# taz.de -- Neue Sendung „Klar“: Der Macht nachplappern | |
> Ein neues Format von NDR und BR presst alle spaltenden Erzählungen zum | |
> Thema Migration in 45 Minuten. Dabei nennt es sich auch noch „Klar“. | |
Bild: Glanzpunkt der deutschen Geschichte, heute nicht mehr erwünscht: Willkom… | |
Wenn jemand behauptet, „Klartext“ zu sprechen, sollte man misstrauisch | |
werden. Wer „Klartext“ sprechen möchte, gibt zu, sonst nicht „Klartext�… | |
sprechen. Oder suggeriert, dass andere nicht „Klartext“ sprechen würden. | |
Man bezichtigt also sich oder andere der Lüge. Deswegen sollte man alles, | |
was auf „Klartext“-Aussagen folgt, erst einmal grundsätzlich in Zweifel | |
ziehen. | |
Das gilt auch für das neue [1][Format „Klar“ von NDR und BR]. Dort | |
versprechen sie zwar nicht wörtlich „Klartext“, aber zwischen den Zeilen. | |
In seiner ersten Folge widmet sich das Team dem Thema „[2][Illegale | |
Migration]“. Das eignet sich für ein „Klartext“-Format natürlich besond… | |
gut – denn hier herrscht seit jeher die Erzählung, dass „das Volk“ von | |
Politik und Medien angelogen werde. Dass Probleme verschwiegen würden, dass | |
Politiker:innen nicht die Wahrheit sagen würden. Das stimmt auch – nur | |
anders, als es AfD und Co. (und auch „Klar“) glauben machen wollen. | |
„Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“: Das sind die | |
ersten Worte der Moderatorin. Sie setzen den Ton. Denn es geht nicht darum, | |
ein Thema journalistisch zu beleuchten; es geht darum, alle spaltenden | |
Erzählungen, die es zum Thema Migration gibt, in 45 Minuten zu pressen, und | |
das mit der Behauptung zu rechtfertigen, man spreche eben „Klartext“. Man | |
habe den Mut zur „Wahrheit“. Der Trick bei derlei Aussagen: Sie werfen | |
allen Kritiker*innen schon im voraus vor, Probleme zu verschweigen. | |
Inhaltlich kann man sich also vorstellen, was NDR und BR in der Sendung | |
zeigen – die altbekannten Erzählungen, die die Bundesrepublik seit | |
Jahrzehnten begleiten: „Migranten“ bringen Kriminalität, Gewalt und Tod. | |
## Aus dem Standard-Repertoire | |
Im Jahr 1966 titelte eine Kölner Boulevardzeitung nach einer Serie von | |
Gewalttaten, dass die „Gastarbeiter“ [3][Köln] in ein „Chicago am Rhein�… | |
verwandeln würden. Die Bild-Zeitung schrieb 1967 über eingewanderte | |
Menschen: „Sie halten Frauen wie Kamele“. Die Idee, „Klartext“ zu sprec… | |
hatten allem Anschein nach auch schon andere. Besonders neu ist das, was | |
„Klar“ da erzählt, also nicht. Auch öffentlich-rechtliche Formate | |
wiederholen diese Erzählungen seit Jahrzehnten rauf und runter. Allerdings | |
in der Regel ohne das „wir sagen das, was andere sich nicht | |
trauen“-Prädikat. | |
Im Prinzip ist die Sendung also nicht mehr als eine konzentrierte | |
Aneinanderreihung von Spaltungserzählungen – die „bösen“ Migranten gegen | |
die „guten“ Deutschen. Wobei der obligatorische Satz, dass natürlich nicht | |
alle Migranten schlecht sind, nicht fehlen darf. Auch das gehörte schon in | |
den 1960er Jahren zum Standard-Repertoire vieler Medien: Sie stellten „den | |
Gastarbeiter immer wieder als Messerstecher und Gewalttäter“ dar, während | |
sie gleichzeitig auf die Statistik verwiesen und erklärten, der „Vorwurf, | |
die ausländischen Arbeitskräfte neigten besonders zur Kriminalität“, sei | |
ein „Vorurteil“, heißt es in einem Standardwerk der | |
Politikwissenschaftlerin [4][Karen Schönwälder.] | |
Das bedeutet nicht, dass Menschen nicht abgeschoben werden sollen, wenn sie | |
Verbrechen begehen; dass Migration nicht kontrolliert werden darf. Genau | |
diese Naivität wird Kritiker:innen der Asylpolitik stets vorgeworfen, | |
auch in „Klar“. Das sind Nebelkerzen. Wir wollen Probleme lösen, die | |
anderen nicht, so das Narrativ dahinter. Mit der Realität hat das freilich | |
nichts zu tun. | |
Unter der Agenda der Sendung leidet auch der journalistische Standard. Denn | |
was die üblichen Migrationserzählungen tatsächlich brauchen könnten, wäre | |
eine machtkritische Analyse und nicht das Nachplappern von Erzählungen der | |
Macht. | |
Schon seit Jahrzehnten dienen Migrationsdebatten und das Projizieren | |
gesellschaftlicher Probleme auf eingewanderte Menschen dem Verschieben | |
politischer Verantwortung. Es wird so getan, als würde das Schließen von | |
Grenzen Gewalt verhindern, als würde es das Wohnraum- oder das | |
Bildungsproblem lösen, die schlechte Verwaltung verbessern und | |
heruntergekommene Stadtviertel aufblühen lassen. | |
Mithilfe solcher Erzählungen können sich Politiker:innen schon seit | |
Jahren von Verantwortung freimachen. Das wäre die Wahrheit, von der „das | |
Volk“ erfahren sollte. Wahrheit scheint aber nicht das Ansinnen von „Klar“ | |
gewesen zu sein. | |
Anm. der Red.: In einer früheren Version dieses Textes blieb unerwähnt, | |
dass „Klar“ nicht nur eine Sendung des NDR, sondern auch des BR ist. Zudem | |
konnte interpretiert werden, dass die Sendung selbst wörtlich von | |
„Klartext“ spricht. | |
10 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/KLAR-Migration-was-falsch-la… | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL25kci5kZS9wcm9wbGFuXzE5NjM2NzQwN… | |
[3] /Hoerspiel-Klassiker-im-Brinkmannjahr/!6072510 | |
[4] /Migranten-in-der-Lokalpolitik/!5117623 | |
## AUTOREN | |
Gilda Sahebi | |
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