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# taz.de -- Bürgerschaftswahl in Hamburg: Plötzlich Rivalen
> Am 23. Februar hat Hamburg die Wahl: Entweder bleibt ein Mann von der SPD
> Bürgermeister – oder eine Frau von den Grünen löst ihn ab.
Bild: Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen: Katharina Fegebank
Eine Handvoll Stofftaschenträger kommt aus dem U-Bahnhof
Hamburg-Alsterdorf. Auf der Rückseite der Taschen ist eine Sonnenblume
gedruckt, auf der Vorderseite steht „Team Fegebank“. Eine schwarze
Limousine mit den Initialen „KF“ im Kennzeichen fährt vor und Katharina
Fegebank, Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und grüne Spitzenkandidatin für
die Bürgerschaftswahl am 23. Februar, steigt aus. Sie lächelt in die Runde
und los geht's – Haustürwahlkampf.
Ein paar Schritte vom Bahnhof entfernt fangen die gepflegten Wohnblocks an,
Klinker, drei bis vier Geschosse, Gegensprechanlagen mit Kameras. Die
Gegend hat einen hohen Potenzial-Score. Das hat eine Statistik-Firma für
die Grünen ausgerechnet, aus Wahllokal-Ergebnissen vergangener Jahre.
Potenzial-Score bedeutet, dass viele Leute schon mal die Grünen gewählt
haben und dass es viele Wechselwähler gibt.
„So'n Winterwahlkampf ist nicht immer vergnügungssteuerpflichtig“, sagt
Katharina Fegebank. Die Grünen machen in diesem Jahr so viel
Haustürwahlkampf wie noch nie. Statistiker sagen, dass man mit zehn
Kontakten eine Wählerstimme gewinnen kann, gegenüber eins zu hundert am
Stand in der Fußgängerzone. Dafür kann man schon mal ein paar Treppen
steigen.
Fegebank nimmt lieber den Aufzug. „Meine Schuhe sind für so was nicht
geeignet“, sagt sie und weist auf ihre weinroten Highheels. Sie drückt den
Klingelknopf. Die Tür öffnet sich einen Spalt. Laminat, Spiegelkommode.
„Guten Tag, darf ich Ihnen Informationen zur Bürgerschaftswahl geben?“,
fragt sie. Die meisten Leute sind perplex, nehmen die Flyer dankend an,
auch wenn sie die Frau mit der Wollmütze nicht erkannt haben. „Viele
realisieren erst später, dass die Spitzenkandidatin bei ihnen war“, sagt
Fegebank. Macht nichts. „Wir setzen darauf, dass das gute Wort sich
verbreitet.“
Peter Tschentscher ist keiner der auffällt. Auf dem Wochenmarkt vor dem
Billstedt-Center aus den 70er Jahren laufen die meisten Leute vorbei, ohne
den schlanken Mann zu bemerken. „Guten Tag, ich bin Ihr Bürgermeister“,
sagt der SPD-Kandidat und versucht, die Leute in ein Gespräch zu
verwickeln.
90 Prozent Migranten in den Schulklassen seien ein bisschen viel, klagt ein
Marktbeschicker mit Schürze. Im Einkaufszentrum komme man sich vor wie in
Klein-Istanbul, ärgert sich eine Frau mit Rollator. Tschentscher antwortet
vage was mit Vielfalt und spricht über die geplanten Bauarbeiten auf der
Marktfläche, die die Existenz der Kaufleute bedrohen, und dass die SPD die
öffentliche Kantine nebenan erhalten hat.
Früher war es mal die CDU, die der SPD in Hamburg einen
Bürgermeisterkandidaten entgegen stellte. Heute sind es die Grünen, von
denen es zumindest ein paar Wochen lang so schien, als könnten sie dem
Amtsinhaber gefährlich werden. Was für die SPD ein weiteres Debakel wäre,
wäre für die Grünen ein Meilenstein auf dem Weg in die Mitte.
Inhaltlich tun sich die Koalitionäre nach Jahren einträchtigen Regierens
schwer, wirkliche Differenzen herauszuarbeiten. Oft geht es darum, wer die
Urheberschaft politischer Ideen für sich reklamieren kann. Umso wichtiger
ist deshalb in diesem Wahlkampf das Personal. Das könnte unterschiedlicher
nicht sein: Hier die quirlige, junge Frau von den Grünen, dort der kühle,
ältere Mann von der SPD.
Dass Tschentscher 2018 Nachfolger von Olaf Scholz im Amt des Ersten
Bürgermeisters wurde, war eine Überraschung. Viele Beobachter bezweifelten,
dass es Tschentscher gelingen würde, das Amt auszufüllen. Er habe die
„Ausstrahlung eines Ärmelschoners“, sei „Antimaterie der Fotografie“
spottete die taz.
Ihm wurde vorgeworfen, eine Kopie seines Vorgängers zu sein, keine eigene
Botschaft zu haben. Ob sich Hamburg unter Tschentscher weiterhin so gut
entwickeln werde wie unter Scholz sei „jedenfalls höchst ungewiss“, unkte
die Welt. Ein Vierteljahr nach Amtsübernahme lief Tschentscher beim
Sommerfest der Hamburgischen Bürgerschaft verloren über den Hof des
Rathauses.
All das hat sich geändert. Das befürchtete Chaos bei der SPD ist
ausgeblieben. Hatte CDU-Fraktionschef André Trepoll den Bürgermeister zu
Beginn seiner Amtszeit noch als leicht zu erledigenden „Lieblingsgegner“
bezeichnet, fährt die CDU inzwischen schlechtere Werte ein als je zuvor. 66
Prozent der Hamburger sind nach der jüngsten Infratest-Dimap-Umfrage mit
Tschentschers Arbeit zufrieden.
Fegebank kann man praktisch nicht nicht kennen. Ihr Gesicht ist in der
ganzen Stadt plakatiert, ein Lächeln andeutend vor einem gediegenen
Dunkelgrün, mit sehr einfachen Botschaften: „Für Frauen mit Power“, „F�…
Mieten ohne Wahnsinn“ – oder, noch einfacher: „Für Hamburg“. Keine and…
Partei setzt so entschieden auf ihre Spitzenkandidatin wie die Grünen, seit
Umfragen ihnen die Chance prognostizierten, bei der Bürgerschaftswahl ihren
Koalitionspartner SPD zu überholen. Fegebank könnte die erste Frau im Amt
des Hamburger Bürgermeisters werden.
„Die Zeit ist jetzt“ heißt deshalb der Slogan von Fegebanks Kampagne; für
die erste Frau, für die erste Grüne.
Fegebank, heute 42 Jahre alt, wurde als 31-Jährige die jüngste Parteichefin
in der Geschichte der Hamburger Grünen. Es waren stürmische Zeiten.
Fegebank musste 2008 den Eintritt in die erste schwarz-grüne Koalition
moderieren. Die Grünen stimmten dem Bau der Kohlekraftwerks Moorburg zu,
die Pläne für eine sechsjährige Primarschule scheiterten in einer
Volksabstimmung und der liberale CDU-Bürgermeister Ole von Beust warf hin.
Sein Nachfolger Christoph Ahlhaus vom rechten Flügel war für viele
Grünen-Sympathisanten nicht tragbar. Fegebank bekam das zu spüren.
Zwei Monate später ließen die Grünen die Koalition platzen. Die SPD holte
die absolute Mehrheit, erst vier Jahre später brauchte Olaf Scholz die
Grünen. Es gehe nicht um einen „grünen Umbau, sondern um einen grünen
Anbau“, sagte Scholz damals. Dass er das nie wiederholen dürfe, bleute ihm
die damalige Verhandlungsführerin Fegebank ein. Er hielt sich daran.
Fegebank wird Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin. Die
Zusammenarbeit mit ihrem selbstbewussten Partner ist so geräuschlos, dass
man vergessen könnte, dass es eine Koalition ist.
Selbst vor dem G20-Gipfel entgegnen die Grünen Scholz nichts, als er
behauptet, das Treffen werde auch nicht viel anders als das alljährliche
Volksfest Hamburger Hafengeburtstag. „Wir haben zu spät erkannt, dass der
Gipfel hier nicht hätte stattfinden dürfen“, sagt Fegebank heute. „Das
ärgert mich, weil ich sonst eigentlich ein gutes Bauchgefühl, einen guten
Kompass für Stimmungen und Situationen habe.“
Ein Mitglied des engsten Führungszirkels der Hamburger Grünen bestätigt:
„Katharina hört sehr stark in die Partei hinein, hat einen klaren Kompass
und entscheidet oft aus dem Bauch heraus.“ Und: „Das ist nicht immer streng
argumentativ hergeleitet. Aber dafür sind dann ja auch noch andere da, das
passt schon.“
Fegebank, die Instinktpolitikerin. Im Wahlkampf eckte die Politologin mit
der Forderung aus dem Grünen-Programm an, Vermummung auf Demonstrationen
künftig nur als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, nicht als Straftat. „Das
wurde nicht verstanden, sondern hat ganz große Sorge vor allem bei
Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst“, sagt sie. „Das Thema hat in vielen
Runden die für mich relevanten Zukunftsfragen überlagert: wie wir schon bis
2035 statt bis 2050 Klimaneutral werden, wie die Mobilitätswende gelingt,
wie wir das Thema ‚Klare Kante gegen Rechts‘ noch stärker in der Stadt
verankern können.“ Nach ein paar Wochen hatte sie genug und kassierte die
Vermummungs-Forderung ein. In der Partei waren nicht alle amüsiert. Aber
sie hielten still. Sie wissen: Fegebank ist das Zugpferd.
Tschentscher hat sich systematisch bekannt gemacht. Er ließ kaum einen
Fototermin aus. Von seinem Vorgänger Scholz übernahm er die Tradition der
Stadtteilgespräche. Zweimal in anderthalb Jahren habe er die Tour durch
alle Wahlkreise gemacht, sagt er – und im Wahlkampf gibt er sich das noch
einmal.
In einem gläsernen Kirchenanbau in Eimsbüttel zeigt er einen Imagefilm und
spricht dann eine halbe Stunde darüber, wohin er die Stadt führen will. Er
gestikuliert sparsam, die Hände immer im Bereich des Rumpfs, so wie es
Kommunikationstrainer empfehlen. Will er etwas betonen, ballt er die
Fäuste. Einen Spickzettel braucht er nicht.
Während des Vortrages sammeln die Wahlkreiskandidaten Fragen aus dem
Publikum, aber Tschentscher stellt sich am Ende der Veranstaltung auch dem
ungefilterten Kontakt. Ein paar Leute kommen an seinen Stehtisch, um sich
für die Zukunft eines Künstlerhofs einzusetzen. Ein Funktionär des
Taxi-Verbandes beklagt sich über die Konkurrenz, die elektrischen
Sammeltaxen des VW-Konzerns.
Tschentscher biedert sich nicht an, verspricht nichts, verteidigt aber die
Sammeltaxen, die zum Konzept seines „Fünf-Minuten-Takts“ gehören: In 10
Jahren sollen 85 Prozent der Hamburger von zu Hause aus in 5 Minuten einen
Bus oder eine Bahn erreichen.
Tschentschers Kernthemen sind Wohnungsbau, Verkehr, Klimaschutz, Bildung
und Digitalisierung. Die zentrale Botschaft, mit der er sich von den Grünen
absetzen will: „Die ganze Stadt im Blick“. Das bedeutet, dass er viele
Interessen unter einen Hut bringen muss. Dazu gibt es ein leicht
beängstigendes Großplakat Marke „Tschentscher sieht dich an“.
Katharina Fegebank weiß, dass sie die Grünen noch weiter fürs bürgerliche
Milieu öffnen muss, wenn sie mehrheitsfähig werden will. Sie nennt das
„unterschiedliche Bedürfnisse adressieren“.
Altbürgermeister Ole von Beust von der CDU hat kürzlich der Zeit gesagt,
Fegebank sei eine „respektable Frau, die nicht alles durch die grüne Brille
sieht“, sondern „über die Parteigrenzen hinaus“ denke. Sie empfindet das
nicht als vergiftetes Lob, nennt sich selbst eine „pragmatische Visionärin“
und hat keine Berührungsängste. Schon seit vielen Jahren besucht sie etwa
regelmäßig Rotary-Clubs in der Stadt. Vielleicht ist das eigene Lager
darüber ein bisschen kurz gekommen. Jedenfalls sagen nur 59 Prozent der
Grünen-Wähler*innen, dass sie Fegebank zur Bürgermeisterin wählen würden,
wenn es eine Direktwahl gäbe, während 81 Prozent der SPD-Anhänger*innen
Tschentscher unterstützen.
Eine Villa in Harvestehude. Der Stuck ist sorgsam freigelegt, das Parkett
sieht aus wie ein Mosaik. Die Hausherren pflegen eine Art Salon zu
gesellschaftlichen und politischen Themen, zu dem sie Freunde und Bekannte
einladen. Ein paar Wochen vor der Wahl sind Katrin Göring-Eckhardt und
Katharina Fegebank unter dem Motto „Grün im Wohnzimmer“ zu Gast. Es sind
Rechtsanwälte da und eine Reihe junger Klima-Aktivist*innen.
## „Die kann das“
Fegebank sitzt plaudernd auf der Fensterbank. Sie erzählt, wie ein Besuch
im Nachkriegs-Sarajevo sie politisiert habe. Dass der Mietendeckel nach
Berliner Vorbild keine Option sei, weil dann selbst Genossenschaften das
Bauen einstellten. Wie sie in den vergangenen Wochen mit der Aluminiumhütte
Trimet über klimafreundlichere Produktionsweisen gesprochen habe, mit dem
Stahlwerk von Arcelor Mittal. „Die stehen in den Startlöchern“, sagt sie.
„Die warten nur auf stabile Rahmenbedingungen.“
Fegebank schwärmt vom Forschungs-Windpark, den die Stadt in Bergedorf
errichtet hat – „und dann wird da ein Uhu gesichtet!“ Sie rollt mit den
Augen. Halb resigniert klingt der Einwand aus der hintersten Stuhlreihe:
„Es ist nicht nur der Uhu, sondern auch die Kornweihe, ein wunderbarer
Vogel, der fast ausgerottet ist.“
Später gibt es noch Wein und Häppchen. Ein Herr in den Siebzigern mit
Tweed-Jackett sagt: „Ich werd' sie zwar nicht wählen, aber ich werd auch
nicht gleich emigrieren, wenn sie es wird. Die kann das.“ Fegebank plaudert
weiter, hört geduldig zu, beantwortet Fragen. Es ist fast elf, als sie
sagt: „So, jetzt muss ich mal zu meinen einjährigen Zwillingen.“
Die Frage, wie sie das Amt der Bürgermeisterin mit kleinen Kindern
vereinbaren will, regt sie „tierisch“ auf. „Männern wird diese Frage in …
Regel nicht gestellt“, sagt Fegebank am nächsten Abend beim
Kandidaten-Check im taz Salon. „Jedes Amt muss sich der jeweiligen
Familiensituation anpassen. Das ist mein Führungsanspruch.“
Tschentscher glaubt an die Kraft des Arguments, weiß aber auch, dass
Argumente verstanden werden müssen. „Redet mal Klartext und seid einfach in
den Botschaften“, hat er seinen Wahlkämpfern gesagt. Auch sich selbst muss
er hin und wieder daran erinnern. Aber obwohl er Labormediziner ist und
über die „Immunchemische Unterscheidung hochhomologer Strukturen am
Beispiel der Schwangerschaft-spezifischen Glykoproteine“ promoviert hat,
kann er auch einfach.
Sein Wahlkampf trägt die Handschrift eines Analytikers: die wichtigsten
Probleme identifizieren, Lösungen vorschlagen – und behaupten, dass nur die
SPD die Umsetzung garantieren kann. Tschentscher verweist dann auf die mehr
als 10.000 Wohnungen, die fertiggestellt wurden, auf kostenlose Kitaplätze
und die 30 Prozent Sozialwohnungen. „Ohne die SPD wird das nicht
weitergehen“, warnt er bei einem Bautstellenbesuch in Altona, wo auf einem
ehemaligen Bahnhofsgelände Hamburgs größter neuer Stadtteil entsteht.
In mehr als 30 Jahren Kommunalpolitik für die SPD hat Tschentscher
verinnerlicht, überall präsent zu sein und das Ohr am Volk zu haben.
## Kein reiner Zahlenmensch
Tschentscher ist zwar weder volkstümlich noch hemdsärmelig, doch es nützt
ihm, dass er ein Normalo ist: Er wuchs als einer von vier Brüdern in einem
Reihenhaus mitten in der Bremer Hochhaussiedlung Tenever auf, einem
Wohnungsbau-Experiment der 1970er Jahre. Als Junge habe er sich vor den
dort umherziehenden Straßenbanden fürchten müssen, erzählte er der Welt. Er
weiß, warum die soziale Mischung in den Quartieren stimmen muss. Die grüne
Martina Gregersen bescheinigt ihm Bodenständigkeit. „Früher hatte er kein
Auto“, sagt sie. „Seine Gattin traf ich neulich im Bus.“
Schildert ihm jemand Probleme eines bestimmten Viertels, vergleicht er sie
mit den Verhältnissen „bei uns in Barmbek-Nord“, einem Kleinbürger- und
Arbeiterstadtteil mit Gentrifizierungspotenzial. Man nimmt es ihm ab, wenn
er sagt: „Wir sind eine solidarische Stadtgesellschaft – und alle gehören
dazu.“
Ein reiner Zahlenmensch ist Tschentscher nicht. Beim Gespräch über Musik
blüht er auf. Obwohl er das Klavier seit Jahren links liegen lässt, trat er
Anfang Januar in der Elbphilharmonie auf. Er spielte das Präludium in C-Dur
aus Bachs Wohltemperierten Klavier.
Klimaschutz hält er für notwendig. Mit dem grünen Umweltsenator Jens
Kerstan streitet er darüber, wem das größere Verdienst an der
Fortschreibung des Klimaplans gebührt. Tschentscher findet, wenn Hamburg
auf dem eingeschlagenen Pfad weiterwandele, werde es das zurzeit
festgeschriebene Zwischenziel von minus 55 Prozent CO2 bis 2030 erreichen.
Das ist weniger ehrgeizig, als es die Grünen gerne hätten und bedeutet
nicht, dass Wälder und Moore für Autobahnen und Gewerbegebiete tabu wären.
„Allein auf Radwegen kommen wir nicht ins 21. Jahrhundert“, sagt
Tschentscher dann und dass er zwar gerne mit den Grünen zusammenarbeite,
aber davon überzeugt sei, „dass die Grünen nicht in der Lage sind, diese
Stadt zu regieren“.
„Herr Tschentscher hat ja gesagt, auf dem Radweg komme man nicht ins 21.
Jahrhundert – in dem ich schon seit 20 Jahren lebe.“ Der Saal tobt.
Katharina Fegebank steht auf der Bühne im Zentrum der Markthalle. Für diese
Wahlkampfveranstaltung war auch Annalena Baerbock angekündigt. Ein paar
hundert Menschen sind gekommen, über hundert müssen draußen bleiben.
## Tschentscher schaltet auf Attacke
Baerbock ist wegen des Sturms Sabine nur kurz per Video aus Berlin
zugeschaltet. Fegebank genießt ihr Heimspiel. Geflüchtete, Wohnungsbau,
Mietpreisbremse, Landwirtschaft – bei jeder Frage bleibt sie freundlich,
antwortet immer wortreich, oft witzig. Doch nicht selten fragt man sich
hinterher, was sie eigentlich gesagt hat.
Ein junger Mann klagt, die Politik, die Fegebank mache, habe mit seinem
Leben nichts zu tun. Fegebank kitzelt behutsam aus ihm heraus, dass er
Radfahrer ist, und skizziert, wie die Grünen beim Radverkehr Kopenhagen
nacheifern wollen.
Den Tierversuchsgegnern, die seit Monaten auf praktisch jeder öffentlichen
Veranstaltung mit ihr auftauchen, sagt sie das x-te Mal, in ihrer
Eigenschaft als Wissenschaftssenatorin habe sie gerade eine Professur für
tierversuchsfreie Forschung eingerichtet. Aber wann genau der letzte
Tierversuch in Hamburg durchgeführt werde – „das kann ich Ihnen nicht
sagen, das halte ich nicht für seriös“. Sie schließt mit dem Satz: „Ich
hoffe, dass Sie sich zumindest aufgehoben fühlen mit ihrem Interesse.“ Nur
wer ganz genau hinhört, kann daran, wie sie die Endsilben bei „aufgehoben“
und „fühlen“ dehnt, ahnen, dass sie eine Spur genervt ist.
Im Wahlkampfendspurt hat sich der Ton verschärft. Schon dass Tschentscher
ganz ohne die Grünen ins Rathaus einlädt und ein „Senatskonzept“ für die
Innenstadt vorstellt, ist eine Art Kriegserklärung. Und dann liest es sich
auch noch wie aus dem grünen Wahlprogramm abgekupfert. Tschentscher
schaltet punktuell auf Attacke und hat so Boden gut gemacht. Möglicherweise
verfängt seine Behauptung, nur die SPD könne garantieren, dass die von
einer Mehrheit gewünschte rot-grüne Politik auch umgesetzt wird.
## Der Finanzskandal könnte die Karten neu mischen
Vier Wochen vor der Wahl hatte es noch nach einem Patt ausgesehen. Doch die
jüngste Umfrage sieht die SPD wieder 15 Prozentpunkte vor den Grünen. Das
war allerdings, bevor rauskam, dass Tschentscher als Finanzsenator auf 47
Millionen Euro Steuern von einer Privatbank verzichtet hat. Die Affäre
könnte seinen Wahlsieg auf den letzten Metern noch gefährden.
Am Ende wäre Platz 2 auch für die Grünen zu verschmerzen. Als Lars Haider,
Chefredakteur der Hamburger Abendblatts, Fegebank im Kandidatentduell
fragt, was für ein Chef der Tschentscher sei, muss sie einen Augenblick
nachdenken. Dann sagt sie: „Er lässt viel Gestaltungsspielraum.“
16 Feb 2020
## AUTOREN
Gernot Knödler
Jan Kahlcke
## TAGS
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