| # taz.de -- NDR-Entscheidung zu „Klar“: Von wegen „Cancel-Culture“ | |
| > Der NDR trennt sich von der umstrittenen Moderatorin Julia Ruhs. Das ist | |
| > keine linke Agenda, wie Rechte fabulieren. Das ist Qualitätssicherung. | |
| Bild: Selbstbewusst in der Opferrolle: Julia Ruhs | |
| Hier sind wir wieder, in der nächsten Runde des | |
| „Cancel-Culture“-Karussells. [1][Die Absetzung von Julia Ruhs durch den | |
| NDR] hat eine neue Debatte über die Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen | |
| Rundfunks in Gang gesetzt. Zuvor moderierte sie drei Folgen des | |
| Reportageformats „Klar“, das nicht zuletzt [2][von anderen | |
| Journalist*innen] hinsichtlich der Qualität stark kritisiert wurde. So | |
| eine Gelegenheit, gegen eine vermeintliche links-grüne Meinungshegemonie zu | |
| schießen, lassen führende Politiker*innen selten sausen. | |
| Ein „Tiefpunkt deutscher Debattenkultur“, klagt CDU-Generalsekretär Carsten | |
| Linnemann und fordert, die ÖRR-Gebühren einzufrieren, damit Druck entstehe | |
| und Reformen passierten. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel | |
| Günther (CDU) spricht von einem „extrem schlechten Signal“ und übergeht | |
| eine NDR-Veranstaltung zum Intendantenwechsel. Stattdessen besuchte er eine | |
| Veranstaltung in Kiel, auf der Ruhs’ neues Buch „Links-grüne Meinungsmacht | |
| – Die Spaltung unseres Landes“ vorgestellt wurde. Beides fand am | |
| Donnerstagabend statt. Offiziell sage Günther die NDR-Veranstaltung in | |
| Hamburg aus terminlichen Gründen ab. Er habe in Kiel bleiben müssen und | |
| deswegen spontan zugesagt. | |
| ## NDR-interne Kritik an bisherigen Folgen | |
| Doch von vorne: Was war passiert? Nach Recherchen der Welt soll der NDR | |
| seit Ausstrahlung der Pilotfolge im April in einen internen Konflikt rund | |
| um das Format „Klar“ mit Moderatorin Ruhs geraten sein. Die Sendung | |
| entstand aus einer Kooperation von BR und NDR. Laut NDR, um die | |
| öffentlich-rechtliche Perspektivenvielfalt zu erhöhen. | |
| Wie der Sender mittlerweile in einer Pressemitteilung bestätigt, lebt die | |
| Idee weiter – nur Julia Ruhs steht in den vom NDR produzierten Folgen nicht | |
| weiter vor der Kamera. Während sie die BR-Folgen weiterhin anleitet, wird | |
| Tanit Koch den Job ab 2026 für den NDR übernehmen, wie aus einer | |
| [3][Pressemitteilung] vom Freitagnachmittag hervorgeht. | |
| Die bisherige Karriere von Koch ist markant. Unter anderem war sie zwei | |
| Jahre lang Chefredakteurin der Bild und leitete später die | |
| Wahlkampfkommunikation von Armin Laschet. Genau wie Julia Ruhs schreibt | |
| Tanit Koch auch für Focus. | |
| 250 Mitarbeiter*innen des Norddeutschen Rundfunks sollen sich laut | |
| Welt in einem offenen Brief an ihre Vorgesetzten von „Klar“ distanziert | |
| haben. Darin äußern sie unter anderem Zweifel an der Einhaltung von im | |
| Medienstaatsvertrag festgeschriebenen journalistischen Standards. | |
| ## Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk | |
| Rechte Medien wittern in dieser Kritik durch Mitarbeitende des ÖRR eine | |
| Einseitigkeit des ÖRR; der Cicero etwa trauert der „einzigen konservativen | |
| Journalistin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ nach. Ruhs selbst lässt | |
| die Debatte auch nicht ruhen, im Gegenteil. Gegenüber Table Media erhebt | |
| sie schwere Vorwürfe gegen den NDR. „Mundtot“ habe man sie gemacht, der NDR | |
| halte offenbar weniger von Meinungsvielfalt als der BR. | |
| Überraschend äußert sich auch Heidi Reichinnek. Gegenüber dem Spiegel gibt | |
| die Linke-Politikerin zu bedenken: „Es ist wirklich hochproblematisch, wenn | |
| auf Druck von irgendeiner Seite etwas abgesetzt wird.“ Damit lässt auch | |
| Reichinnek sich auf eine verkürzte Rhetorik ein, die eine breitere | |
| Kontextualisierung vermissen lässt. | |
| ## Niemand wurde gecancelt | |
| Aber von einer Cancel-Culture kann keine Rede sein. Wie der Deutsche | |
| Journalisten-Verband (DJV) in einer Pressemitteilung schreibt, sei es Fakt, | |
| dass Ruhs nicht aus dem ÖRR rausgeschmissen werde, sondern weiterhin „Klar“ | |
| moderieren dürfe – fortan eben beim BR und im Wechsel mit anderen | |
| Kolleg*innen. | |
| Nichts daran rechtfertige Aufgeregtheit bis in höchste politische Kreise. | |
| Besonders die Aussagen der CDU-Politiker kritisierte der Verband. Die | |
| Beiträge einzufrieren – wie von Linnemann gefordert –, sei | |
| „verfassungswidrig“. | |
| Auch der Redaktionsausschuss des NDR schaltete sich ein, dessen | |
| Stellungnahme liegt dem Evangelischen Pressedienst vor. Der Ausschuss | |
| fordere eine zeitige Aufarbeitung aller Entscheidungen rund um „Klar“ und | |
| sämtlicher Entscheidungen. Sie seien zum Teil sachlich falsch oder verzerrt | |
| kommuniziert worden. | |
| Dass der NDR sie zum Schweigen bringe, behandelt Julia Ruhs wie eine | |
| knallharte Tatsache, ebenso einige Politiker*innen. Öffentlich ist das | |
| interne Schreiben der Mitarbeiter*innen aber nicht, so ist es laut | |
| Pressemitteilung des NDR auch gewollt. Mindestens merkwürdig also, wie | |
| selbstbewusst Rechte sich in ihrer Opferrolle niederlassen. | |
| Einzelne Teile des offenen Briefs machte die Welt publik. In ihm heiße es, | |
| die Sendung über Migration verletze „eine Reihe von Grundsätzen unserer | |
| journalistischen Arbeit und kommt unserem öffentlich-rechtlichen Auftrag | |
| gemäß NDR-Staatsvertrag nicht nach“. | |
| ## Absetzung wegen mangelnder journalistischer Qualität | |
| Dass 250 Mitarbeiter*innen sich gegen ihre Vorgesetzten auflehnen, ist | |
| kein Ausdruck von Cancel-Culture, sondern gelebter Widerstand. Ihrer Kritik | |
| an der journalistischen Qualität steht eine repräsentative Befragung des | |
| Senders entgegen. Die ergab, dass 63 Prozent der Befragten „Klar“ die Noten | |
| Eins oder Zwei geben, BR-Programmdirektor Thomas Hinrichs spricht | |
| angesichts dessen von einer hohen Akzeptanz beim Publikum. Doch trotz | |
| mächtiger Quote halten die Redakteur*innen journalistische Werte hoch. | |
| Die spaltende Rhetorik, die sie in der „Klar“-Folge über Migration | |
| beobachten, lehnen sie deshalb ab – ganz gleich, ob sie den | |
| Zuschauer*innen Freude bereitet oder nicht. Ruhs mache es „fassungslos“, | |
| dass hier nicht die Zuschauer*innen eine Rolle spielten, sondern | |
| „politische Befindlichkeiten“, wie sie in einem Interview mit dem | |
| [4][Cicero] sagt. | |
| Natürlich ist es wichtig, dass das geplante Programm auch gut beim | |
| Publikum ankommt und nicht ins Leere gesendet wird. Doch genauso ist es | |
| Aufgabe aller Mitarbeitenden, einzuschreiten, wenn sie die Vorschriften | |
| eines Grundsatzes verletzt sehen. Mit „politischen Befindlichkeiten“ hat | |
| das überhaupt nichts am Hut. | |
| Gecancelt wurde hier niemand. Es wurden nur die redaktionellen Vorschriften | |
| des NDR-Staatsvertrags beachtet, nämlich die Sorgfaltspflicht. | |
| ## Fantasie eines linken Mobs im ÖRR | |
| Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) warnte den | |
| öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Fernsehsender der Welt vor einem | |
| Akzeptanzverlust. Weite Teile der Bevölkerung hätten den Eindruck, dass der | |
| ÖRR einseitig berichte. „Und das ist ein Problem, weil die | |
| Öffentlich-Rechtlichen von großer Akzeptanz leben.“ Damit hat er recht. | |
| Doch liegt der Akzeptanzverlust wirklich an der NDR-Trennung von Ruhs? Oder | |
| nicht vielmehr daran, dass manche in der Wahrung journalistischer Standards | |
| einen hegemonialen linken Mob sehen und darstellen wollen? | |
| Letzteres lässt sich aktuell in jeglichen konservativen bis rechten Medien | |
| und in den Äußerungen von Günther, Linnemann oder Weimer beobachten. | |
| 19 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Konflikt-um-NDR-Format-Klar/!6114127 | |
| [2] /Neue-Sendung-Klar/!6081388 | |
| [3] https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/tanit-koch-verstaerkt-fuer-n… | |
| [4] https://www.cicero.de/kultur/julia-ruhs-uber-die-intrige-beim-ndr-man-wollt… | |
| ## AUTOREN | |
| Wlada Froschgeiser | |
| Jonas Kähler | |
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