# taz.de -- Crime-Thriller „Caught Stealing“: Krimi statt Kosmos | |
> Ein Barkeeper stolpert in die New Yorker Unterwelt: Der actionreiche | |
> Crime-Thriller „Caught Stealing“ ist ungewöhnlich für Regisseur Darren | |
> Aronofsky. | |
Bild: Hier ist die Idylle noch intakt: Yvonne (Zoë Kravitz) und Hank (Austin B… | |
Es scheint fast schon eine ungeschriebene Regel zu sein, dass Darren | |
Aronofsky immer dann die positivste Resonanz erzielt, wenn sich seine Werke | |
nicht dem Metaphysischen widmen, sondern dem Weltlichen, dem Greifbaren, | |
dem Konkreten. Dort, wo sich die Handlung schnell zusammenfassen lässt, ist | |
das Echo des Feuilletons in der Regel am wohlwollendsten und die | |
Wertschätzung bei Preisverleihungen am größten. | |
Besonders eindrucksvoll zeigte sich das bei [1][„Black Swan“ (2010)], einem | |
Psychothriller um eine ehrgeizige Ballerina (Natalie Portman), die im | |
Streben nach Perfektion allmählich den Bezug zur Realität verliert. Der | |
Film erhielt nicht nur fünf Oscar-Nominierungen, sondern brachte dem | |
US-amerikanischen Filmemacher auch seinen bislang einzigen Academy Award | |
für die beste Regie ein. | |
Bereits zwei Jahre zuvor hatte [2][Darren Aronofsky mit „The Wrestler“ | |
(2008)] eine ähnliche Wirkung erzielt. Das Sportdrama um einen gealterten | |
Profikämpfer (Mickey Rourke), der zwischen ruinierter Gesundheit und | |
gescheitertem Privatleben um die letzte Anerkennung seiner Karriere ringt, | |
wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und gilt gemeinhin | |
als der zugänglichste Film seines Werks. | |
Bislang zumindest, denn diesen Rang beansprucht nun „Caught Stealing“ für | |
sich. Der neueste Film von Darren Aronofsky lässt sich aufgrund der | |
zahlreichen, bewusst bizarren Wendungen zwar nicht ganz so einfach in | |
wenigen Worten zusammenfassen, dafür aber umso leichter verschlagworten: | |
ein rasanter Crime-Thriller, der spektakuläre Action mit aufwendig | |
choreografierten Verfolgungsjagden und exzentrischen Figuren verbindet. | |
„Caught Stealing“ fügt sich so nahtlos in ein gegenwärtiges Kino ein, das | |
angesichts der großpolitischen Gemengelage gern entweder direkt in | |
abseitige Szenarien flüchtet oder – wie Ari Asters „Eddington“ und Julia | |
Ducournaus „Alpha“ im diesjährigen Cannes-Programm – noch gut damit zu t… | |
hat, die Disruptionen der vergangenen Jahre, der Corona-Pandemie und ihren | |
gesellschaftlichen Verwerfungen, filmisch aufzuarbeiten. | |
Doch zu Darren Aronofsky, dessen Werk sonst vom Drang nach Schwere und | |
existenziellen Erfahrungen geprägt ist, will diese Hinwendung zum scheinbar | |
Leichten kaum passen. Der Filmemacher selbst sagte gegenüber Empire, er | |
wollte etwas kreieren, das von „Freude und Abenteuer“ durchdrungen sei. Und | |
tatsächlich trägt schon der Auftakt diese Atmosphäre in sich: In einer | |
kleinen Kneipe, erfüllt von Gelächter, Stimmengewirr und dem Dröhnen der | |
Jukebox, wird Austin Butler als trinkfester Barkeeper vorgestellt, | |
souverän, lässig, mit schelmischer Gelassenheit. | |
Das Leben im New York der 1990er Jahre pulsiert zwischen klebriger Theke | |
und flackerndem Neonlicht. Und Hank, so viel wird unmittelbar spürbar, ist | |
einer von den Guten. Als eine Gruppe junger Touristen ausgelassen zu tanzen | |
beginnt und ein grimmiger Stammgast sie unsanft hinauskomplimentieren will, | |
löst er die Situation mit einem letzten Glas aufs Haus. Später, in den | |
frühen Morgenstunden, als er die Bar in der Lower East Side zum Abschließen | |
vorbereitet, erscheint am Fenster eine gut gelaunte Yvonne (Zoë Kravitz), | |
mit der Hank eine lose Beziehung verbindet. | |
Um dieses urbane Idyll zu stören, braucht es allerdings kaum mehr als Matt | |
Smith in seiner bislang wohl komischsten Rolle, als Punk-Nachbar mit | |
Irokesenschnitt und starkem britischen Akzent. Überstürzt bricht er auf – | |
angeblich, um in London seinen kranken Vater zu besuchen – und drückt Hank | |
kurzerhand seine Katze, nebst Katzenklo, in die Hand. | |
Zunächst scheint das größte Problem darin zu liegen, dass das Tier ein | |
notorischer Beißer ist. In Wahrheit aber ist Punk-Nachbar Russ in | |
zwielichtige Geschäfte verstrickt, was dazu führt, dass bald nicht nur die | |
schroffe Polizistin Roman (Regina King), sondern gleich noch ein ganzes | |
Kuriositätenkabinett an skurrilen Gestalten der kriminellen Unterwelt bei | |
Hank auf der Matte steht. | |
„Caught Stealing“ verlässt sich sehr auf den Charme ebenjener ausgefallenen | |
Charaktere – und ihrem scharfen Kontrast zu Hank, der sich im weiteren | |
Verlauf als verschrobener Baseball-Nerd vom Lande entpuppt und sich in | |
regelmäßigen Telefonaten mit seiner Mutter über die Erfolge der „Giants“ | |
austauscht. | |
Ein klassisches Underdog-Szenario also: Der Held, zudem gezeichnet von | |
einer traumatischen Vergangenheit und verhängnisvollem Hang zum Alkohol, | |
zugleich jedoch mit überraschenden Kampfqualitäten ausgestattet, muss es | |
mit übermächtigen Gegnern aufnehmen. | |
## Der Plot schwankt zwischen Abgrund und Komik | |
Und diese reichen von Schlägertrupps der russischen Mafia (Yuri | |
Kolokolnikov, Nikita Kukushkin) bis zu einem nur als „die Hebräer“ | |
bekannten Duo Shmully (Vincent D’Onofrio) und Lipa (Liev Schreiber). Das | |
ist zwar stets im unauffälligen Familien-Van unterwegs, aber gefürchtet | |
dafür, seinen Opfern die Augen zu entfernen. | |
Daraus erwächst ein Plotgeflecht, das eigentümlich im Ton schwankt: Mal | |
blicken die Szenen in tragisch-ernste Abgründe, mal kippt das Geschehen in | |
fast groteske Komik, gespeist aus überbordender Gewalt. Die Handlung trägt | |
eine deutlich comicartige Handschrift – überzeichnet, grell, oft ins | |
Karikatureske gleitend. | |
Das ergibt durchaus Sinn, bedenkt man, dass Drehbuchautor Charlie Huston, | |
der hier seinen eigenen Roman adaptiert, zugleich als Comic-Autor tätig | |
ist, unter anderem für Marvel, wo er etwa eine Reihe um „Wolverine“ | |
verantwortete. | |
Man folgt dem Treiben überraschend gern – nicht zuletzt wegen einer für | |
diesen Stoff unerwartet aufwendigen Inszenierung. Aus schummriger | |
Beleuchtung, detailverliebter und authentisch heruntergekommen aussehender | |
Ausstattung sowie der rohen Energie des Soundtracks, den die englische | |
Post-Punk-Band Idles eigens eingespielt hat, entsteht ein atmosphärisch | |
dichtes Porträt der New Yorker Lower East Side der 1990er Jahre. | |
Hinzu kommt die virtuos komponierte Kameraarbeit von Darren Aronofskys | |
langjährigem Weggefährten Matthew Libatique, der neben den für den | |
Regisseur typischen häufigen Einsatz von Close-ups zu neuen Formen greift: | |
rasante Fahrten durch die engen, schmutzigen Straßenschluchten des | |
Viertels, die sich plötzlich zu weiten Blicken über die Dachlandschaften | |
und die Skyline der Stadt öffnen. | |
Dennoch drängt sich schon während des Sehens der Eindruck auf, dass es sich | |
bei „Caught Stealing“ um einen Film handelt, der einen kaum länger | |
beschäftigt als die 107 Minuten, die er andauert. Darren Aronofskys | |
neunter Spielfilm wirkt damit letztlich wie eine unterhaltsame | |
Verschnaufpause, eine sehenswerte Stilübung innerhalb seines Werks – umso | |
größer aber ist die Hoffnung, dass er mit seinem nächsten zu jener | |
Ausdruckskraft zurückkehrt, die ihn unverwechselbar macht, zu den | |
Autorenfilmen, die sich sehr wohl an das Überweltliche, das Entrückte, das | |
Unaussprechliche heranwagen. | |
Wie „Mother!“ (2017), der in apokalyptischen Bildern die | |
Schöpfungsgeschichte neu verhandelte und mit beeindruckendem Mut zur | |
Überwältigung deutliche Kritik an der menschlichen Hybris, ihrer | |
Zerstörungswut, übte. Filme wie vorher schon „The Fountain“ (2006), eine | |
über drei Zeitebenen gespannte Meditation über Tod, Unsterblichkeit und die | |
Sehnsucht nach Transzendenz, oder auch zuletzt [3][„The Whale“ (2022)], ein | |
intimes Kammerspiel um einen vereinsamten Mann, das Empathie und Erlösung | |
als Leitmotive beschwört, zeigen, worin Aronofskys eigentliche Stärke | |
besteht. | |
Es sind Werke, die nicht selten spirituell aufgeladene und damit eher im | |
Konflikt mit dem Zeitgeist stehende, ja zeitlose Geschichten erzählen, die | |
an etwas zutiefst Menschliches, an Fragen von Schuld, Liebe und | |
Vergänglichkeit rühren – und das auf eine so intuitive Weise, wie es | |
vielleicht nur mit den Mitteln des Filmemachens möglich ist. Solche, die | |
ihr Publikum verstören, manchmal spalten, aber niemals unberührt lassen – | |
und gerade darin eine nachhaltige Wirkung entfalten, die „Caught Stealing“ | |
vermissen lässt. | |
26 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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