| # taz.de -- Filmfestspiele Venedig: Wir sind alle verdammt | |
| > Lidokino 8: Regisseur Francois Ozon verfilmt Camus in | |
| > existenzialistischem Schwarz-Weiß. Kathryn Bigelow führt mit einem | |
| > Actionfilm ins Weiße Haus. | |
| Bild: Fast idyllisch: Meursault (Benjamin Voisin) und Marie (Rebecca Marder) in… | |
| Für eine Zwischenbilanz mag es noch etwas früh sein, doch fällt beim | |
| Wettbewerb von Venedig schon auf, dass das traditionelle Erzählkino bisher | |
| nicht allzu prominent vertreten war. In der Mehrheit gab es veredeltes | |
| Genrekino wie [1][Guillermo del Toros „Frankenstein“] oder mehr oder minder | |
| kantige Autorenfilmer mit klarer Handschrift wie [2][Jim Jarmusch und | |
| seinen „Father Mother Sister Brother“]. Wenn man es in allen Fällen mit | |
| überzeugenden Beiträgen zu tun gehabt hätte, wäre das überhaupt kein Grund | |
| zur Klage. Doch haperte es bisher immer mal wieder bei dem einen oder der | |
| anderen. | |
| Der französische Regisseur [3][François Ozon] hingegen bringt etwas durch | |
| und durch klassisch Anmutendes in den Wettbewerb. „L’Étranger“ nach dem | |
| gleichnamigen Roman von Albert Camus präsentiert sich nostalgisch in | |
| Schwarz-Weiß und erzählt das Schicksal seines Protagonisten Meursault recht | |
| schnörkellos. | |
| Die Rolle Meursaults hat Ozon mit Benjamin Voisin besetzt. Der überzeugt | |
| als apathischer junger Mann ohne eigenen Antrieb im Algerien der dreißiger | |
| Jahre, wobei es zugegebenermaßen nicht ganz leicht ist, die | |
| anteilslos-distanzierte Haltung der Figur, die im Roman als Ich-Erzähler in | |
| Erscheinung tritt, von außen sichtbar zu machen. Manchmal hat man den | |
| Eindruck, Ozon verlässt sich zu sehr auf das Prinzip „Show, don’t tell“. | |
| Mit dem Ergebnis, dass Voisin hin und wieder wie ein blasiertes Model | |
| blickt, etwa wenn er in Gesellschaft knorriger älterer Trauergäste seine | |
| Mutter ganz ohne eigene Gefühlsregung beerdigt. | |
| Ozon kommt diesem Meursault am nächsten, wenn dieser mit seiner Freundin | |
| Marie (Rebecca Marder) über den Sinn und Unsinn von Ehe spricht oder sich | |
| in der Gefängniszelle, wo er wegen Mordes auf seine Hinrichtung wartet, mit | |
| einem Geistlichen (Swann Arlaud) ein Wortgefecht liefert. Die Szene endet | |
| mit Camus’ Worten, in denen Meursault „die zärtliche Gleichgültigkeit der | |
| Welt“ als Trost für sich akzeptiert. Da findet auch der Film einen Ton, der | |
| nicht übertrieben dramatisch, sondern freundlich absurd klingt. Und da Ozon | |
| ein Kind der Achtziger ist, darf während des Abspanns selbstverständlich | |
| nicht der Song „Killing an Arab“ der Band The Cure fehlen. | |
| ## Rakete nimmt Kurs auf die USA | |
| Zurück ins Genrekino führt der jüngste Film von [4][Kathryn Bigelow], die | |
| sich längst als eine Meisterin dieses von Männern dominierten Fachs | |
| etabliert hat. „A House of Dynamite“ kann für sich in Anspruch nehmen, | |
| unter den Actionfilmen im Wettbewerb derjenige zu sein, der seine Spannung | |
| ganz ohne Szenen von direkter Gewalt erzeugt. | |
| Ein Arbeitstag im Weißen Haus in Washington. Das Personal trifft nach und | |
| nach ein, passiert die Sicherheitskontrolle, trifft im Situation Room ein. | |
| Dort scheint anfangs alles ruhig und unter Kontrolle zu sein. Plötzlich | |
| meldet eine Raketenabwehrstation in Alaska den Start einer Rakete mit Kurs | |
| auf die USA. Von wo der Flugkörper in die Luft gelassen wurde, konnten die | |
| Radare nicht erfassen. | |
| Von da an ändert sich die Lage. Doch selbst wenn einige der Beteiligten in | |
| unruhige Bewegung geraten, spielt sich der Großteil der Handlung in Räumen | |
| ab, in denen Menschen vor Bildschirmen sitzen und über diese auch | |
| miteinander konferieren. Der Präsident wird bald ebenfalls hinzugeschaltet, | |
| wenngleich ohne Kamera. | |
| Bigelow entwickelt die Handlung, die im Wesentlichen den 18 Minuten folgt, | |
| die die fremde Rakete in Richtung USA fliegt, aus drei Perspektiven. Stets | |
| andere Personen stehen dabei im Fokus, Schritt für Schritt enthüllt sie | |
| immer mehr Details über die Entscheidungen, die zur Debatte stehen. Am Ende | |
| kommt auch der Präsident ins Bild. Da hat der Film noch eine kleine | |
| Überraschung parat. Ansonsten geht Bigelow ihren Thriller über globale | |
| politische Bedrohungen fast zu routiniert an. In tragenden Rollen sind | |
| übrigens Rebecca Ferguson und Idris Elba zu sehen. | |
| 3 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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