| # taz.de -- Hamburg vor dem Klima-Volksentscheid: Gut Wetter machen | |
| > Hamburg soll schon 2040 klimaneutral sein. Das ist Ziel des „Hamburger | |
| > Zukunftsentscheids“. Aktivist:innen werben für ein „Ja“ beim | |
| > Volksentscheid am 12. Oktober. | |
| Bild: Im milden Licht: Werbung für den „Hamburger Zukunftsentscheid“ an de… | |
| Hi, wir sind Tom und Luise und kommen vom Hamburger Zukunftsentsch…“ Der | |
| Mann in seinem unbeleuchteten Flur knallt die Tür wieder zu, noch ehe Luise | |
| den Satz beenden kann. Achselzuckend stehen die beiden einen kurzen Moment | |
| vor der wieder verschlossenen Tür und der davor liegenden Hausmatte, auf | |
| der zu lesen ist: „Achtung! Meine Wohnung. Meine Musik. Meine Regeln.“ Dann | |
| drehen sie sich im engen und dunklen Treppenhaus um und steigen in dem | |
| schlichten Nachkriegsbau in der Julius-Leber-Straße im Hamburger Stadtteil | |
| Altona-Nord eine Etage runter zu den nächsten beiden Wohnungstüren. | |
| Es ist ein sonniger, aber kühler Spätnachmittag Ende September – und | |
| Hamburg befindet sich mitten in der heißen Wahlkampfzeit. Nur sind diesmal | |
| nicht die Konterfeis von Spitzenkandidat:innen auf den Plakaten zu | |
| sehen, und die Parteien laden auch nicht zu öffentlichen Kundgebungen auf | |
| Hamburgs Plätze, wie es noch im Frühjahr zur Bundestags- und | |
| Bürgerschaftswahl der Fall war. | |
| Es sind zwei Sachfragen, [1][über die die Hamburger Wahlberechtigten am 12. | |
| Oktober abstimmen können: ob in Hamburg ein Grundeinkommen getestet werden | |
| und ob Hamburg ein schärferes Klimaschutzgesetz bekommen soll.] Um für | |
| Letzteres, den „Hamburger Zukunftsentscheid“ zu werben, haben sich am | |
| Nachmittag vor der nahegelegenen Schule neun Aktivist:innen zum | |
| Haustürwahlkampf getroffen. Sie sind überwiegend jung, überwiegend | |
| weiblich. In Zweier- und Dreiergruppen teilen sie sich auf und ziehen in | |
| die umliegenden Seitenstraßen. | |
| Luise hat gerade Abi gemacht, Tom studiert. Beide sind schon ein paar Jahre | |
| bei Fridays for Future aktiv, und die Hamburger Ortsgruppe der | |
| Klimabewegung war es, die Ende 2023 beschlossen hat, als Volksinitiative | |
| über den Weg der direkten Demokratie im Stadtstaat Hamburg eine Politik für | |
| mehr Klimaschutz durchzusetzen. „Wir werben für ein sozialverträgliches, | |
| transparentes und verbindliches Gesetz, das Hamburg bis 2040 klimaneutral | |
| macht“, sagt Tom an der nächsten Tür, die geöffnet wird, zwei Stockwerke | |
| tiefer. Die ältere Frau nimmt den Flyer, den Tom ihr hinreicht, und | |
| schließt eilig die Tür. | |
| Auch wenn die beiden an den ersten Türen noch kaum Überzeugungsarbeit | |
| leisten konnten – mit Pessimismus schlendern sie nicht zum Haus. | |
| Schließlich reitet die Volksinitiative seit ihrem Startschuss auf einer | |
| Welle des Erfolgs: In dem mehrstufigen Verfahren bis zum Volksentscheid | |
| hatten die Klimaaktivist:innen zunächst die nötigen | |
| Unterstützungsunterschriften in wenigen Tagen zusammengesammelt; auch die | |
| nächste Hürde, um eine Volksabstimmung zu erzwingen, gelang erstaunlich | |
| locker: 106.000 Unterschriften sammelten sie während des dreiwöchigen | |
| Volksbegehrens vergangenen Herbst. | |
| Weil es mit dem rot-grünen Senat in Verhandlungen zu keinem Kompromiss kam, | |
| dürfen nun die Wähler:innen im Volksentscheid direkt entscheiden, ob sie | |
| für oder gegen das vorgelegte „Klimaschutzverbesserungsgesetz“ sind. | |
| 2040. Fünf Jahre früher, als es bundesweit so weit sein soll, und früher | |
| auch, als der rot-grüne Hamburger Senat sich in seinem 2023 reformierten | |
| Landesgesetz vorgenommen hat. Da ist zum einen die Jahreszahl, mit der | |
| Klimaaktivist:innen nach der Reform unzufrieden waren und sich auf | |
| den Weg zum Volksentscheid machten, um das Gesetz erneut zu reformieren. | |
| Viel wichtiger vielleicht noch: [2][Mit keinem der Adjektive – | |
| sozialverträglich, transparent, verbindlich – könne Hamburgs Klimapolitik | |
| aktuell beschrieben werden.] | |
| Tags zuvor hatten die Sprecher:innen des Zukunftsentscheids eilig zu | |
| einer Pressekonferenz eingeladen. Mit Wohlwollen wurde den | |
| Aktivist:innen seit ihrem Start vor knapp zwei Jahren meist in der | |
| Öffentlichkeit begegnet, Kritik war kaum wahrnehmbar. Schließlich steht | |
| gleich eine ganze Reihe Hamburger Institutionen hinter ihnen: die | |
| Umweltverbände, die Mietervereine, Gewerkschaften, Theater, Kirchen, der FC | |
| St. Pauli – und sogar Unternehmen wie die Carlsberg-Brauerei. | |
| Nun aber, je näher der Termin rückt, an dem nicht mehr die | |
| Landespolitiker:innen entscheiden, sondern die Bürger:innen, wächst | |
| die Nervosität: [3][Die Wohnungswirtschaft warnt vor steigenden Mieten,] | |
| die Handels- und die Handwerkskammer vor wirtschaftlichen Schäden, der | |
| Sozialverband SoVD vor überlasteten Privathaushalten – und der | |
| SPD-Finanzsenator spricht gar von einem „Heizungsgesetz hoch zwei“ in | |
| Anlehnung an das von Robert Habeck (Grüne) vorangetriebene und anfangs | |
| verrissene Gebäudeenergiegesetz. | |
| Das seien „bewusst überspitzte Angriffe“, sagt Annika Rittmann, Sprecherin | |
| des Zukunftsentscheids, vor der Presse, „falsche Behauptungen“, mit denen | |
| Angst geschürt werden solle. Dass Gegenwind kommt, überrasche aber nicht – | |
| an einem sozialverträglichen, transparenten und verbindlichen Gesetz hätten | |
| viele Akteure nun mal kein Interesse. Allen voran nicht die regierenden | |
| Politiker:innen Hamburgs. Die müssten sich in den kommenden 15 Jahren | |
| schließlich dem Gesetz beugen [4][und auch Maßnahmen beschließen, die das | |
| Potenzial haben, unpopulär zu sein, die mehr Arbeit für Politik und | |
| Verwaltung bedeuten – und die ihren Überzeugungen widersprechen.] | |
| Jede künftige Klimaschutzmaßnahme müsste etwa künftig verpflichtend so | |
| ausgestaltet sein, dass „soziale und wirtschaftliche Härten insbesondere | |
| für Haushalte mit geringem Einkommen antizipiert und verhindert werden“, | |
| fordert die Initiative. Drohten etwa höhere Mieten durch energetische | |
| Sanierungen, müssen Härtefallregeln oder Förderungen geschaffen werden, um | |
| die Belastungen auszugleichen. | |
| Transparenz und Verbindlichkeit wiederum würde hergestellt, indem es | |
| künftig Zwischenziele in Form von CO2-Budgets für den Senat geben soll, | |
| die von Jahr zu Jahr schrumpfen. Wird das jeweilige Jahresziel gerissen, | |
| ist die Landesregierung verpflichtet, im Folgejahr ein Sofortprogramm zum | |
| Ausgleich vorzulegen. Was dann konkret für Aufschreie sorgende Maßnahmen | |
| auf den Tisch liegen werden, [5][deutete ein Gutachten des Senats schon an: | |
| Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit auf Hamburgs Straßen etwa oder | |
| Fahrverbotszonen für Lkws mit Verbrennerantrieb im Hafen.] | |
| Dabei hat Hamburg eigentlich nur begrenzten Einfluss darauf, wie viel CO2 | |
| in der Stadt emittiert wird – viel ist abhängig von der Bundes- und | |
| EU-Politik, wenn es etwa um die Antriebsarten von Autos geht. Doch | |
| Befürworter:innen wie Gegner:innen des Zukunftsentscheids ist auch | |
| klar, dass Hamburg mit seiner Kompetenz als Bundesland deutlich mehr | |
| Einfluss in der Klimapolitik nehmen kann als einfache Städte: Die | |
| Ausgestaltung des ÖPNV etwa, dessen Ausbau entscheidend ist für das | |
| Erreichen der Klimaneutralität bis 2040, ist Ländersache. Ein schärferes | |
| Klimaschutzgesetz würde also nahezu jeden Lebensbereich in Hamburg | |
| tangieren. | |
| In die Tiefen des Gesetzesvorschlags geht es an den Wohnungstüren in | |
| Altona-Nord im Laufe des Spätnachmittags allerdings kaum. Vor einer der | |
| Erdgeschosswohnungen kommt es immerhin zum kurzen Austausch. Auf gebrochene | |
| Versprechen Joschka Fischers kommt der Mann zu sprechen, als er das Wort | |
| „Klima“ aus Toms Mund hört. Nach einigen Wehklagen über die herrschende | |
| Politik fragt er die beiden Wahlkämpfer:innen abschließend mit einem | |
| Lachen: „Also soll ich für Ja stimmen?“ Er will es sich nochmal überlegen, | |
| ob er wählen geht. | |
| Für gute Laune sorgt bei Tom und Luise das nächste Haus. Auf dem | |
| Klingelschild des Altbaus mit großen Fenstern und hohen Geschossen drückt | |
| Luise bei der obersten Wohnung. Sie habe schon per Brief gewählt und für Ja | |
| gestimmt, berichtet die Stimme aus dem kleinen Lautsprecher. Natürlich | |
| könne sie die beiden ins Haus lassen, um an den anderen Wohnungstüren zu | |
| klingen, auch wenn das unnötig sei: „Ihr lauft bei denen eh offene Türen | |
| ein.“ | |
| Tatsächlich: Mehr als eine Erinnerung, das Wählen nicht zu vergessen, ist | |
| bei den Gesprächen nicht nötig. Eine Frau öffnet kurz ihre Wohnungstür, | |
| will aber gar nicht groß ins Gespräch kommen. „Ich hab schon für euch | |
| gewählt – und stehe auf eurer jungen grünen Seite.“ | |
| Grün. Beim Hinuntergehen muss Luise darüber schmunzeln: Die Gegend hier in | |
| Hamburgs Westen ist Grünen-Hochburg und die Landespartei hat sich auch in | |
| einer öffentlichen Erklärung hinter die Klimaaktivist:innen gestellt, | |
| indes: Die bekanntesten Hamburger Parteigesichter, die Grünen-Senator:innen | |
| um Katharina Fegebank und Anjes Tjarks, halten sich mit jeder Unterstützung | |
| zurück – aus Koalitionsräson. | |
| In der Koalition mit der SPD, die strikt gegen den Zukunftsentscheid ist, | |
| einigten sich beide Seiten auf eine magere Kompromissformel, an die sich | |
| beide Seiten öffentlich halten sollen: Ein klares Nein zum | |
| Zukunftsentscheid wird zwar vermieden, aber der bisher eingeschlagene Weg | |
| des rot-grünen Senats zur Klimaneutralität als „gut durchdacht, sozial | |
| gerecht und wirtschaftlich sinnvoll“ gepriesen. | |
| Dass mangelnde Unterstützung aus der Hamburger Parteienlandschaft nicht | |
| viel bedeuten muss, zeigten schon die vergangenen beiden Volksabstimmungen, | |
| an die auch Zukunftsentscheid-Sprecherin Rittmann nochmal erinnert: Gegen | |
| [6][die Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze] warben vor zwölf | |
| Jahren der damalige Bürgermeister Olaf Scholz und seine SPD-Alleinregierung | |
| zusammen mit CDU, FDP und Wirtschaftsverbänden – erfolglos. „Heute sehen | |
| wir: Das hat sich als richtige Entscheidung erwiesen“, sagt Rittmann beim | |
| Pressegespräch. | |
| Und auch beim Referendum 2015 über Hamburgs Olympiabewerbung waren sich | |
| alle Parteien mit Ausnahme der Linken einig und siegessicher. Die | |
| Überraschung, dass die Hamburger Wähler:innen dann knapp mit Nein | |
| votierten, war umso größer. | |
| Gute Vorzeichen für den anstehenden Klima-Entscheid? Seitdem die Wahlzettel | |
| – in Hamburg kann damit auch direkt per Brief gewählt werden – verschickt | |
| wurden, fragen die Aktivist:innen regelhaft beim Landeswahlleiter nach, | |
| wie viele Wahlbriefe schon zurückgeschickt wurden. Ende September war die | |
| Zahl noch übersichtlich. | |
| „Dass wir die Mehrheit erreichen, glaube ich schon“, sagt Luise beim Gang | |
| zum nächsten Haus. Nur das mit dem Quorum – die Mindestanzahl abzugebender | |
| Stimmen zu erreichen – könnte schwierig werden. Wäre die Ampelregierung im | |
| Bund nicht frühzeitig geplatzt, hätten beide Abstimmungen in diesem Herbst | |
| zeitgleich mit der Wahl stattgefunden. So müssen die Aktivist:innen | |
| genug Menschen motivieren, nur ihretwegen zur Abstimmung zu schreiten. | |
| Ohne parallel stattfindende Wahl, die ohnehin ausreichend Wähler:innen | |
| an die Urne bringt, könnte die Hamburger Initiative enden wie einst | |
| Klimaaktivist:innen in Berlin: [7][Beim dortigen Volksentscheid | |
| „Berlin 2030 klimaneutral“ holten sie vor zwei Jahren zwar eine knappe | |
| Mehrheit. Doch weil sie das nötige 25-Prozent-Zustimmungsquorum deutlich | |
| verfehlten, scheiterte der Entscheid.] Und das zu einem Zeitpunkt, als die | |
| Klimakrise in bundesweiten Umfragen noch zu den drängendsten Problemen | |
| zählte. | |
| Gerade das aber scheint manche Hamburger:innen erst recht zu | |
| motivieren. Ja, sie hat die Wahlunterlagen schon und will mit Ja stimmen, | |
| sagt eine Frau, die sich von Luise und Tom noch ein paar Flyer für Bekannte | |
| in die Hand drücken lässt. Und warum? „Gerade weil das Klima gerade für | |
| niemanden ein Thema ist, muss man da doch nun dran bleiben“, sagt sie und | |
| wünscht den beiden Aktivist:innen mit den Flyern in ihren Jutebeuteln | |
| noch viel Glück bei den Nachbarn. | |
| 4 Oct 2025 | |
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