# taz.de -- Burak Yılmaz im Gespräch: „Brennpunkt heißt Realtalk und Humor… | |
> Der Pädagoge und Podcaster Burak Yılmaz spricht mit jungen Menschen über | |
> Diskriminierung. Gerade jetzt, wo viele Leute „Bock auf Apokalypse“ | |
> haben, geht es ihm darum, sie ernst zu nehmen. | |
Bild: Burak Yılmaz vor einem Mietshaus in Duisburg-Marxloh. Hier spielen Jugen… | |
Vom Duisburger Hauptbahnhof führt der Weg nach Marxloh in den Norden, | |
vorbei an den riesigen Anlagen der Stahlindustrie, ein wichtiger | |
Arbeitgeber für den Stadtteil. In den 50ern zogen viele sogenannte | |
Gastarbeiter wegen der Jobs hierher, heute stecken die Stahlunternehmen in | |
der Krise. | |
An diesem Donnerstagmittag ist wenig los auf der Hauptstraße von Marxloh. | |
Spitzenbesetzte Kleider zieren die Schaufenster der Brautmodengeschäfte, | |
daneben Juweliere, Friseurgeschäfte, türkische Bäckereien. Der Pädagoge und | |
Podcaster [1][Burak Yılmaz] hat seine Kindheit zwischen Marxloh und | |
Obermarxloh verbracht. Als Erwachsener hat er viel mit Jugendlichen aus der | |
Gegend gearbeitet. Wir treffen uns zu einem Spaziergang durch das Viertel. | |
taz: Herr Yılmaz, wenn Sie Marxloh in drei Worten beschreiben müssten, | |
welche wären das? | |
Burak Yılmaz: Kämpferisch, kreativ und solidarisch. | |
taz: Warum diese drei? | |
Yılmaz: Kämpferisch, weil die Leute nicht aufgeben. Das Leben hier ist eine | |
Dauerkrise. Es fängt an mit einer Kindheit in Armut, geht weiter mit einer | |
Jugend in Armut und mit nur wenigen Jobmöglichkeiten für Erwachsene. Es | |
fehlt für den Duisburger Norden eine Vision, die kann nicht mehr Stahl | |
sein. Du musst hier sehr aufmerksam durchs Leben laufen. Die Menschen | |
suchen die Lücken im System, sie wollen trotz der Schwierigkeiten etwas | |
aufbauen. Deshalb hat Duisburg eine der größten migrantischen | |
Selbstständigenquoten in ganz Deutschland. Und die Nachbarschaft ist hier | |
ziemlich geil. Sitzt einer in der Patsche, dann gibt es ein Netzwerk, das | |
einen auffängt. | |
Burak Yılmaz bleibt an einer großen Kreuzung stehen, Weseler Straße Ecke | |
Kaiser-Wilhelm-Straße. | |
Yılmaz: Hier gab es in den 90ern viele Demos. Aber auch heute ist in | |
Marxloh immer was los. Wenn politisch auf der Welt etwas passiert – ob im | |
Libanon, in Gaza oder in Rojava –, siehst du immer wieder Graffiti und | |
politische Kommentare an den Wänden. Marxloh ist ein sehr politischer | |
Stadtteil, das hat mir schon immer gefallen. Du hast hier nicht den Luxus, | |
unpolitisch aufzuwachsen. | |
taz: Was ist in Marxloh anders? | |
Yılmaz: Wir können Menschen lesen. Die Leute hier sind sehr direkt. Durch | |
ihre Herkunft haben die Menschen Mehrfachzugänge. Sie beobachten nicht nur | |
die Politik in Deutschland, sondern auch alles, was dort passiert, wo sie | |
Familie haben. Es kommen viele Perspektiven zusammen. Ich bin in | |
Obermarxloh aufgewachsen, allein in unserer Nachbarschaft gab es polnische, | |
kroatische, albanische und marokkanische Familien. | |
taz: In Medienberichten wird Marxloh oft als Brennpunkt beschrieben. So | |
heißt auch der Podcast, den Sie mit herausgeben. Was bedeutet „Brennpunkt“ | |
für Sie? | |
Yılmaz: „Brennpunkt“ heißt Realtalk und Humor. Wir machen uns über die | |
lustig, die uns in Geschichten pressen, die nicht unsere sind. „Brennpunkt“ | |
heißt, an die Kämpfe unserer Eltern und Großeltern zu erinnern. | |
„Brennpunkt“ heißt auch stabile Almans, die solidarisch sind. Du lernst von | |
der Kindheit an verschiedene kulturelle Codes kennen und Widersprüche | |
auszuhalten. Konflikte schweigen wir nicht weg. Wir gehen volle Kanone | |
rein. Emotional, leidenschaftlich, aufmerksam, selbstkritisch. Stolz auf | |
seine Hood sein und über sich selbst lachen können – das bedeutet für mich | |
„Brennpunkt“. | |
Wir kommen zu einem weißen Bungalow. Über der Tür steht „Kiebitz“. In dem | |
Jugend- und Kulturzentrum hat Burak Yılmaz bis vor Kurzem als | |
Theaterpädagoge gearbeitet. Er selbst war als Jugendlicher auch in | |
Jugendzentren, dort war er unter anderem in einer Tanzgruppe, sie haben | |
Folklore und Breakdance gemischt. | |
Yılmaz: Bis Dezember habe ich hier noch eine Theatergruppe betreut, aber ob | |
es mit ihr weitergeht, steht in den Sternen. Wir haben noch keine neue | |
Förderung. | |
taz: Was haben Sie mit den Jugendlichen gemacht? | |
Yılmaz: Wir haben über alle Fragen gesprochen, die sie bewegen. Zum | |
Beispiel: Wie kann ich schnell einen Mercedes Maybach klarmachen, wie kann | |
ich Schauspielerin werden oder wie kann ich meine Familie versorgen? Was | |
sie aber vor allem beschäftigt hat, waren der Krieg in Gaza und im Libanon, | |
viele haben Familie dort, sie haben um das Leben ihrer Angehörigen gebangt. | |
Da eine emotionale Stütze zu sein, war die halbe Arbeit neben dem | |
Theaterspielen. | |
taz: Der 7. Oktober, der Gazakrieg und die deutsche Debatte darüber haben | |
für die Jugendlichen viel verändert? | |
Yılmaz: Extrem viel. Wir haben in der Theatergruppe zwölf Kids, auch sie | |
sind Teil der Gesellschaft. Es kann doch nicht wahr sein, dass ihre | |
Perspektive und ihre Fragen in den Medien und den Talkshows nicht wirklich | |
verhandelt werden. Wir haben das Thema komplett den Leuten überlassen, die | |
bei Tiktok einfache Lösungen propagieren und auch islamistische und | |
antisemitische Narrative verbreiten. Die Politik hat versagt, die Medien | |
haben versagt und die Schulen haben versagt. Viele Jugendliche haben sich | |
ganz von deutschen Medien abgekehrt. Wir haben sie verloren. Das | |
beschäftigt mich sehr. | |
taz: Was für Fragen haben die Jugendlichen? | |
Yılmaz: Wenn ich mich für Palästina ausspreche, werde ich dann abgeschoben? | |
Was ist eigentlich Antisemitismus und woher kommt das? Wie soll es mit Gaza | |
weitergehen? Aber auch: Wie kann ich über das Leid, das meiner Familie | |
angetan wird, in Deutschland reden? Viele haben nicht verstanden, warum | |
Deutschland so solidarisch mit Israel ist und nicht mit den Palästinensern. | |
Haben die was per se gegen die, haben sie sich gefragt. | |
taz: Inwiefern haben die Schulen versagt? | |
Yılmaz: Einer aus der Theatergruppe hat zum Beispiel in der Klasse von | |
seiner Familie in Gaza erzählt. Die Lehrerin meinte dann aber, dafür sei | |
kein Raum, sie würden jetzt über den 7. Oktober sprechen. Das ist ja auch | |
in Ordnung, aber du kannst nicht die Trauer eines Schülers komplett | |
wegsperren. | |
taz: Sie sind auch selbst öfter an Schulen und halten Vorträge zu | |
Antisemitismus und Rassismus. Wie kam es dazu? | |
Yılmaz: 2009 gab es in Duisburg eine Palästinademo, die von den Grauen | |
Wölfen organisiert war und komplett eskaliert ist. Danach hatte ich | |
Jugendliche im Jugendclub, die muslimisch waren und sich antisemitisch | |
verhalten und geäußert haben. Ich sagte zu meinen Leuten, wir müssen da | |
rangehen innerhalb der Community. Ich wollte auf der einen Seite Raum | |
schaffen für die Rassismuserfahrung der Jugendlichen, aber gleichzeitig | |
auch dagegenhalten, wenn die sich antisemitisch verhalten oder äußern. | |
Daraus entwickelte sich meine Bildungsarbeit. | |
taz: Und was haben Sie nach dem 7. Oktober an den Schulen erlebt? | |
Yılmaz: Ich hatte einen Schulbesuch, da haben Lehrkräfte nur die | |
muslimischen Schülerinnen und Schüler zu meinem Vortrag verdonnert. So nach | |
dem Motto: Jetzt kommt mal einer von euch und erzählt euch, wie das in | |
Deutschland läuft. Oder an einer anderen Schule: Eine Woche zuvor war ein | |
CDU-Politiker da, der hat nur importierten Antisemitismus problematisiert | |
und erzählt, wie toll Deutschland den eigenen Antisemitismus aufgearbeitet | |
hat. | |
Die Schüler und Schülerinnen haben ihm widersprochen, dafür wurden sie | |
gemaßregelt. So eine repressive, autoritäre Art funktioniert nicht. Und ich | |
sag mal: Dass Deutsche – und ich bin selbst deutsch – denken, sie seien das | |
beste Vorbild für den Umgang mit Antisemitismus, das ist ein großer Witz. | |
Diese Überlegenheit – ohne einmal die eigene Familiengeschichte | |
aufgearbeitet zu haben –, wie unsympathisch kann man sein? | |
taz: Dass der Nahostkonflikt an Schulen wenig Raum hat, liegt sicherlich | |
auch an der Sorge vor einer Eskalation. | |
Yılmaz: Ich habe seit dem 7. Oktober über 170 Schulen besucht, und nie ist | |
es irgendwie eskaliert. Natürlich sind die Jugendlichen emotional, die sind | |
14 und 15, die politisieren sich in dem Alter. Aber dann darf ich als | |
Erwachsener nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, sondern muss mir Methoden | |
aneignen, um zu deeskalieren. | |
taz: Wie zum Beispiel? | |
Yılmaz: Bei meinem Vortrag gebe ich den Schülern die Möglichkeit, über ihre | |
Gefühle in Bezug auf Palästina zu sprechen. Und gleichzeitig versuche ich, | |
sie auch immer zu einem Perspektivwechsel zu bewegen. Ich frage, wie sie | |
wohl glauben, dass es [2][der jüdischen Community] gerade in Deutschland | |
geht. Da kommt dann auch viel Empathie. „Muss voll heftig sein“, war eine | |
Antwort. Und wir reden über rassistische und antisemitische Momente in der | |
eigenen Familie und im Freundeskreis. Es geht darum, positive Visionen zu | |
entwickeln, gerade jetzt, wo viele Leute Bock auf Apokalypse haben, und vor | |
allem darum, die Jugendlichen ernst zu nehmen. | |
taz: Zusammengefasst – [3][ein Gespräch auf Augenhöhe.] | |
Yılmaz: Wenn sie sich gesehen und gehört fühlen, dann checken die, der will | |
mich nicht verändern. Sie lassen sich viel mehr darauf ein. Ich kenne das | |
ja selbst von früher. Wenn ein Lehrer mich verändern wollte, habe ich aus | |
Trotz provoziert. Mir war früh klar, dass ich das anders machen will. | |
taz: Was für Erfahrungen hatten Sie mit Lehrer*innen? | |
Yılmaz: Ich gehöre zu dieser 9/11-Generation, beim Anschlag auf das World | |
Trade Center war ich 14. Damals wurden meine Freunde und ich, egal auf | |
welcher Schule wir waren, im Klassenzimmer dafür verantwortlich gemacht, | |
wenn irgendwelche Terroranschläge passiert sind. Ich habe mich immer | |
gefragt: Was habe ich damit zu tun? | |
taz: Das ging manchen Jugendlichen nach dem 7. Oktober sicherlich ähnlich. | |
Yılmaz: Für mich war das voll der Flashback, gerade an den Schulen sah ich | |
genau dieselben Mechanismen. Ich war damals einer von zweien aus dem | |
Stadtteil am Gymnasium, das war ein katholisches Elitegymnasium. Ein Lehrer | |
hat mich gefragt, warum den Kindern in muslimischen Familien immer so | |
radikale Sachen beigebracht werden. Ich habe erzählt, dass ich schon mit | |
vier Jahren Messerweitwurf gelernt habe. Und, Alter, der hat das geglaubt. | |
Ich habe mir dann zum Hobby gemacht, den Unterricht zu stören. Ich dachte | |
mir: Wenn Leute uns als Stück Scheiße betrachten, dann bewerfen wir sie mit | |
diesem Stück Scheiße. Es ist egal. Selbst wenn wir uns artig und wie die | |
größten Schnösel benehmen, die Vorurteile bleiben. | |
taz: Was hätten Sie sich von Ihren Lehrer*innen gewünscht? | |
Yılmaz: Dass sie mich verstehen. Ich hatte eine Lehrerin, die war super. | |
Die hat mir eine geile Frage gestellt, so ein paar Monate nach 9/11. Sie | |
fragte: Was machen diese Debatten eigentlich mit dir? Ich war richtig | |
gerührt, ich habe fast geheult. Sie hat mit mir keine Korandebatte geführt. | |
Sie hat gespürt: Bei dem ist was los. | |
taz: Was ging in Ihnen vor in dieser Zeit? | |
Yılmaz: Ich war einsam und emotional überfordert. Die Gesellschaft hatte | |
sich voll gegen einen gerichtet. Aus Frust habe ich Chips und Cola in mich | |
reingestopft. Meine Eltern hatten beide Schichtarbeit. Die ersten | |
Propagandavideos von al-Qaida waren im Netz, die haben uns gefesselt. Ich | |
habe gemerkt, wie sich Menschen in meinem Umfeld radikalisierten. Ein Teil | |
meines Freundeskreises wollte dann ihr Glück bei einer | |
türkisch-islamistischen Sekte finden. Wenn ich heute Jugendlichen erzähle, | |
wie ich da rausgekommen bin, hilft das auch ihnen. | |
taz: Und, wie sind Sie da rausgekommen? | |
Yılmaz: Ich habe früh begriffen, dass das nichts für mich ist. Und zum | |
Glück hatten auch meine Eltern ein Auge drauf. Dass die das überhaupt neben | |
der Schichtarbeit konnten, finde ich schon krass. Mein Vater war | |
Werkstoffprüfer, meine Mutter Krankenschwester. Mein Vater, der hier in | |
einem Fußballverein auch Trainer war, hat mich motiviert, mich | |
gesellschaftlich zu engagieren. Ich habe als Schiedsrichter angefangen, das | |
Training und die Spiele haben mir Struktur gegeben. Ich habe den | |
Freundeskreis verkleinert und nicht mehr mit allen abgehangen. Und die | |
Gespräche mit meinen Eltern waren krass. Weil die sich geöffnet haben und | |
davon erzählten, wie schwer ihr Weg als türkisch-kurdisches Paar war. | |
taz: Ihr Vater ist Türke, Ihre Mutter Kurdin. | |
Yılmaz: Sie mussten mit ihrer eigenen Familie kämpfen, nur um mit jemandem | |
zusammen zu sein. Das war für mich voll die Inspiration. | |
Da es eisig ist, geht es in eine türkische Bäckerei. Zum Aufwärmen gibt es | |
Linsen- und Rinderzungensuppe. | |
Yılmaz: Richtige türkische Hausmannskost. | |
taz: Wie war es, mit einem kurdischen und einem türkischen | |
Familienhintergrund aufzuwachsen? | |
Yılmaz: Krass. Zum Beispiel spielt im türkischen Teil meiner Familie | |
Militär eine große Rolle. Ich erinnere mich, dass ich bei einem türkischen | |
Verwandten im Wohnzimmer saß, an der Wand hing das Bild von einem Offizier. | |
Er erzählte mir, was für ein Kriegsheld das war. Am selben Tag war ich bei | |
meiner kurdischen Familie und erzählte ihnen stolz, wie toll dieser | |
Offizier ist. Da nahm mich mein Onkel zur Seite und sagte mir, der Typ sei | |
gar kein Held, sondern ein Verbrecher, er habe unsere Leute abgeschlachtet. | |
Es hat mich sehr geprägt, dass eine geteilte Wahrheit fehlte. | |
taz: Haben Sie wegen der kurdischen Herkunft Feindseligkeiten erlebt? | |
Yılmaz: Dass wir auch Kurden sind, habe ich erst begriffen, als 1998 | |
Abdullah Öcalan festgenommen wurde, der Gründer der PKK. Hier im Stadtteil | |
gab es Straßenschlachten zwischen Türken und Kurden, meine Eltern haben mir | |
damals verboten rauszugehen. Die anderen Kinder haben gefragt: Bist du | |
Türke oder Kurde? | |
taz: Was haben Sie geantwortet? | |
Yılmaz: Dem ersten habe ich noch erzählt, dass meine Mama aus einer | |
kurdischen Familie kommt. Er hat mich als Hurensohn beschimpft und mir | |
Gewalt angedroht. Die waren halt auch von ihren Eltern vollgepumpt. Danach | |
habe ich immer stark abgewogen, wem ich das erzähle. | |
taz: Heute sprechen Sie sehr offen darüber. | |
Yılmaz: Ich habe eine Sprache gefunden für das, was ich erlebe. Ich habe | |
begriffen, dass das Schweigen auch internalisierter Rassismus ist. Offen | |
und ohne Scham zu sagen: Ja, ich bin Kurde, das war total befreiend. | |
taz: Sie bezeichnen sich auch als „migrantischen Alman“. Wie fühlt es sich | |
als solcher gerade in Deutschland an? | |
Yılmaz: Angespannt. Nach wenig Schlaf. Kopfschmerzen. Und sehr distanziert. | |
taz: Es gibt einen gesellschaftlichen Rechtsruck. Im Wahlkampf ging es | |
ständig um Migration, und die allermeisten Parteien forderten einen | |
schärferen Kurs. | |
Yılmaz: Die deutsche Politik hat sich radikalisiert. Wenn wirklich jedes | |
Problem zu einem Migrationsproblem gemacht wird, dann sind rechtsextreme | |
Gedanken schon so sehr zum Mainstream geworden, dass es den Leuten und den | |
demokratischen Parteien nicht mal auffällt. | |
taz: Was löst das bei Migrant*innen aus? | |
Yılmaz: Trauer, Wut, Verzweiflung. Man muss echt aufpassen, dass der Hass, | |
der einem begegnet, nicht den Weg ins eigene Herz findet und sich dort | |
ausbreitet. Erst recht, wenn Menschen, zum Beispiel auch salafistische | |
Prediger, das auszunutzen und den Hass zu verstärken versuchen, um ihre | |
Ideologien als einfache Antworten zu verkaufen. | |
Ich lese oft: „Wann kommt der Migrantenstreik?“ Sorry, aber die Almans | |
sollen streiken. Ich will bezahlten Urlaub für Migranten. Wir kommen dann | |
wieder zurück, wenn hier alles in Ordnung ist. Aber Spaß beiseite: Auch | |
diese Krise werden wir überleben. Wir sind stark und gehören hierhin, uns | |
wird keiner abschieben, dieses Land gehört auch uns. | |
taz: Sie haben noch im November gesagt: Sie wollen keinen Wahlkampf, bei | |
dem Tag für Tag die Sicherheit und Existenz migrantischer Deutscher | |
verhandelt wird. Haben wir genau das erlebt? | |
Yılmaz: Ja, das war der rassistischste Wahlkampf, den ich je erlebt habe. | |
Nicht nur die AfD. In Bezug auf Sicherheit bedeutet das für mich, dass wir | |
mit härteren Zeiten rechnen müssen. Womöglich brauchen wir auch eine Form | |
von Selbstorganisation. | |
taz: Was meinen Sie? | |
Yılmaz: Zuletzt habe ich mit einem Kumpel geguckt, wie die Leute aus | |
Duisburg abgehauen sind, als die Nationalsozialisten an der Macht waren. | |
Sie nahmen die Route über Venlo in die Niederlande. Die Strecken haben wir | |
ausgedruckt, vielleicht brauchen wir die noch. Das war zwar nicht ganz | |
ernst gemeint, aber es ist ein Szenario, mit dem ich mich auseinandersetze. | |
Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die AfD noch belächelt, jetzt ist sie | |
zweitstärkste Kraft. Was ist bei der nächsten Bundestagswahl? Wird Höcke | |
dann Kanzler? Ich will alle Szenarien durchspielen, aber gleichzeitig | |
Hoffnung bewahren. | |
taz: Was gibt Ihnen momentan Hoffnung? | |
Yılmaz: Letztens saß ich im Bus. Da kam eine schwarze Frau mit ihren | |
Kindern in den Bus, ein paar Haltestellen später ein älterer Mann, so Mitte | |
fünfzig, der die rassistisch beleidigt hat. Die Busfahrerin hat mitten auf | |
der Hauptstraße gehalten und ihn rausgeschmissen. Ich glaube immer noch, | |
die Mehrheit in diesem Land möchte Demokratie, möchte Menschenrechte und | |
kämpft auch dafür. Jetzt müssen alle aktiv werden, keiner kann sich noch | |
zurücklehnen. | |
15 Mar 2025 | |
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