# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Muss Merz mehr Bahn fahren? | |
> Friedrich Merz zitiert im Parlament alte Textbausteine von sich selbst. | |
> Alice Weidel liebt die Apokalypse. Und die SPD hofft, dass die | |
> Investitionen im Land ankommen. | |
Bild: Zitiert sich selbst: Bundeskanzler Friedrich Merz während der Generaldeb… | |
Berlin taz | Weil der Bundestag den Haushalt 2025 und 2026 kurz | |
hintereinander verhandelt, findet am Mittwoch die zweite Generaldebatte in | |
einer Woche statt. Kanzler [1][Friedrich Merz] zitiert ein paar Mal sich | |
selbst. „Schnell und bald“ werde es mit der Wirtschaft aufwärtsgehen. Man | |
arbeite an „grundlegenden Reformen“, die allerdings wie schon am letzten | |
Mittwoch recht unbestimmt bleiben. Und Merz beschwört „einen neuen Konsens | |
der Gerechtigkeit“, ohne zu erklären, ob damit mehr gemeint ist, als den | |
Bürgergeldempfängern das Schwarze unter den Fingernägeln zu missgönnen. | |
Die Rede des Kanzlers, sonst ein schneidiger Rhetoriker, mäandert. Er lobt | |
die Steuersenkungen für Unternehmen, die Begrenzung der Migration. Manche | |
Textbausteine scheinen aus seiner letzten Rede zu stammen. Auf der | |
Regierungsbank schauen auffällig viele in ihre Handys. | |
Fahrt nimmt Merz auf, als er die Grünen frontal angreift und ihnen | |
ideologische Klimapolitik vorhält. Kein Land habe „nachgemacht, was sie | |
wollen“, ruft er den Grünen zu und wirbt für Gaskraftwerke und | |
Technologieoffenheit. Auch den von Linken und Grünen erhobenen Vorwurf, | |
[2][den Sozialstaat zu rasieren], weist Merz zurück. Dabei hatte der | |
Kanzler kürzlich erklärt, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. | |
Merz' Rede besteht aus zwei rhetorischen Strategien, die unvermittelt | |
nebeneinander stehen. Erst Staatsmann mit wolkigen Ankündigungen, dann | |
Abteilung Rundumschlag. Es wird laut im Bundestag. Parlamentspräsidentin | |
Julia Klöckner ruft zur Ordnung. Man möge den Kanzler anhören. Doch Merz, | |
auf Betriebstemperatur, hat offenbar Vergnügen an den Zwischenrufen: „Ich | |
halte das aus.“ | |
## Die Wirklichkeit auf den Bahnsteigen | |
Die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann hält es für „bodenlos“, dass | |
Merz Grüne und AfD in einen Topf wirft. Merz habe als Oppositionspolitiker | |
SPD und Grüne immer maßlos attackiert – und setze das als Kanzler mit den | |
Grünen fort. | |
Die Grünen setzen auf einen Doppelschritt. Einerseits beschwören sie die | |
Einheit der Demokraten, ihnen fällt dabei die Rolle der loyalen Opposition | |
zu. Andererseits greifen sie Schwarz-Rot frontal an. Merz, so Haßelmann, | |
solle mal „mit der Bahn von Berlin nach Köln fahren“. Dann werde er | |
begreifen, dass Schwarz-Rot viel mehr Geld in die Bahn stecken muss – und | |
dass die defekte Infrastruktur das Vertrauen in die Demokratie zerstöre. | |
Das wiederum geht SPD-Fraktionschef Matthias Miersch zu weit. Haßelmann | |
mobilisiere damit populistisch das Bild der abgehobenen Politiker, der die | |
Wirklichkeit auf den Bahnsteigen der Republik nicht kennen. Der Kanzler | |
verstehe die Nöte des Landes auch ohne konkrete Erfahrung. | |
Miersch, ein Redner der mittleren Tonlage, appellierte bei Bauen, Klima, | |
Bahn, Digitalisierung, die geplanten Investitionen schnell und | |
unbürokratisch umzusetzen. In der SPD hofft man, dass die Stimmung im Land | |
(und die auch gegenüber der SPD) sich aufhellen wird, wenn sich vor Ort | |
spürbar die segensreiche Wirkung des 500-Milliarden-Investitionsprogrammes | |
zeigt. | |
Jens Spahn, Chef der Unionsfraktion, blies in das gleiche Horn. „Jedes | |
baureife Projekt bei Schiene und Straße“ müsse schnell finanziert werden. | |
Miersch adressierte den Aufruf schneller zu werden vor allem an | |
CDU-Minister. Spahn blieb allgemein. Aber nach dem Desaster der | |
RichterInnen-Wahl scheinen die Fraktionschefs zeigen zu wollen, [3][dass | |
sie auf einer Welle senden]. | |
Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linkspartei, polemisierte gegen | |
Schwarz-Rot, anders als die Grünen ungebremst durch staatspolitische | |
Zurückhaltung. „Herr Merz, ich bin ein ruhiger Mensch“, so Reichinnek | |
selbstironisch und in gewohnt rasantem Redetempo. Schwarz-Rot baue den | |
Sozialstaat ab, tue zu wenig für das Klima. Und trickse beim Haushalt. | |
## AfD für ein Ende der Brandmauer | |
Anders als versprochen, so Reichinnek, würden Merz & Klingbeil das | |
Sondervermögen nutzen, um Haushaltslöcher zu stopfen. So investiere die | |
Regierung mehr als 18 Milliarden aus dem 500-Milliarden-Programm für die | |
Bahn, um im Kernhaushalt „14 Milliarden für die Bahn zu streichen“. | |
Schwarz-Rot „saniert mit dem Sondervermögen nicht das Land, sondern seinen | |
Haushalt“. Das sehen die Grünen und die liberalen Ökonomen, die das | |
Sondervermögen vorgeschlagen hatten, ähnlich. | |
Für den Tiefpunkt sorgte die AfD. Tino Chrupalla, AfD-Fraktionschef, hatte | |
die Debatte eröffnet, ein Recht, das der größten Opposition zusteht. Er | |
kritisierte die „Schuldenorgie“ der Regierung, verwies auf 20 Milliarden | |
Euro, die bei Bürgergeld für Migranten ausgegeben würden und bei der | |
Sanierung von Schulen fehlen würden. Chrupallas Rede, für AfD-Verhältnisse | |
moderat, endete mit einem vernuschelten Aufruf an die Union, sich | |
Schwarz-Blau zu öffnen. | |
Dass die Rechtsextremen auch anders können, zeigte Chrupallas Co-Chefin | |
Alice Weidel. Folgt man ihr, dann hat der Untergang Deutschlands schon | |
stattgefunden. Schwarz-Rot zerstöre zielgerichtet die Wirtschaft, betrüge | |
die Steuerzahler und sei auf dem „Marsch in den Staatsbankrott“. In den | |
Städten regiere „allgegenwärtige Gewalt“, migrantisch natürlich. | |
„Verzweifelte Familien, gescheiterte Lebensträume“ – so Weidels | |
apokalyptische Skizze. | |
Die AfD-Chefin bekam von Klöckner einen Rüffel, weil sie die Linksfraktion | |
in einem Atemzug mit Schlägerbanden nannte. Am Ende forderte auch Weidel, | |
wie immer fast ohne Mimik, „die sehr geehrten Kollegen von der Union auf, | |
sich von der Brandmauer zu befreien.“ | |
Die Sozialdemokratin Wiebke Esdar konterte knapp, Weidels Rede habe nur | |
eines gezeigt. „Die AfD darf nie Regierungsverantwortung bekommen“. Das | |
müsste eigentlich auch den Union-Abgeordneten einleuchten. | |
24 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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