennstoffe. Sie | |
| sind natürliche Verbündete für die USA unter Donald Trump – und zeigten das | |
| zuletzt bei der IMO-Entscheidung über Schifffahrtsregeln. | |
| Eindeutige Blöcke sind aber nicht zu erwarten: Im Brics-Verbund kooperieren | |
| die Öl- und Gas-Riesen Russland und Iran mit China und Indien, die beide | |
| einen Solar-Boom erleben und gleichzeitig neue Kohlekraftwerke bauen. | |
| Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula präsentiert sich als Klimaschützer | |
| und erlaubt gleichzeitig neue Öl-Bohrungen im Amazonas-Gebiet. Nigeria | |
| exportiert Öl, setzt für die eigene Stromversorgung aber auf Solaranlagen. | |
| Es ist ein großes Durcheinander. | |
| ## Verzwickte Lage der EU | |
| Und die EU? Wird zerrieben. Die EU-Länder verschmutzen mit 2,5 Milliarden | |
| Tonnen CO₂ die Atmosphäre, das sind 6,5 Prozent der globalen Emissionen. | |
| Nur wenn die EU ihren CO₂-Ausstoß minimiert, kann sich das Klima | |
| stabilisieren. | |
| Einerseits hat die EU deshalb ambitionierte Klimaziele und ist Vorreiterin | |
| bei der Bepreisung von CO₂ – und zumindest in Ansätzen bei einer grünen | |
| Finanz-Architektur. Andererseits hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von | |
| der Leyen Donald Trump versprochen, [3][Energie in Höhe von 250 Milliarden | |
| US-Dollar jährlich zu kaufen]. Das ist unrealistisch viel und nicht | |
| vereinbar mit den EU-Klimazielen. | |
| Will die EU sich zwischen den USA und China behaupten, muss sie viel mehr | |
| in Zukunftstechnologien investieren. Erst die deutschen | |
| Erneuerbaren-Subventionen der 2000er-Jahre schufen schließlich die | |
| technologischen Fortschritte bei Wind- und Solarkraft, die China dann in | |
| den 2010ern rasant verbesserte. Diese Rolle könnten die noch immer | |
| hervorragenden europäischen Forschungseinrichtungen für Stahl, Chemie und | |
| Baustoffe erneut übernehmen, gerade dort, wo europäische Firmen noch | |
| Einfluss auf dem Weltmarkt haben. | |
| Im Zentrum der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft steht mittlerweile | |
| allerdings China. Nicht weil immer mehr Regierungen das Klima schützen | |
| wollen, sondern weil es keinen sichereren Weg zu Wohlstand gibt. | |
| Es wäre natürlich schöner, wenn das Land, das die Welt neu ordnet, | |
| demokratisch wäre. Wenn es öffentliche Debatten fördern und Gewerkschaften | |
| ermächtigen würde, statt Menschen schlecht bezahlt 80 Stunden pro Woche | |
| arbeiten zu lassen und sie zu überwachen. Doch Fakt ist: Ohne Klimaschutz | |
| in Europa verliert die Menschheit den Kampf ums Klima. Aber gewinnt die | |
| Menschheit diesen Kampf, dann wird es Chinas Verdienst gewesen sein. | |
| Transparenzhinweis: Wir haben einen Fehler korrigiert, der die insgesamt | |
| installierte Kapazität Erneuerbarer Energien mit der jährlich installierten | |
| Kapazität verwechselt hat. | |
| 7 Nov 2025 | |
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| Jonas Waack | |
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