# taz.de -- Studien der TU Braunschweig: Bewegte Bilder stören beim Lernen | |
> Kurzvideos haben gegenüber Texten erhebliche Nachteile für die | |
> Wissensvermittlung. Trotzdem können sie im Unterricht eine Rolle spielen. | |
Bild: Öfter mal was lesen auf dem Smartphone: Texte dienen der Wissensvermittl… | |
Hamburg taz | Kurzvideos sind fast omnipräsent, catchy. Und kaum ist ein | |
Reel zu Ende, startet meist automatisch das nächste. Man will also immer | |
mehr davon anschauen. Vor allem junge Menschen werden viel mit ihnen | |
konfrontiert, beobachtet Thorsten Otto. Für seine Dissertation in | |
pädagogischer Psychologie an der TU Braunschweig hat er sich deshalb damit | |
auseinandergesetzt, ob solche Social-Media-Formate sinnvoll in Lernkontexte | |
mit einbezogen werden können. Und wenn ja, wie. | |
Wie Kurzvideos das Denken und Lernen beeinflussen, ist noch unzureichend | |
erforscht. Um das zu ermitteln, hat Otto zwei Studien durchgeführt. Zuerst | |
wurden rund 170 Menschen zwischen 18 und 52 mit einem Fragebogen zu ihrem | |
Kurzvideokonsum, ihrem rationalen Denken und Lernverhalten befragt. | |
Die zweite Studie bestand aus einem Online-Experiment. Dabei wurden die 120 | |
teilnehmenden Studierenden in vier Gruppen eingeteilt. Zwei von ihnen | |
schauten vorab für drei Minuten amüsante Kurzvideos. Anschließend wurde | |
allen Gruppen Lernmaterial gezeigt. Zwei Gruppen bekamen dieses in Form | |
eines Textes, die anderen zwei in Form von zwei Kurzvideos. Der Inhalt war | |
dabei derselbe. Nach dem Lesen des Textes oder dem Ansehen der Kurzvideos | |
sollten die Teilnehmenden ein inhaltliches Wissensquiz und einen Test zum | |
rationalen Denken beantworten. | |
Ein Ergebnis war, dass Kurzvideonutzung und rationales Denken negativ | |
miteinander zusammenhängen. „Rationales Denken meint hier die Fähigkeit, | |
voreilige Schlüsse durch gründliches, logisches Nachdenken zu korrigieren“, | |
erklärt Otto. Die zweite Erkenntnis sei gewesen, „dass die Teilnehmenden, | |
die Kurzvideos geschaut hatten, einen Lernansatz präferierten, bei dem man | |
mit möglichst geringem Aufwand lernt, ohne den Inhalt dabei zwingend | |
verstehen zu wollen“. | |
Heißt, so Ottos Schlussfolgerung: Das Schauen von Kurzvideos fördert eine | |
Präferenz für oberflächliches Lernen. Das kommt nicht ganz unerwartet: | |
„Viele Forschungen zeigen, dass dieser Lernansatz eher mit schlechteren | |
Leistungen einhergeht“, so Otto. | |
Die wichtigste Erkenntnis war jedoch, dass diejenigen, die mit Kurzvideos | |
lernten, im Wissensquiz schlechter abschnitten als die Teilnehmenden, die | |
den denselben Inhalt als Text lasen. Otto erklärt dies wie folgt: „In einem | |
Kurzvideo muss das [1][Gehirn] sehr viel gleichzeitig verarbeiten: | |
Schnitte, Bildwechsel, gesprochenes Wort, Video, Untertitel. Und bei zu | |
vielen Informationen kann das Arbeitsgedächtnis überladen.“ | |
Durch so eine Überladung ist Otto zufolge eine eingeschränktere | |
Verarbeitung der Informationen wahrscheinlicher als bei der Lektüre eines | |
Textes. Die signifikanten Unterschiede zwischen Text und Kurzvideo-Gruppe | |
überraschten ihn. „Auch, weil es nicht viele Inhalte waren. Die Kurzvideos | |
waren zusammen nur 90 Sekunden lang.“ | |
Otto schließt hieraus: „Alles in allem sollte man berücksichtigen, wenn man | |
mit Kurzvideos lernt oder sie zur Wissensvermittlung einsetzt, dass sie | |
eingebettet werden in eine weitergehende Aufgabe, oder als Einstieg genutzt | |
werden. Aber nicht als Ersatz fürs Lernen.“ | |
Kurzvideos komplett aus der Wissensvermittlung rauszuhalten, würde er nicht | |
empfehlen. Denn dann könne man auch nicht lernen, mit ihnen umzugehen. | |
„Dabei kommt es auf das Wie an. Einfach nur passiv zeigen und weitermachen, | |
davon würde ich abraten.“ Otto rät dringend zum kritischen Umgang mit | |
ihnen: „Wenn man Bildungsinhalten auf solchen Kanälen begegnet, sollte man | |
[2][Inhalt und Herkunft hinterfragen]“, mahnt er. „Kritisch muss dabei | |
nicht negativ bedeuten. Man kann trotzdem auch Spaß daran haben.“ | |
## Lange Videos erfolgreicher | |
Wenn man [3][Kurzvideos für die Wissensvermittlung] in der Schule einsetzen | |
möchte, rät Thorsten Otto dazu, die Filme so simpel wie möglich zu halten, | |
um die kognitive Belastung zu reduzieren. Außerdem sei die aktive | |
Auseinandersetzung damit relevant: „Wenn man zum Beispiel den | |
Arbeitsauftrag gibt, selbst ein Kurzvideo zu erstellen, könnte ich mir | |
schon vorstellen, dass das auch lernförderlich sein kann.“ | |
Mit weiteren Schlüssen ist Otto zurückhaltend, denn seine Studien sind die | |
ersten, die Kurzvideos als Lehr- und Lernformat mit der Wissensaneignung | |
durch Texte verglichen und auf Effektivität geprüft haben. „Man sollte also | |
noch ein paar Studien abwarten, was die Bedeutung von Kurzvideos für die | |
Wissensvermittlung angeht. Auch, weil es zum Vergleich von längeren Videos | |
und Text schon Studien gibt, die im Vergleich für Video positive Ergebnisse | |
zeigen, zumindest bei niedrigkomplexen Inhalten“, ergänzt er. | |
Otto bezeichnet sich selbst weder als Medienpessimist noch -optimist, | |
sondern sieht sich als Vermittler. „Man muss einen Mittelweg finden, der | |
für die Kinder und Jugendlichen lernförderlich ist und sie in ihrer | |
Lebenswelt abholt.“ | |
5 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Emmy Thume | |
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