# taz.de -- Wahlkampf in Hamburg: Das soziale Gewissen der Stadt | |
> Die Prognosen für Die Linke in Hamburg liegen bei bescheidenen 8 Prozent. | |
> Dabei hat die kleine Fraktion aus der Opposition einiges bewirkt. | |
Bild: Führt weiterhin ein Schattendasein in Hamburg: Die Linke | |
HAMBURG taz | Nach der jüngsten Umfrage für die Hamburg-Wahl sieht es nach | |
einer satten 60-Prozent-Mehrheit für Rot-Grün aus. Leise Enttäuschung macht | |
sich bei der Linken breit, die bei acht Prozent steht und in früheren | |
Umfragen oft zweistellig war. Dabei hat die zehnköpfige Rathaus-Fraktion | |
viel bewegt und aus der Opposition heraus durchaus Einfluss ausgeübt. Sie | |
ist so etwas wie das „soziale Gewissen der Stadt“. | |
Jetzt gerade am Sonntag wieder schickt Sozialpolitikerin Carola Ensslen | |
eine Pressemitteilung darüber, dass Bewohner in Flüchtlingsunterkünften | |
keine Privatsphäre haben, weil die Zimmer durch Mitarbeiter oder sogar | |
einen Sicherheitsdienst jederzeit kontrolliert werden könnten. Nicht selten | |
gibt es bei Meldungen dieser Art einen Tipp von Beschäftigten oder | |
Ehrenamtlichen, denen die Linke als Sprachrohr dient. | |
In ähnlichen Fällen wandte sich die Linke dagegen, dass Security in | |
[1][Kinderschutzhäusern] oder [2][Jugendwohnungen] eingesetzt werden. Oder | |
dass Jugendliche, die schon über 18 sind, auf der Straße landen und keine | |
Bleibe haben. Schon 2017 beantragten die Jugend- und Sozialpolitiker der | |
Linken eine eigene separate Notschlafstelle für diese Gruppe, weil man sie | |
nicht mit erwachsenen Obdachlosen zusammen unterbringen sollte. Erst jetzt | |
in der heißen Phase des Wahlkampfs fällt den Grünen, die fünf Jahre | |
mitregiert haben, ein, dass sie so eine Not-Einrichtung auch wollen – | |
zumindest fordern sie dies jetzt öffentlich. | |
Auf einer Fachtagung im Herbst 2018 sprach eine Bezirksmitarbeiterin die | |
taz auf die Not der jungen Leute an. Die Sozialarbeiterin war Mitglied bei | |
den Grünen. Auf die Frage, ob ihre Partei nicht aktiv werden könne, sagte | |
die Frau: Nee, da solle mal lieber die Linke eine Anfrage stellen. | |
## Anträge erst abgelehnt, dann kopiert | |
Auch für alle Fachleute, die in der Schulpolitik weiter an die Idee einer | |
„Schule für alle“ glauben, scheint die Linksfraktion das einzige Asyl. Der | |
frühere Staatsrat der Grünen-Schulsenatorin Christa Goetsch, Ulrich Vieluf, | |
schrieb jüngst für die Linke ein ganzes inklusives Schulgesetz, das nun zur | |
Debatte steht. | |
„Es gibt zwei Versionen, wie wir die Stadt beeinflusst haben“, sagt Ronald | |
Priess, Referent für Kinder- und Jugendpolitik. Einmal über das | |
Mitorganisieren von Mehrheiten in der Stadt, wie bei der | |
[3][„Nolympia“-Bewegung], die eine kostspielige Bewerbung der Stadt für die | |
Olympischen Spiele 2024 stoppte, oder den Volksinitiativen für mehr | |
Kita-Personal und bessere Bedingungen in der Ganztagsschule. Zum anderen | |
über parlamentarische Mittel wie die Einsetzung einer [4][Enquetekommission | |
zur Überprüfung der Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe]. | |
„Anträge von uns werden oft abgelehnt, aber später dann doch von Rot-Grün | |
umgesetzt“, sagt Priess. Zum Beispiel wurde ein Antrag zur Aufstockung des | |
Personals bei den Jugendämtern um 100 Stellen abgelehnt. Später bewilligte | |
der [5][Senat 75 Stellen]. | |
Die Beobachtung teilt auch Norbert Weber, ehemaliger Referent der Linken | |
für Haushaltspolitik, der nun selbst für die Linke für die Bürgerschaft | |
kandidiert. Als 2015 Tausende Schutzsuchende nach Hamburg kamen und der | |
Bund sich an den Kosten mit einem dreistelligen Millionenbetrag beteiligte, | |
drohte dieses Geld wegen der Schuldenbremse zur Begleichung von Altschulden | |
im Haushalt zu verschwinden. „Wir haben beantragt, im Finanzrahmengesetz | |
dafür einen Ausgabenkorridor zu schaffen und sind von Rot-Grün dafür | |
ausgelacht worden“, erinnert Weber. Doch später habe der Senat genau das | |
gemacht. | |
Auch Heike Sudmann, Abgeordnete für Stadtentwicklung und Verkehr, sagt, sie | |
erlebe, dass ihre Ideen Anklang finden. Für ihr günstiges | |
365-Euro-Jahres-Ticket für Bus und Bahn hatte sie 2017 den ersten Vorschlag | |
gemacht und 2018 einen Haushaltsantrag gestellt. Inzwischen steht das | |
365-Euro-Ticket im Wahlprogramm der CDU –und Rot-Grün führte es zumindest | |
für Azubis ein. | |
## Linke bei Kirche nicht eingeladen | |
„Ich will, das wir in den nächsten drei Wochen zweistellig werden“, sagt | |
Sudmann. Denn es gebe sehr viel Arbeit. „Mit mehr Abgeordneten können wir | |
die auf mehr Schultern verteilen.“ Sie erlebe an den Wahlständen, dass die | |
Menschen häufig darüber reden, ob SPD-Mann Peter Tschentscher oder die | |
Grüne Katharina Fegebank Bürgermeister werden. Auf diese ungewohnte | |
Polarisierung führt sie die gesunkenen Umfragewerte der Linken zurück. | |
Norbert Weber indes glaubt, dass die Linke „generell intensiver | |
mobilisieren“ muss als andere. | |
Es gibt freilich auch noch andere mögliche Gründe: Anders als in Berlin | |
oder Bremen steht eine Regierungsbeteiligung für die Linke in Hamburg nicht | |
zur Diskussion – schon rein rechnerisch wird sie ja zurzeit dafür nicht | |
gebraucht. Und es gibt immer noch oder wieder eine Ausgrenzung der Partei. | |
So lud das Hamburger Abendblatt gerade erst zum Spitzenduell nur | |
Tschentscher und Fegebank ein, und danach die Spitzenkandidaten von CDU und | |
FDP als mögliche weitere Koalitionspartner. Die Linke fehlte. | |
Und auch das Erzbistum Hamburg lädt für Dienstag anlässlich der Wahl zu | |
einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Suchet das Wohl der Stadt“ ein. | |
Die Linke darf nicht mitsuchen. Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus nennt | |
es eine „politische Entgleisung und Instinktlosigkeit“, sollte nun auch das | |
Erzbistum nach dem Dammbruch von Thüringen die Linke mit der AfD | |
gleichsetzten und die „Rhetorik der,politischen Ränder' bedienen“. | |
Die Hamburger Linke hat auf einem Parteitag beschlossen, wieder in die | |
Opposition zu gehen und sich nicht für eine Regierungsbeteiligung zu | |
bewerben. Auch das könnte Zustimmung kosten. Sie halte es für einen Fehler, | |
sich von vornherein „aus dem Spiel zu nehmen“, hatte die Grüne Fegebank der | |
Linken Boeddinghaus kürzlich im taz Salon zur Wahl vorgehalten. Worauf | |
diese konterte, die Grünen signalisierten, dass sie lieber mit der FDP | |
zusamme gehen würden, weil die „nicht so anstrengend“ sei. | |
## Vornehme Zurückhaltung | |
„Ich wähle die Linke und schätze an ihr, dass es dort Leute gibt, die sich | |
ernsthaft mit Dingen auseinandersetzen“, sagt zum Beispiel Aram Ockert, | |
früherer Grüner und heute Politikkommentator für den Freitag. Doch die | |
Linke übe eine Art vornehme Zurückhaltung. Wenn sie offen ließe, ob sie | |
sich nach der Wahl an einer Regierung beteiligt, böte dies auch die Chance, | |
SPD und Grüne inhaltlich in Schwierigkeiten zu bringen und für die | |
Schwachen in der Stadt mehr zu erreichen. | |
Die Frage, ob es richtig sei, in der Opposition zu bleiben, wurde auch bei | |
der Hamburger Linken kontrovers besprochen. Fragt man dazu einzelne | |
Politiker, verweisen sie darauf, dass Grüne und die SPD in Hamburg | |
konservativer seien als ihre Schwesterparteien in Bremen und Berlin, und | |
daher die Anknüpfungspunkte fehlten für gemeinsame Projekte wie | |
Mietendeckel oder die Bekämpfung der Kinderarmut. In der Tat findet man im | |
Programm der SPD wenig Substanzielles zum Sozialen. | |
Sabine Boeddinghaus sagt, sie finde, dass „weder Regierung noch Opposition | |
zu einem Selbstzweck werden dürfen“. Sie bekomme häufig aus der | |
Zivilgesellschaft die Rückmeldung, dass die Linke in der Bürgerschaft eine | |
wichtige Anlaufstelle sei. „Wenn der Platz frei wird, frage ich mich, wer | |
füllt den aus?“ | |
9 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Sicherheitsdienst-in-Hamburger-Heimen/!5608183/ | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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