# taz.de -- „Fürs Klima eher positiv“ | |
> China subventioniert seine Solarindustrie und verkauft die billigen | |
> Module in Europa. Für Deutschland ist das gar nicht schlecht, sagt der | |
> Energiewendeexperte Volker Quaschning | |
Bild: China dominiert den globalen Solarenergiemarkt | |
Interview Anja Krüger und Nick Reimer | |
wochentaz: Herr Quaschning, in Deutschland werden immer mehr Solaranlagen | |
gebaut, die Installationszahlen klettern von Rekord zu Rekord – und die | |
einheimischen Modulhersteller gehen in die Knie. Wie kann das sein? | |
Volker Quaschning: Momentan läuft der solare Ausbau in Deutschland auch | |
deshalb so gut, weil die Module aus China extrem billig geworden sind. Es | |
gibt gigantische Überkapazitäten in China, die Solarwirtschaft wird [1][vom | |
Staat subventioniert]. Was im Grunde bedeutet: Der chinesische Staat | |
subventioniert auch die deutsche Energiewende. Und die läuft derzeit ganz | |
gut ohne nennenswerte eigene Modul-Wertschöpfung. Zur Jahresmitte wurden | |
hierzulande knapp 7.000 Megawatt neu installiert, bis Jahresende sollen es | |
mindestens 13.000 werden. Schon im vergangenen Jahr wurde fast doppelt so | |
viel installiert wie 2022. Das ist nicht schlecht aus deutscher Sicht. Die | |
Hersteller hierzulande produzieren zu teuer. | |
Die chinesische Regierung steckt Geld in den hiesigen Solarboom? | |
Ja. Momentan fahren wir gut damit. Dadurch beschleunigen wir die | |
Energiewende. Würden Solarmodule viel teurer, würden wir wieder weniger | |
Solaranlagen installieren. Die Energiewende würde langsamer laufen. Die | |
aktuelle Situation ist für den Klimaschutz, für die Energiewende und für | |
Deutschland eher positiv. | |
Die Hersteller in Deutschland kommen nicht an gegen die chinesische | |
Konkurrenz, sie können mit den Preisen nicht mithalten. Wieso nicht? | |
Der chinesische Markt ist im Vergleich zu dem, was wir in Deutschland noch | |
produzieren, mehr als hundertmal größer. Und der chinesische Markt wächst, | |
wir gehen dieses Jahr von einem Wachstum von 40 Prozent aus. Das heißt, die | |
Lücke wird immer größer. Allein über die Größe haben Hersteller in China | |
einen Wettbewerbsvorteil, weil sie billiger produzieren können. Wer | |
konkurrenzfähig bleiben will, muss in dieser Geschwindigkeit mit dem | |
Weltmarkt mitwachsen. Die großen Konzerne in China investieren massiv in | |
dieses Wachstum: Alle zwei, drei Jahre bauen sie neue Fabriken, die | |
moderner sind, effizienter sind und so den Preis pro Modul senken können. | |
Und wer groß ist, der hat eine ganz andere Verhandlungsposition auf dem | |
Weltmarkt – beispielsweise beim Einkauf der Rohstoffe für die Produktion. | |
Mehr als 90 Prozent der in Deutschland installierten Module kommen aus | |
China. Droht damit ein ähnliches Desaster wie bei der [2][Abhängigkeit | |
Deutschlands] von russischem Gas? | |
Wir können den Gedanken ja mal durchspielen: China überfällt die Republik | |
Taiwan, ein veritabler Handelskrieg ist die Folge. China und der Westen | |
versuchen sich gegenseitig wehzutun. China liefert uns keine Solarmodule | |
mehr. Für Deutschland wäre die Konsequenz, dass die Energiewende ins | |
Stocken gerät und Kohlekraftwerke zwangsweise länger laufen müssen. Zwar | |
wird dadurch der Klimaschutz erschwert. Aber richtig weh tut das vielen | |
nicht, die Wirtschaft läuft ja weiter, und wir haben dadurch erst mal | |
kurzfristig keine wirtschaftlichen Nachteile in Deutschland. China hingegen | |
hätte erhebliche Schmerzen! Natürlich müssten die solaren | |
Produktionsbetriebe runtergefahren werden, Arbeitsplätze in China gingen | |
flöten, der wirtschaftliche Schaden wäre vermutlich größer als in | |
Deutschland. Das heißt, China würde den Klimaschutz torpedieren, aber sich | |
wirtschaftlich damit sehr stark schaden. | |
Wie würden Sie denn „wehtun“? | |
Wenn ich in China an der Regierung wäre, würde ich mir andere Produkte für | |
einen Lieferstopp aussuchen, zum Beispiel Computerchips. Jede Solaranlage | |
braucht einen Wechselrichter und jeder Wechselrichter einen Computerchip. | |
Wenn ich also nicht will, dass Solaranlagen gebaut werden, dann boykottiere | |
ich Computerchips. Damit treffe ich dann auch gleich die Autoindustrie, den | |
Maschinenbau, praktisch alles. | |
Wenn – aus welchen Gründen auch immer – keine Solarmodule mehr aus China | |
nach Deutschland kämen, wäre das aber doch das Ende der Energiewende in | |
Deutschland. | |
Zumindest das temporäre Ende des Solarenergieausbaus. In diesem Fall | |
müssten hier Fabriken aufgebaut werden. Das dauert zwei Jahre Minimum; vier | |
bis fünf Jahre, wenn man pessimistisch rangeht. | |
Sie sind also der Meinung, dieses Risiko könne man eingehen, weil es | |
unwahrscheinlich ist, dass es eintritt? | |
Ja. Wir haben ja auch den Vorteil, dass die Module extrem preiswert sind. | |
Ich denke, das Risiko, dass China uns bei Solarmodulen boykottiert, ist | |
überschaubar. | |
Die hiesigen Hersteller haben von der Ampelregierung Hilfen gefordert. | |
Nachdem klar ist, dass die nicht kommen, [3][wandern Hersteller wie der | |
Schweizer Konzern Meyer Burger aus Deutschland ab]. Was ist von der Branche | |
noch übrig? | |
Fast nichts. Deutschland hatte in den 2000er Jahren mal einen | |
Weltmarktanteil im höheren zweistelligen Prozentbereich. Heute ist es viel | |
weniger als 1 Prozent. Damals kamen viele Solarmodule, die irgendwo auf der | |
Welt installiert wurden, aus Deutschland. Heute gibt es nur noch wenige | |
Modulhersteller: Heckert in Chemnitz, Solarwatt in Dresden, Aleo im | |
brandenburgischen Prenzlau, Axitec und AxSun in Baden-Württemberg. | |
Wie hat Deutschland es geschafft, in den 2000er Jahren einen so hohen | |
Weltmarktanteil zu erreichen? | |
Den Anfang finden wir beim Stromeinspeisegesetz 1991. Erst damit war | |
es überhaupt möglich, mit Sonnenlicht produzierten Strom ins Netz der | |
Stromkonzerne einzuspeisen. Damals war die Technologie aber wahnsinnig | |
teuer. Bundesweit begann der Boom im Jahr 2000 mit dem | |
Erneuerbare-Energien-Gesetz der rot-grünen Koalition. | |
Dieses Gesetz – abgekürzt EEG – legte die Kosten zum Bau von Wind-, | |
Biomasse- und Solarkraftwerken auf alle Stromverbraucher um. Warum war das | |
eine Initialzündung? | |
Weil es für Planungssicherheit sorgte. Investoren konnten ihre Kredite | |
kalkulieren, die steigende Nachfrage senkte die Herstellungskosten und | |
stimulierte die Forschung: Solarzellen haben heute gut den doppelten | |
Wirkungsgrad, kosten aber nur noch 10 Prozent dessen, was sie vor einem | |
Vierteljahrhundert kosteten. | |
Die Zäsur kam mit der Koalition aus Union und FDP ab 2009? | |
Union und FDP strichen die Vergütung für Solarenergie so dramatisch | |
zusammen, dass der Markt um 85 Prozent einbrach. Und weil mit diesem | |
Einbruch der Heimatmarkt verloren ging, schlitterten die deutschen | |
Solarfirmen massenhaft in die Pleite. Fairerweise muss man dazu sagen, dass | |
zuvor der Ausbau deutlich schneller voranging, als selbst die rot-grüne | |
Vorgängerregierung beabsichtigt hatte. Das führte dazu, dass relativ hohe | |
Stromkosten über die EEG-Umlage produziert wurden. Deshalb gab es viel | |
Widerstand gegen die Energiewende nicht nur von den klassischen | |
Energiekonzernen. | |
Wie könnte [4][die Solarindustrie hierzulande wiederbelebt] werden? | |
Das würde sehr hohe Summen kosten. Es ist eine Illusion zu sagen: Wir | |
nehmen jetzt mal eine Milliarde Euro in die Hand, und dann haben wir auf | |
Dauer eine wettbewerbsfähige Solarindustrie. Man müsste auf europäischer | |
Ebene richtig klotzen, um hier so eine große Solarindustrie aufzubauen, die | |
von den Stückzahlen her mit China konkurrieren könnte. Diese Ambitionen | |
gibt es [5][auf europäischer Ebene] nicht. Dort gibt es das Ziel, dass 40 | |
Prozent der hier verwendeten Solarmodule in Europa gefertigt werden | |
sollten. Das heißt auch, dass 60 Prozent weiterhin aus China kommen. Aber | |
sinnvoll wäre das Ziel, eine Produktion von 120 Prozent zu erreichen, also | |
über die Selbstversorgung hinaus zu produzieren, sodass europäische | |
Hersteller den Kampf um die Exportmärkte aufnehmen könnten. Dann hätten die | |
Hersteller preislich eine Chance. Das wäre aber sehr teuer. Das wird von | |
keiner Partei gewollt und ist politisch nicht in der Diskussion. | |
Immerhin gibt es in Deutschland noch eine solide Forschungslandschaft auf | |
dem Gebiet der Sonnenkraft. Könnte Deutschland durch Innovation wieder vor | |
die Bugwelle kommen? | |
Wir stehen in den kommenden zwei, drei Jahren vor einem Technologiewechsel. | |
Bei der jetzigen Solartechnik sind wir technologisch am Limit. Wir | |
verwenden derzeit Silizium als Rohstoff. Die nächste Generation der | |
Solarzelle wird eine andere Technologie sein, die effektiver ist. Derzeit | |
werden [6][sogenannte Perowskit-Tandemsolarzellen] sehr stark gehypt. Das | |
ist eine Kombination aus Silizium und dem Material Perowskit. Durch die | |
Kombination beider Materialien lassen sich viel höhere Wirkungsgrade | |
erzielen. In China schielen alle großen Hersteller auf diese Technologie. | |
Es gibt auch in Deutschland ein Start-up, das in diesem Bereich | |
voranzugehen versucht. Wenn die deutsche Regierung unabhängiger werden | |
will, wäre es sinnvoll, auf die neue Technologie zu setzen und zu sagen: | |
Wir ballern da jetzt mal richtig rein. | |
29 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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