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# taz.de -- Klimaschutz an Schulen: Die Saat geht langsam auf
> Tausende Schulen thematisieren und praktizieren heute bereits
> Klimaschutz. Manchen Aktivist:innen geht das aber noch nicht weit
> genug.
Bild: Mit ihren Demos, hier am Global Strike Day in Berlin, zeigen Schüler:inn…
Berlin taz | Für das Klima legt sich die Leipziger
Louise-Otto-Peters-Schule ins Zeug: Die Schüler:innen trennen Müll und
sparen Energie – jedes Schuljahr etwa so viel, wie drei Einfamilienhäuser
in einem Jahr verbrauchen. Zum Dank teilt die Stadt die eingesparten Gelder
mit dem Gymnasium. Der Klimaschutz sei aber auch fester Bestandteil des
Unterrichts, erzählt Lehrer Nico Ocken, der auch Klimabeauftragter der
Schule ist.
So findet in den Klassen acht bis zehn der Profilunterricht „Nachhaltig
Denken und Handeln“ statt. Dort geht es beispielsweise um Upcycling oder
nachhaltige Firmengründungen. Ab der elften Klasse gibt es sogar einen
Grundkurs Globale Herausforderungen. „Das Interesse daran ist ziemlich
groß“, so Ocken. „Im Schnitt belegen 70 Prozent den Wahlkurs“. Insgesamt
mache die Schule deutlich mehr, als der Lehrplan vorschreibt.
Für ihr Engagement darf sich die Louise-Otto-Peters-Schule „Klimaschule“
nennen und erhält finanzielle Zuschüsse. Der Freistaat Sachsen startete die
Initiative im Jahr 2015 mit zehn Modellschulen, darunter die
Louise-Otto-Peters. „Wir haben schnell gemerkt, dass junge Menschen der
Klimaschutz umtreibt“, sagt Ocken. Für die relativ junge Schule war das ein
willkommener Anlass, Klima zum Schulprofil zu machen.
Mit den [1][großen Fridays For Future-Protesten 2019] ist das Thema dann
auch an anderen Schulen groß geworden. Mittlerweile gibt es 41
„Klimaschulen“ in Sachsen. Sie alle müssen einen Klimaschulplan mit
konkreten Maßnahmen vorlegen und auch umsetzen. Laut dem sächsischen
Bildungsministerium leisten die Schulen damit „einen wichtigen Beitrag zur
Klimaarbeit vor Ort und somit auch zum Erreichen der sächsischen
Klimaziele“.
## Klima-/Umwelt-/Zukunftsschulen
Viele Bundesländer haben ähnliche Programme – und auch dort steigt nach
Angaben der Bildungs- und Umweltministerien die Beteiligung. In Hamburg, in
denen es ebenfalls „Klimaschulen“ gibt, ist deren Zahl in diesem Schuljahr
auf 98 angewachsen. Auch die „Umweltschulen“ in Hessen (218), die „Schulen
der Zukunft“ in Nordrhein-Westfalen (910) oder die „Nachhaltige Schulen“
(147) in Rheinland-Pfalz werden stetig mehr.
Neben diesen und weiteren Landesprogrammen gibt es noch zahlreiche Labels,
die Vereine oder Organisationen vergeben: Das größte unter ihnen –
„Umweltschule in Europa“ von der Deutschen Gesellschaft für Umwelterziehung
– tragen bundesweit bereits mehr als 1.600 Schulen.
Die Ministerien erkennen darin das hohe Engagement von Schüler:innen und
Lehrkräften fürs Klima. „Ich bin beeindruckt von den Leistungen der knapp
100 Schulen“, lobt beispielsweise die Hamburger Schulsenatorin Ksenija
Bekeris (SPD). Auch in Hamburg müssen die „Klimaschulen“ einen
Klimaschutzplan und konkrete Maßnahmen vorlegen. So werde Klimaschutz zum
zentralen Bestandteil ihrer Bildungsarbeit, so Bekeris.
Die Ministerien betonen auf taz-Anfrage aber, dass Klimathemen an allen
Schulen ausreichend behandelt würden. Aus Rheinland-Pfalz etwa heißt es:
Die „Lerninhalte der Nachhaltigkeits- und Klimabildung sind mittlerweile in
den Lehrplänen aller Schularten aufgenommen worden“. In anderen wie in
Sachsen gelten sie sogar als Leitlinie „für alle Fächer in allen
Jahrgangsstufen“, wie ein Sprecher im Dresdner Bildungsministerium
mitteilt. Tatsächlich finden sich in den Lehrplänen aller 16 Länder heute
explizite Verweise auf die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).
## Jedes Fach allein
Lehrerverbandschef Stefan Düll begrüßt die Entwicklung.
„Nachhaltigkeitsthemen spielen im Schulalltag zwar schon länger eine Rolle,
aber nicht immer unter dem Label BNE“, sagt Düll der taz. So werde
beispielsweise im Fach Chemie über Umweltbelastung oder in Biologie über
gesunde Ernährung gesprochen. Auch in Fremdsprachen („Greenhouse Effect“)
oder Gesellschaftsfächern („Geschlechtergerechtigkeit“) würden BNE-Themen
aufgegriffen – selten aber fächerübergreifend: „Die Zusammenschau von
solchen Nachhaltigkeitsthemen findet bisher noch zu wenig statt“, räumt
Düll ein.
Die erneuerten Lehrpläne seien deshalb hilfreich, um inhaltliche
Verbindungen zu anderen Fächern zu entdecken. Düll warnt aber davor, den
Begriff BNE durch eine häufigere Verwendung zu entwerten – wie etwa das
„abgegriffene abstrakte“ Schlagwort „Werte“ in der Demokratiebildung. �…
alle glauben zu wissen, worüber man spricht, weiß keiner mehr wirklich,
worum es konkret geht, und niemanden ist geholfen“.
Nach den Plänen der Kultusministerkonferenz (KMK) sollen BNE-Themen nicht
nur anschaulich unterrichtet, sondern möglichst praktiziert werden. In
einem [2][Beschluss aus dem Sommer 2024] empfehlen sie, „die gesamte
Institution Schule nachhaltiger zu gestalten und sie selbst zum Gegenstand
von Schulentwicklungsprozessen zu machen“. Heißt: Schulen sollen den
Jugendlichen nicht nur Wissen zur Klimakrise vorsetzen, sondern
Zukunftsthemen wie Klimaanpassung in demokratischeren Prozessen vorleben.
Mehr saisonale Mensa und ressourcenschonender Schulgarten, weniger
Frontalunterricht.
Whole School Approach nennen Schulpädagog:innen das Konzept, das sich
auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen stützt. Doch
inwieweit dieser ganzheitliche Ansatz auch gelebt wird, ist fraglich – noch
dazu in Zeiten, in denen das knappe Personal oft nur mit Mühe den regulären
Fachunterricht stemmen kann.
## Schüler:innen wollen mitentscheiden
Lehrerverbandschef Düll sieht die Schulen trotz der prekären
Personalsituation schon gut aufgestellt. Für nachhaltige Prozesse sei das
Bewusstsein an Schulen hoch – nicht zuletzt dank den Fridays for Future,
die die Schulen zur Auseinandersetzung mit Klimathemen und auch zur
Positionierung zu den Klimaprotesten gezwungen hätten. Damals habe sich
jede Schule die Frage gestellt, ob sie [3][Schülerinnen und Schüler in
ihrem Streik unterstützen] sollten oder nicht. In Fragen der
Schulentwicklung komme er als Schulleiter jedenfalls nicht mehr an
Nachhaltigkeit vorbei, so Düll. „Ganz egal, ob es um Plastikvermeidung auf
Schulfesten oder den ökologischen Umbau des Schulgebäudes geht“.
Aus Sicht der Bundesschülerkonferenz sind jedoch noch weitere Schritte
nötig. „Wir freuen uns zwar, dass es heute mehr Bezüge zu Klimaschutz im
Unterricht gibt als noch vor ein paar Jahren“, sagt Generalsekretär Fabian
Schön der taz. Allerdings kämen die Themen nur punktuell und oft nur in
Fächern wie Biologie oder Geographie vor. Für fächerübergreifende Projekte
sei im straffen Schulalltag meist keine Zeit.
„Viele Lehrkräfte sind schon damit überfordert, neben ihrer Aufgabe als
Lehrkraft auch Verwaltungsfachkraft und IT-Assistenz zu sein“, so Schön.
„Eine nachhaltige Schule, in der Schüler mitentscheiden und
Selbstwirksamkeit erfahren können, ist für die meisten von uns Utopie“. Im
März will die Bundesschülerkonferenz Vorschläge erarbeiten, was sich ändern
muss, damit Schulen die Ziele nachhaltiger Bildung besser umsetzen können.
Eines sei aber jetzt schon offensichtlich, so Schön: „Ohne eine Straffung
der Lehrpläne wird es nicht genügend Freiräume für nachhaltige Bildung
geben“.
Diese Sicht teilen auch Pädagog:innen. Etwa Silke Müller-Lehmann vom Verein
Teachers for Future Germany. Müller-Lehmann hat mehr als 20Jahre an
verschiedenen Schularten in Baden-Württemberg Deutsch, Geschichte und
Gemeinschaftskunde unterrichtet. Seit drei Jahren ist sie an der
Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg abgeordnet, um Seminare für angehende
Lehrkräfte zu geben – und sieht dort ähnliche strukturelle Defizite wie an
den Schulen.
## Gute Konzepte wie der „Frei Day“
„Es gibt weder an Schulen noch an Hochschulen eine Kultur für
transformative Bildung“, so Müller-Lehmann. So seien BNE-Themen zwar schon
vor rund zehn Jahren in den Lehrplänen verankert worden. Ob und wie sie
umgesetzt werden, hänge von einzelnen Lehrkräften oder
Schulleiter:innen ab. Meist behandelt jede Lehrkraft das Thema nur
einzeln im eigenen Unterricht. „Mehr passiert nur, wenn jemand für das
Thema brennt“.
An den Pädagogischen Hochschulen sei das ähnlich. Dort lernten
Geographie-Studierende zwar viel über aktuelle Themen wie Klimaanpassung
und auch die moderne Vermittlung dieses Wissens. Um das Wissen aber für
einen nachhaltig gelebten Schulalltag einbringen zu können, müsste anders
gedacht werden: „Die Fachwissenschaften, die Fachdidaktik und die Pädagogik
müssten mehr zusammenarbeiten“.
Müller-Lehmann würde es begrüßen, wenn künftig alle Lehramtsstudierende
verbindliche Module zu Schulentwicklungsprozessen erhielten. Das würde die
Chancen erhöhen, dass BNE-Themen nicht allein vom Fach her gedacht würden –
und später dann nur top-down im Unterricht vorkämen. Aus Sicht von Teachers
for Future müssen sich vor allem aber die Lernstrukturen an Schulen ändern.
So, dass die sich eine Teamkultur etabliert und es mehr Zeit gibt für
fächerübergreifendes Lernen.
Wie bei dem bundesweiten Modellprojekt „Frei Day“, an dem sich
Schüler:innen projektbasiert mit Zukunftsthemen auseinandersetzen. Auch
in Baden-Württemberg sollen die ersten 20 Schulen diesen Ansatz offiziell
testen dürfen. Zu klein gedacht, findet Silke Müller-Lehmann: „Wenn wir
unsere Schülerinnen und Schüler befähigen wollen, für die Zukunft gerüstet
zu sein, müssen wir allen Schulen solche Freiräume geben“.
## Wie geht es in Sachsen weiter?
Gegen Labels wie „Zukunftsschulen“ oder „Klimaschulen“ habe sie nichts.
„Aber mich stört, dass die Ministerien sich gerne hinter solchen
Vorzeigeschulen verstecken und sagen: Schaut, ihr habt doch alle
Freiheiten“. Dadurch werde die Klimabildung zur Glückssache – und teils
auch zur Klassenfrage. Als langjährige Lehrkraft an einer
Gemeinschaftsschule weiß Müller-Lehmann: Die Ressourcen für Engagement sind
nicht an allen Schulen gleich hoch.
Auch Lehrer Nico Ocken von der Leipziger Louise-Otto-Peters-Schule hadert
mit den Ressourcen. Neben garantierten 1.000 Euro konnte die „Klimaschule“
bislang immer bis zu 4.000 weitere Euro für Exkursionen oder spezielle
Lehrmittel beantragen. Seit vergangenem Jahr sind es nur mehr 2.000 Euro.
Ocken und sein Kollegium fragen sich, ob die neue schwarz-rote
Landesregierung die Klimaschulen auch in Zukunft weiter fördern wird –
jetzt, wo die Grünen nicht mehr in der Regierung sind.
16 Jan 2025
## LINKS
[1] /SchuelerInnenstreik-Fridays-For-Future/!5581752
[2] https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2024/2024_06_…
[3] /Lehrerverbandschef-zu-Fridays-for-Future/!5575715
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
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