Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aus Pressemitteilungen werden Reels: Moderne Medienarbeit hat ihre …
> Meist vermisst man ja Dinge erst, wenn sie plötzlich fehlen. Die
> Pressemitteilungen der Hamburger Linksfraktion zum Beispiel.
Bild: „Viele Wähler unter 30 konsumieren politische Inhalte fast nur noch ü…
Meist vermisst man Dinge erst, wenn sie plötzlich fehlen. Die
Pressemitteilungen der Hamburger Linksfraktion zum Beispiel. Stetig liefert
deren Pressestelle Meldungen mit Inhalt, die die [1][Vorgänge in der Stadt
beleuchten]. Sie bestehen aus einer Überschrift, einem kurzen Text mit dem
Sachverhalt und dem Zitat eines Abgeordneten. Meist sind parlamentarische
Anfragen an die Stadt und deren Antworten angefügt, das sind gute Quellen
für Journalisten.
Tja und nun, als kurz vor den Ferien die Schulbehörde [2][die Essenspreise
auf fünf Euro] anhob, fand sich dazu keine Pressemitteilung der Linken im
Mail-Postfach der taz. Man habe doch dazu etwas auf Facebook gemacht, hören
wir aus der Pressestelle. In der Tat: Dort findet sich ein [3][kurzer
Video-Clip]. Zwei Mädchen tanzen zu einem Song und halten Teller.
Nächste Sequenz: Die [4][Fraktionschefin Heike Sudmann] sitzt an einem
Tisch vor leeren Tellern und blickt in die Kamera. Dann sagt sie, dass die
Schulbehörde die Essenspreise erhöht und die Eltern gleich 30 Cent mehr
zahlen müssen, weil die Stadt die Zuschüsse senkte. Dass die Erhöhung 20
Prozent in drei Jahren beträgt. Dass die Elternkammer fordert, … Ja, was?
Ich kann nicht so schnell mitschreiben.
Tschupp, ist der Clip vorbei, die Mädchen tanzen noch kurz. Zurückspulen
geht nicht, denn sofort spielt der Algorithmus das nächste Video ein. Zwei
Männer sprechen über Sex in langen Partnerschaften. Dann spricht Iris
Berben über Schönheitsbegriffe. Dann redet Richard David Precht mit großen
Kopfhörern auf den Ohren. Ich suche wieder die Facebook-Seite der
Abgeordneten. Stolpere über andere Clips von Linken-Politikern, die
energisch in ihre kleinen Headset-Mikros sprechen, bevor ich die Sudmann
wiederfinde. Drücke auf Play. Aber der Clip ist wieder zu schnell vorbei
für meine langsamen Mitschreibfinger.
## Bei Social Media müsse man auf den Punkt kommen
Ich bin „lost“, um es mit der Jugendsprache zu sagen. Das heißt laut
Chat-GPT „verloren, orientierungslos“. Diese hilfreiche App spielte mir
gerade meine Tochter aufs Handy für all meine Fragen in Mediendingen. Diese
Filmchen heißen „Reels“, das sind kurze, vertikale Videos zwischen 15 und
90 Sekunden.
Frage an Chat-GPT: „Warum machen Politiker Reels?“ Antwort: „Politiker
machen Reels aus ziemlich strategischen Gründen – nicht nur, weil sie
plötzlich Lust auf Tanz-Challenges haben.“ Sie erreichten damit Menschen,
die sonst nie auf ihr Profil klickten. Denn „viele Wähler unter 30
konsumieren politische Inhalte fast nur noch über Kurzvideos (TikTok,
Reels, YouTube, Shorts)“.
Tja, aber ich nicht. Nächster Tag, nächstes Thema. Uns erreicht ein
Hilfeanruf. Die Stadt zahlt nach 20 Jahren kein Geld mehr fürs „Zentrum für
Disability-Studies“, der Forschung für Behindertenrechte. Dazu könnte die
Linke was zu sagen haben. Also ein Anruf bei der Pressestelle. Nein, dazu
sei keine Pressemitteilung geplant, aber was auf Facebock mit Zitat ihrer
Wissenschaftspolitikerin. Dieses sei nicht lang, bei Social Media müsse man
auf den Punkt kommen, werde ich vorgewarnt.
Dort finde ich auf einer grünblauen Kachel das Gesicht von Sabine Ritter
und den Satz: „Wer Inklusion und Teilhabe ernst meint, muss das Zentrum für
Disability-Studies erhalten!“ Darüber werden der Facebook-Gemeinde noch ein
paar Facts und Forderungen mitgeteilt. Es sei, so noch ein Tipp der
Pressestelle, sehr empfehlenswert, auf Facebook, Insta & Co zu schauen.
Hm, aber da sind keine Pressemitteilungen mit Quellen. Offenbar meint man,
uns Journalisten nicht mehr so zu brauchen. Es sei aber der Vollständigkeit
halber gesagt, dass man uns noch eine ältere Pressemitteilung aus dem Juni
schickte und auch auf zwei Anfragen aus Juni und Juli hinwies, denn die
Linksfraktion hatte das Thema längst am Wickel. Also alles gut.
16 Aug 2025
## LINKS
[1] /Wahlkampf-in-Hamburg/!5659445
[2] /Hamburger-Schulessen-wird-wieder-teurer/!6102035
[3] https://www.instagram.com/reel/DMxktk8Nhh5/
[4] /Linkspartei-so-gut-wie-nie-in-Hamburg/!6072638
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Smartphone
Presse
Arbeit
Hamburg
Social-Auswahl
GNS
Wissen
Lesestück Recherche und Reportage
Bildung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studien der TU Braunschweig: Bewegte Bilder stören beim Lernen
Kurzvideos haben gegenüber Texten erhebliche Nachteile für die
Wissensvermittlung. Trotzdem können sie im Unterricht eine Rolle spielen.
Frei von Smartphone: Mein Leben ohne Äppärät
Unsere Autorin surft das Web wie ein Profi. Aber eine Welle reitet sie
nicht mit – die des Smartphones. Damit ist sie nicht allein.
Bildungsgerechtigkeit durch Youtube: Bruchrechnen für alle!
Lernvideos können Bildungsgerechtigkeit schaffen: Erfahrungen eines
Mathelehrers, der aus Versehen zum YouTuber wurde.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.