| # taz.de -- Politologin über Migranten in Parteien: „Nicht nur alte weiße M… | |
| > Migrant*innen können für Konflikte sorgen, wenn sie neu in eine | |
| > Organisation kommen. Sie brechen Strukturen auf, die schon immer so | |
| > waren. | |
| Bild: Die einzige Spitzenkandidatin mit Migrationshintergrund: Cansu Özdemir | |
| taz: Frau Zenzile Roig, wie erkennt man, ob Kandidat*innen mit | |
| Migrationshintergrund für ihre Parteien nur Aushängeschilder sind? | |
| Emilia Zenzile Roig: Indem man in die Wahlprogramme schaut. Wenn Themen wie | |
| soziale Gerechtigkeit in Bezug auf Migration nicht auftauchen, können wir | |
| davon ausgehen, dass die Kandidat*innen, die dieser Gruppe angehören, | |
| Tokens sind. | |
| Meinen Sie mit Tokens Symbole? | |
| Ja. Tokenismus bedeutet, dass eine Organisation nur eine symbolische | |
| Anstrengung unternimmt, um Angehörige von Minderheitengruppen | |
| einzubeziehen. Die Diversität wird von innen nicht gelebt. | |
| In Hamburg werden den Prognosen nach weniger als zehn Prozent der | |
| Bürgerschaftsabgeordneten einen Migrationshintergrund haben. In der | |
| Stadtgesellschaft sind es 34 Prozent. Kann man davon auch auf Tokenismus | |
| schließen? | |
| Es wäre auf jeden Fall eine Unterrepräsentation. Ob es sich um Fälle von | |
| Tokenismus handelt, lässt sich nur anhand von Zahlen nicht festmachen. Es | |
| ist möglich, dass eine Partei noch nicht so viele Angehörige von | |
| Minderheiten hat, aber dennoch bereit ist, sich zu verändern und diese | |
| Themen kritisch zu bearbeiten. Oder ein Gegenbeispiel: Es kann sein, dass | |
| es in einer Partei sehr viele Frauen gibt, aber Geschlechtergerechtigkeit | |
| trotzdem kein Thema ist und patriarchale Strukturen vorherrschen. | |
| Ist es kritisch, wenn Migrant*innen innerhalb einer Partei immer die | |
| Integrations- und Asylthemen übernehmen? | |
| Auch das kann ein Zeichen von Tokenismus sein, wenn Angehörige einer | |
| Minderheit unfreiwillig thematisch reduziert werden. Man kann als Wähler*in | |
| schauen, ob sich Menschen mit Migrationshintergrund in einer Partei auch | |
| zum Haushalt, Klima oder zur Sicherheit äußern. Man muss aber auch | |
| einbeziehen, wie Entscheidungen innerhalb der Partei getroffen werden, | |
| welche Hierarchie es gibt und inwiefern die Stimmen gehört werden. | |
| Kracht es denn auch mal, wenn Migrant*innen das einfordern? | |
| Auf jeden Fall. Wenn die Homogenität in einer Gruppe gestört wird, | |
| entstehen immer Konflikte. Die neue Person könnte die Gruppe zum Beispiel | |
| darauf aufmerksam machen, dass bisher die Interessen und Perspektiven von | |
| Menschen mit Migrationshintergrund keine Rolle gespielt haben oder die | |
| Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund sehr stereotyp war. Oder | |
| es gibt Micro-Aggressions. | |
| Was ist das? | |
| Wenn eine Person jeden Tag gefragt wird: „Ah, wo kommst du denn her?“,„Wie | |
| ist das so in der Türkei?“ oder „War dein Vater gewalttätig, als du klein | |
| warst?“ Wenn die Person anspricht, dass das diskriminierend ist, und | |
| versucht, solche Strukturen sichtbar zu machen, kommt es zu Konflikten. | |
| Die Mehrheit könnte auch sagen: „Daran haben wir nie gedacht. Ändern wir | |
| es.“ | |
| Es ist eine Machtfrage. Um das zu akzeptieren, müsste man zugeben, dass die | |
| Ursache dafür, dass man bisher so homogen war, Diskriminierung heißt. | |
| Niemand will freiwillig zugeben, dass es in seiner Organisation | |
| Diskriminierungsmuster gibt. Es gibt einen Widerstand dagegen. | |
| Wie läuft es denn üblicherweise ab, wenn ein Mensch mit | |
| Migrationshintergrund in eine neue Organisation kommt? | |
| Wenn es sich um Tokenismus handelt, stellt eine Partei oder ein Unternehmen | |
| fest, dass es nicht genügend Menschen mit Migrationshintergrund gibt. | |
| Jemand wird eingestellt und es gibt eine erste Honeymoon-Phase. Alle freuen | |
| sich über die Vielfalt, die es nun gibt. Aber nach einer Weile möchte die | |
| Person nicht nur als Symbol und Objekt behandelt werden, sondern als | |
| Subjekt, mit eigenen Einstellungen und Perspektiven. Sie weist vielleicht | |
| darauf hin, dass die Positionen, die eine Partei beim Thema Innere | |
| Sicherheit hat, rassistisch sind. | |
| Und dann gibt es Ärger? | |
| Genau. Das Problem ist, dass die Person, weil sie in der Minderheit ist, | |
| nicht die Macht hat, um sich durchzusetzen. Was dann passiert, ist, dass | |
| die Probleme personifiziert werden. Sie ist zu empfindlich, nicht objektiv | |
| genug, es ist eine Fehleinschätzung. Wenn der Druck zu stark wird, kann sie | |
| entweder die Organisation verlassen, sie wird gefeuert oder muss nachgeben | |
| und sich der homogenen Mehrheitsgruppe anpassen. Das Problem ist, dass die | |
| Organisation nicht bereit ist, sich infrage zu stellen und die eigenen | |
| Strukturen zu überdenken. | |
| Gibt es diese Probleme in allen Parteien? Grüne, Linke und auch die SPD | |
| bemühen sich ja darum, sich für Menschen mit Migrationshintergrund zu | |
| öffnen. | |
| Das trifft alle Parteien. Es gibt natürlich in den Parteien, die Sie | |
| genannt haben, ein kollektives Bewusstsein für Diskriminierungen und auch | |
| den Willen, um Veränderungen voranzutreiben, aber auch immer Widerstand. | |
| Zum Beispiel über eine Verneinung: „Unsere Werte sind Gleichheit und | |
| Freiheit, deshalb gibt es bei uns keine Diskriminierung.“ Die Veränderung | |
| kann aber erst eintreten, wenn es ein Bewusstsein dafür gibt, dass es gar | |
| nicht möglich ist, keine Vorurteile zu haben. | |
| Liegt das in der Natur des Menschen? | |
| Nein, aber diese Vorurteile haben sich über Jahrhunderte gebildet. Wir alle | |
| haben sie. Auch schwarze Menschen, jüdische Menschen, arabische Menschen | |
| haben selbst Vorurteile gegenüber ihrer eigenen Gruppe. Wichtig ist es, | |
| dass man zugibt, dass man sie hat, weil man sie sonst nicht dekonstruieren | |
| kann. | |
| Was sind Strukturen, die in Parteien diskriminierend wirken? | |
| Etwa die Machtverteilung. Wenn eine Partei Personen für Machtpositionen | |
| wählt, gibt es dabei keine Neutralität. | |
| Weil Menschen eher Menschen wählen, die ihnen ähnlich sind? | |
| Ja, und weil Menschen die Menschen wählen, die in ihren Augen die Werte | |
| Macht, Kompetenz und Vertrauen ausstrahlen. Aber diese Werte sind | |
| rassifiziert. Wir haben Assoziationen mit diesen Worten. Und wenn wir eine | |
| schwarze, junge Frau sehen, assoziieren wir nicht Macht, Kompetenz und | |
| Vertrauen. Es muss erst einen Bewusstwerdungsprozess geben, in dem wir das | |
| dekonstruieren. Wir müssen sehen, dass nicht nur alte, weiße Männer in der | |
| Lage sind, politische Führungspositionen auszufüllen. | |
| Dann hat es Signalwirkung, dass die Linke in Hamburg als [1][einzige Partei | |
| mit Cansu Özdemir] eine Spitzenkandidatin mit Migrationshintergrund hat? | |
| Absolut. Es ist wichtig, dass solche Frauen, die für sich stehen, die | |
| zeigen, dass sie Macht und Verantwortung übernehmen und die bestehende | |
| Strukturen zerstören, sichtbar sind. | |
| Mehr zum Thema Migrant*innen in der Hamburger Politik lesen Sie in der | |
| aktuellen Wochenendausgabe der taz nord oder [2][am E-Kiosk]. | |
| 14 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andrea Maestro | |
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