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# taz.de -- Wie der NDR über Bauern berichtet: Ach, du heile Ackerwelt
> Der NDR berichtet neuerdings oft einseitig positiv über Landwirtschaft.
> Manche führen diesen Trend auf den Druck durch die Bauernproteste zurück.
Bild: Saftiges Gras, zufriedenes Vieh – finstere Wolken
Bauernhof, das ist Idyll. Zumindest in einigen Sendungen des NDR. Der
öffentlich-rechtliche Sender ist in jüngster Vergangenheit immer wieder
durch einseitige Berichte über die Landwirtschaft aufgefallen – und zwar
zugunsten des Bauernverbandes und nach rechts tendierender Landwirte.
Vorläufiger Höhepunkt ist die zweite Folge des gemeinsam mit dem BR
produzierten Formats [1][„Klar“]. Sie kann als Werbung für die AfD
interpretiert werden.
Die 45-minütige Reportage stammt von einem Team um die
Focus-online-Kolumnistin Julia Ruhs, die bekannt wurde auch durch ihre
Kritik an [2][„queeren Gaga-Workshops“] oder [3][„woken“] Stellen im
Koalitionsvertrag. Die „Klar“-Folge „Der Frust der Bauern“ hätte ähnl…
unausgewogen und unkritisch gegenüber der AfD auch bei rechtspopulistischen
Sendern wie Nius oder Auf1 laufen können.
Gleich in der ersten Minute bekennt der schleswig-holsteinische Milchbauer
Thomas Schneekloth, er habe bei der Bundestagswahl im Februar für die
rechtsradikale Partei gestimmt. Danach folgen etliche Minuten Klagen: dass
die CDU nach links gerutscht sei, dass die Bauern so viel für die Umwelt
leisten müssten, um EU-Agrarsubventionen zu bekommen, dass viele Höfe
gefährdet seien.
Immerhin fragt die Reporterin Schneekloth am Ende, ob er glaube, was ein
Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz festgestellt hat: dass die
AfD rechtsextremistisch sei. „Nee, glaube ich nicht. Ich glaub’
tatsächlich, dass die Regierung damit die Opposition bloß kleinhalten
will.“ Schneekloths Antwort bleibt unwidersprochen. Die Reporterin hakt
nicht nach, konfrontiert den abgedrifteten Landwirt auch nicht mit
unangenehmen Wahrheiten wie damit, [4][dass AfD-Politiker bereits mehrfach
Andersdenkende gewaltsam angegriffen haben].
## „Gefährliche Vereinfachung“
Auch Landwirte kritisieren dieses journalistische Niveau im Umgang mit
Schneekloths Äußerungen. „Die ARD-Sendung unterzieht seine Entscheidung
keiner kritischen Betrachtung. Es entsteht der fatale Eindruck, die AfD sei
eine legitime Antwort auf agrarpolitische Missstände“, schreibt die
Milchbäuerin [5][Kirsten Wosnitza in ihrem Blog].
Dabei handele es sich um eine „Partei, die menschenverachtend,
populistisch, fremdenfeindlich und wirtschaftlich rücksichtslos
argumentiert – und den Bauern das Blaue vom Himmel verspricht“. Die ARD
verschaffe mit dieser Sendung solchen Positionen auch Anschlussfähigkeit.
„Das war keine differenzierte Analyse, sondern eine gefährliche
Vereinfachung.“ Journalistische Verantwortung sehe anders aus.
Stimmen wie die von Wosnitza, die sich ablehnend gegenüber der AfD äußern,
kommen in der Sendung nicht zu Wort. Ebenso fehlen die von Umweltschützern
oder Wissenschaftlern, die abseits von rechts, links Missstände in der
Landwirtschaft einordnen. Die einzige Gegenstimme ist eine Sprecherin der
Tierrechtsgruppe Animal Rebellion. Diese Organisation ist aber extrem klein
und radikal – die Aktivistin lehnt im „Klar“-Interview jegliche
Nutztierhaltung ab. Sie kann auf keinen Fall repräsentativ Kritik an
Missständen in der Landwirtschaft vorbringen.
Die Sendung erwähnt auch nicht, weshalb es überhaupt Umweltgesetze und
Regeln gibt, an die sich Bauern halten müssen: [6][Laut Umweltbundesamt
verursachte die Landwirtschaft 2023 inklusive der Emissionen aus Böden und
Maschinen 14 Prozent der Treibhausgase in Deutschland]. Viele Tiere werden
unter Bedingungen gehalten, die ethisch bedenklich sind. Mit Pestiziden und
zu viel Dünger trägt die Branche dazu bei, dass immer mehr Tier- und
Pflanzenarten aussterben.
## „Klar“-Episode „unterirdisch“
Für Ottmar Ilchmann, den niedersächsischen Landesvorsitzenden der
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die kleine und mittlere Höfe
vertritt, war die „Klar“-Episode „unterirdisch“. Der Landwirt sieht sie…
Teil eines Trends. „Früher hat der NDR auch sehr kritisch berichtet“,
erinnert er sich. Nun sei er „insgesamt sehr unkritisch“ geworden. „Es ist
krass, wie sehr der NDR jetzt auf Bauernverbandslinie eingeschwenkt ist.“
Diese Tendenz ließ sich schon 2024 daran erkennen, wie der NDR auf einen
Shitstorm gegen die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper reagierte. Die
Wissenschaftlerin hatte in einem knapp [7][3-minütigen Interview] der
Regionalfernsehsendung „Hallo Niedersachsen“ über die Bauernproteste
gesagt, der damalige Sprecher des Bauernvereins LSV Deutschland, der
Influencer Anthony Lee, sei „durch rechtsextreme bis hin zu
rechtspopulistischen Aussagen aufgefallen“. Daraufhin wurde die Doktorandin
tagelang bombardiert mit Anrufen und teils beleidigenden, vulgären E-Mails.
Und Lee verklagte die Forscherin.
Statt über die Hetze gegen Pieper zu berichten, fuhr ein NDR-Team zu Lee
und gab ihm in einem über [8][6-minütigen Beitrag] die Gelegenheit, sich zu
präsentieren: Lee auf dem Trecker, Lee auf einem idyllischen Bauernhof, Lee
beim Aufnehmen eines neuen Youtube-Videos. Zwar erwähnte der Beitrag auch,
dass der Influencer wahrheitswidrig behauptet hatte, Politiker würden
Bauern ihr Land zugunsten von Flüchtlingen wegnehmen wollen. Und dass Lee
unter anderem mit der Zugehörigkeit seines Großvaters zur Waffen-SS
erklärte, warum er Klartext rede. Dennoch behauptete der Reporter, es gebe
bisher keine Belege für rechtsextreme Äußerungen von Lee. Dass der Landwirt
später sämtliche Klagen gegen Pieper verlor, verschwieg „Hallo
Niedersachsen“ seinen Zuschauern.
Noch mehr auf heile Welt setzte die „Nordreportage“. Der Verzicht auf
kritische Worte wirkt wie das Prinzip der Vorabendfernsehsendung. Auch wenn
es um Landwirtschaft geht. Da wird etwa viel Verständnis für eine
sympathische Apfelbäuerin aus Niedersachsen geweckt, die auch Erntehelfer
aus Polen beschäftigt. Dass Saisonarbeit in der Landwirtschaft
Gewerkschaftern zufolge oft Ausbeutung ist, dass immer wieder Erntehelfer
um Lohn geprellt werden – das spart die Sendung aus. Genauso wie die Folgen
der im Obstanbau häufigen Pestizideinsätze für Umwelt und Gesundheit.
## Keine Gefahr fürs Trinkwasser?
Auch im Hörfunk ist es nicht besser, zum Beispiel bei „63 Hektar“, dem 2023
gestarteten Landwirtschaftspodcast von NDR Niedersachsen. Gastgeberin –
wohlgemerkt nicht nur Gästin – ist die Landwirtin und Inhaberin einer
[9][PR-Agentur für Agrarfirmen]: Maja Mogwitz. Man könnte sie also auch als
Lobbyistin bezeichnen. Ihren unbedarft wirkenden Co-Host, einen
Journalisten, unterbricht Mogwitz beispielsweise [10][in der im August 2024
erschienen Folge über Nitrat] aus Düngemitteln im Wasser ständig. Er
schafft es auch inhaltlich kaum, ihr Paroli zu bieten.
Unerwähnt bleibt, dass manche Bauern sehr wohl ein Interesse daran haben,
mehr zu düngen, als für die Pflanzen nötig wäre – nämlich, um die viele
Gülle aus den Ställen auf den Feldern zu entsorgen. Sehr prominent betonen
die Hosts dafür, es gehe nur um Nitrat im Grundwasser, nicht im
Trinkwasser: „Unser Wasser ist sicher.“ Die Hörer erfahren aber nicht, dass
das meiste Trinkwasser in Deutschland aus Grundwasser gewonnen wird.
Bauer Ilchmann vermutet, dass der NDR dem Druck der Agrarlobby nachgegeben
habe. [11][Im Februar 2024 demonstrierten Landwirte mit Traktoren vor den
Funkhäusern der Anstalt in Hamburg und Hannover]. Sie forderten, dass mehr
und positiver über die Bauernproteste berichtet werde. Über das Interview
mit der Agrarsoziologin Pieper zu genau dieser Protestwelle beschwerte sich
auf Facebook Heike Müller, die damals nicht nur Vizepräsidentin des
Bauernverbands von Mecklenburg-Vorpommern, sondern ebenfalls [12][Mitglied
im NDR-Rundfunkrat] war; letzteres ist sie bis heute. Ilchmanns Fazit: „Es
kommt mir ein bisschen vor, als seien da auch Leute eingeschüchtert
worden.“
„Wir verwehren uns gegen den Vorwurf der Einseitigkeit“, schreibt eine
NDR-Sprecherin der taz auf Anfrage. Die Anstalt berichte häufig über
Landwirtschaft, und jede Sendung könne „immer nur einen Ausschnitt“
abbilden. Der Sender schickt zudem eine Liste von Beiträgen, die zeigen
sollen, dass er auch kritisch über das Thema berichtet, allen voran einer
des Investigativmagazins „[13][Panorama]“ über den umstrittenen Präsident…
des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner. Dieser und andere
Beiträge enthalten auch Gegenrecherchen, die kritisierte Seite kann sich
ausreichend rechtfertigen.
Doch die Positivbeispiele können nicht legitimieren, dass andere, teilweise
sehr prominente NDR-Sendungen diese journalistische Grundregel eklatant
verletzen. Dass „Klar“ unwidersprochen Pro-AfD-Stimmen sendete, dass eine
Agrarlobbyistin Co-Host eines Podcasts ist, dass wichtige negative Fakten
in mehreren Sendungen fehlten – all das dementiert der NDR nicht.
22 Jun 2025
## LINKS
[1] https://www.ardmediathek.de/video/klar/der-frust-der-bauern/ndr/Y3JpZDovL25…
[2] https://www.focus.de/politik/deutschland/queere-gaga-workshops-gott-gegende…
[3] https://www.focus.de/politik/meinung/julia-ruhs-in-einem-punkt-ist-merz-koa…
[4] /Gewaltbereite-AfD-Politikerinnen/!6089080
[5] https://diskuhsion.com/2025/06/13/zwischen-frust-und-verantwortung/#more-33…
[6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/landwirtschaft-umweltf…
[7] https://www.ardmediathek.de/video/hallo-niedersachsen/hallo-niedersachsen-o…
[8] https://www.ardmediathek.de/video/hallo-niedersachsen/bauernprotest-ist-ant…
[9] https://www.jungundlandwirtin.de/
[10] https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/Nitrat-im-Grundwasser-Laesst-sich-der…
[11] /Demonstrationen-gegen-Presse/!5990040
[12] https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/rundfunkrat/Landesrundfunkrat-Meckl…
[13] https://www.ardmediathek.de/video/panorama/landwirtschaft-bauernpraesident…
## AUTOREN
Jost Maurin
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