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# taz.de -- Kandidat mit albanischen Wurzeln: „Erwartet bitte keine Wunder“
> Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl tritt auch der SPD-Kandidat Sami Musa
> an. Er ist der Hoffnungsträger der albanischen Community.
Bild: Wahlkampf in Harburg: Sami Musa
Hamburg taz | Zwischen Männern, die Olaf heißen und Sven und Klaus, hockt
Sami Musa auf einem Gehsteig in [1][Eißendorf], am südlichen Rand Hamburgs.
„Sollen wir Sami als Einleger machen?“, fragt einer. „Gib mir lieber noch
ein bisschen mehr Matthias“, sagt ein anderer. Die SPD Ortsgruppe Süderelbe
sortiert Flyer für den Häuserwahlkampf. Keiner hat den Überblick, aber alle
was zu sagen. Umständliches Hin und Her, wer nimmt welche Route, schnell
noch ein Foto für Facebook. Musa hat noch Termine, ihm dauert das alles zu
lange.
[2][Sami Musa], 35, will in die Hamburger Bürgerschaft, er steht auf Platz
54 der SPD-Landesliste – völlig aussichtslos. Eigentlich. Doch er hat einen
Trumpf im Ärmel. Musa ist der einzige Kandidat mit albanischen Wurzeln – in
Deutschlands Landesparlamenten gibt es bisher überhaupt keine
albanischstämmigen Abgeordneten. Er hofft auf die Stimmen von rund 9.000
Hamburger Wahlberechtigten, die seine Herkunft teilen. Die meisten von
ihnen haben noch nie an deutschen Wahlen teilgenommen, sagen Leute, die
sich in der Community auskennen. Schlicht, weil da niemand war, von dem sie
sich repräsentiert gefühlt hätten.
In Eißendorf hat Sami Musa jetzt noch eine knappe Stunde, um an Türen zu
klingeln. Deshalb geht er auch nicht zu Fuß zu der Straße, die die Genossen
ihm zugeteilt haben. Er steuert in eine Parkbucht auf der linken
Straßenseite. Jetzt ist er so spät dran, da ist es auch egal, ob er kurz
mal gegen die Fahrtrichtung parkt. Musa, das muss man wissen, hat ein
richtig geiles Auto: dunkler Audi Q8, SUV-Coupé, knapp 300 PS. Er wohnt in
Harburg – die Harburger Berge, klar, viel Wald, viel hoch und runter,
schlechte Bahnanbindung, da braucht man so was. „Quatsch“, sagt Musa. „Es
gibt eigentlich keine Ausrede, warum ich dieses Ding noch fahre.“ Er
streichelt das Lenkrad. „Dabei müsste ich es eigentlich einfach genießen.“
Musa ist „immer noch jemand, der sich freut, wenn er einen Lamborghini
sieht“. Die Freiheit des Aufsteigerkindes ringt mit dem Klimagewissen.
Auf den ersten Blick ist Sami Musa ein Kandidat für starke Männer. Er
beherrscht den lässig-o-beinigen Schlurfgang mit viel Schulterhub, mit dem
Fußballer Dominanz demonstrieren. Seine Wahlplakate hängen an Billardklubs,
deren Scheiben mit Spiegelfolie verklebt sind. Auf einem Facebook-Bild
hält ihn [3][Luan Krasniqi] im Arm, „der Löwe“, ehemaliger Europameister …
Schwergewichtsboxen. Unter dem Bild schreibt Krasniqi, er wünsche Sami Musa
Gesundheit und Erfolg, um eine „mächtige und vernünftige Stimme für
Hamburg“ zu werden.
## Musa Senior kam als Gastarbeiter
Wie Krasniqi kommt die Familie Musa aus dem Kosovo. „Albaner“, sagt Vater
Xhelil Musa, „sind wir alle.“ Im Kosovo bilden albanischsprachige Menschen
die Mehrheit, in Albanien sowieso, in Nordmazedonien und Griechenland gibt
es Minderheiten. Xhelil Musa trägt ein kragenloses weißes Hemd und graues,
dichtes Haar. Es dürfte kaum einen Kosovo-Albaner in Deutschland geben, der
noch nicht von ihm gehört hat. Musa Senior ist ein Phänomen.
In einem Monat ist er seit fünfzig Jahren in Deutschland. Er kam als
[4][Gastarbeiter], stand an der Drehbank, fuhr Taxi, wurde Gastronom. Mit
seinen Restaurants und Hotels verdiente er ein Vermögen. Als Ibrahim Rugova
1992 die Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawien erklärte, wurde Xhelil
Musa zu einer Art inoffiziellem Botschafter. Er beherbergte
Regierungschefs, Nationalmannschaften und auch den Präsidenten Rugova
selbst. Albanischer Kontakt nach Deutschland? Nicht ohne Xhelil Musa. „Ich
habe alles erreicht“, sagt er. „Aber jetzt überholt mich mein Sohn.“
Xhelil ist selbst in der SPD. Ein Mandat hatte er nie, er hat sich aufs
Geschäft konzentriert. Aber sein Sohn Sami saß fünf Jahre in der
Bezirksversammlung Harburg. Bei den Wahlen im Mai kandidierte er nicht
erneut. Er will mehr. Die Hotels, die er inzwischen von seinem Vater
übernommen hat, sind verpachtet. So kann er sich ganz auf den
Bürgerschaftswahlkampf konzentrieren.
Und der bringt ihn an Orte, von denen sich der Großteil der
Kandidatur-Konkurrenz wenig verspricht. In einem Schnellimbiss auf der
Veddel stehen Plastikflaschen mit Cola und Mineralwasser auf Tischen, deren
Furnier vom Sperrholz blättert. Es riecht nach heißem Fett. Viele Männer
mit Arbeitsschuhen kommen herein, ein paar in Lederjacke, zwei
Schriftsteller in Karohemden, ein Arzt mit Seidenschal. Alle sprechen
albanisch miteinander, rund dreißig Menschen, vier davon Frauen.
Kurz bevor Sami Musa reden soll, rollt er einen seiner Flyer zu einem
dünnen Röhrchen zusammen, immer enger. Sein Vater sagt: „Sein Albanisch ist
gut, aber nicht perfekt. Er ist vielleicht ein bisschen nervöser, als wenn
er auf Deutsch mit den Leuten sprechen kann.“
## Probleme mit der Bürokratie
Sami Musa stellt sich vor die Gäste, beginnt auf Albanisch, wechselt dann
ins Deutsche. „Hier auf der Veddel haben 75 Prozent der Menschen
Migrationshintergrund“, sagt er. „Ich möchte da sein für die Minderheiten,
deshalb spreche ich hier heute Deutsch.“ Die Männer lachen.
Sie sind hier, weil sie Probleme haben mit der deutschen Bürokratie. Und
weil da einer kommt, dem sie bereit sind zu vertrauen, weil er einer von
ihnen ist. „Diese Leute sollen mich wählen“, sagt Sami Musa, „deshalb mu…
ich wissen, was sie sich von Deutschland wünschen.“
Die Männer im Imbiss wünschen sich vor allem Erklärungen für bürokratische
Hürden: Warum wird mein kosovarischer Führerschein nicht anerkannt? Was ist
mit meinem Berufsabschluss? Warum zählt mein Studium hier nichts? Viele von
ihnen mussten ihren albanischen Pass abgeben, als sie Deutsche wurden. Die
doppelte Staatsbürgerschaft für das Nicht-EU-Land Albanien gibt es nur in
Ausnahmefällen.
„Warum muss ich zu einem Integrationskurs mit Syrern?“, fragt einer in
neongelber Straßenarbeiterjacke. „Ich weiß, dass man Schwule und Lesben
respektiert.“ Während Sami Musa solche Sorgen sammelt, legt sich seine
Stirn in Falten. „Erwartet bitte keine Wunder“, sagt er irgendwann. Er wird
erklären müssen, dass vieles, was die Männer von ihm fordern, Bundespolitik
ist, außerhalb seiner Reichweite.
Auch bei der [5][Deutsch-Albanischen Freundschaftsgesellschaft] ist Sami
Musa ein Thema. Für viele Menschen mit albanischen Wurzeln sei dessen
Kandidatur zum ersten Mal ein Grund, sich mit deutscher Politik zu
beschäftigen, sagt [6][Michael Schmidt-Neke], Albanologe und
stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft. Diese Menschen hätten sich
bisher gefragt: „Was interessiert mich, ob Müller oder Schulze in der
Bürgerschaft sitzt, was soll ich mich da einmischen?“
Jetzt erkundigen sich Albanerinnen und Albaner aus München, Bielefeld und
Köln, wie sie Musa unterstützen können – ihren Kandidaten. Mramori Behram
ist extra aus der Nähe von Hannover in den Imbiss auf der Veddel gekommen.
„Endlich ein Kandidat, der beide Seiten versteht“, sagt er, „die Deutschen
und die Albaner. Er kann vermitteln.“ Als Behram hört, dass nur Hamburger
Sami Musa wählen können, ist er enttäuscht. Musa sagt: „Wenn ihr hier nicht
wählen dürft, ruft eure Familien im Norden an, sagt Freunden Bescheid.“
## Fünf Stimmen für den Kandidaten
Sein Erfolg hängt davon ab, ob er die Menschen mobilisieren kann – und
davon, dass der Wahlprozess niemanden abschreckt. Auch bei Parlamentswahlen
im Kosovo wird mit fünf Stimmen gewählt, die allerdings dürfen nicht bei
einzelnen Kandidierenden angehäuft werden. „Ich muss echt aufpassen, dass
mir die Leute alle fünf und nicht nur eine Stimme geben“, sagt Musa.
Ein schillernder Hotelerbe, der sich in den graubrotigen SPD-Wahlkampf
kniet – warum tut er sich das an? Die großen Erwartungen der albanischen
Community, die Ungewissheit wegen des schlechten Listenplatzes? „Ich will
hin zu einer Gesellschaft der Liebe“, sagt Musa. Er meint das so groß, wie
es klingt. [7][Auf dem Fußballplatz], sagt er, sei es so: „Wenn mich da
einer anpöbelt, öffne ich die Arme und sag ihm: Komm wir kuscheln mal.“
Sami Musa wünscht sich weniger Druck in den Schulen, so wie in Dänemark und
Schweden: weniger Mathe, mehr Respekt.
Am Ende des Abends im Imbiss auf der Veddel wollen alle Anwesenden ein Foto
mit Sami Musa. Sein Team ist guter Dinge: Wen sie hier überzeugt haben, der
wird auch seine Familie zur Wahl bewegen. Der Wahlkampf ist auf Kurs.
Kürzlich lief ein zehnminütiges Porträt über Sami im öffentlich-rechtlichen
kosovarischen Fernsehen. „Beste Werbung“, sagt Musa, „das läuft in allen
Wohnzimmern.“
Er ist ein bisschen müde, der Abend war lang, er musste viel reden. Auf dem
Heimweg sitzt er am Steuer, sein Vater auf der Rückbank hat richtig gute
Laune. „Vor fünfzig Jahren auf dem Bahnsteig in München habe ich die Banane
nicht gegessen, weil ich dachte, das wäre Schweinefleisch“, sagt Xhelil und
wirft lachend den Kopf zurück. „Jetzt will mein Sohn ins [8][Parlament].“
Der Sohn lächelt, fährt und schweigt.
20 Feb 2020
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-Ei%C3%9Fendorf
[2] https://de-de.facebook.com/pages/category/Politician/Sami-Musa-243871092463…
[3] /Kommentar/!5198055/
[4] https://www.harburg-aktuell.de/news/46-szene-a-gastro/9081-albanischer-bots…
[5] http://www.albanien-dafg.de/
[6] http://www.albanien-dafg.de/kontakt-2/
[7] http://www.fussball.de/newsdetail/profis-promis-politik-fc-musa-wieder-da/-…
[8] /Hamburger-Buergerschaft/!t5206857/
## AUTOREN
Thilo Adam
## TAGS
Wahl in Hamburg 2025
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