# taz.de -- Linkenpolitikerin über Antisemitismus-AG: „Das Thema begleitet l… | |
> Weil es antisemitische Tendenzen in ihrer Partei gebe, hat die Lüneburger | |
> Linke Marianne Esders die AG „Gegen jeden Antisemitismus“ mitgegründet. | |
Bild: Marianne Esders: Will sich Kritikpunkte aufnehmen Foto: Die Linke Nieders… | |
taz: Marianne Esders, warum braucht es, warum braucht Die Linke in | |
Niedersachsen eine Landesarbeitsgemeinschaft „Gegen jeden | |
[1][Antisemitismus]“? | |
Marianne Esders: Einerseits gibt es einen Anstieg an antisemitischen | |
Vorfällen und antisemitischer Diskriminierung sowohl [2][in Niedersachsen] | |
als auch in ganz Deutschland. Aber wir sehen natürlich: Auch innerhalb der | |
Partei Die Linke gibt es antisemitische Tendenzen. Nach dem Beschluss zur | |
Jerusalem-Erklärung beim Chemnitzer Parteitag … | |
taz: … der Bundesparteitag beschloss dort im Mai unter anderem, sich der | |
[3][„Jerusalem Declaration on Antisemitism“] anzuschließen, womit zugleich | |
[4][die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance | |
Association (IHRA)] abgelehnt wurde. | |
Esders: Ich denke, in allen Bundesländern bestand nach dem Beschluss, sich | |
auf die Jerusalemer Erklärung festzulegen, bei vielen Mitgliedern das | |
Bedürfnis, dem etwas entgegenzusetzen. Zu dem Zeitpunkt waren bereits | |
einige Mitglieder wegen unzureichender Abgrenzung zu antisemitischen | |
Inhalten [5][aus der Partei ausgetreten], etwa in Berlin der | |
Ex-Kultursenator Klaus Lederer. | |
taz: IHRA-Anhänger*innen bemängeln an der Jerusalemer Erklärung, dass sie | |
das Spezifische des Antisemitismus nicht ausreichend anerkenne, und eine | |
Verharmlosung des gegen Israel gerichteten Antisemitismus. | |
Esders: Aus meiner Sicht steht es einer Partei nicht zu, sich ohne | |
Rücksprache mit Betroffenen-Gruppen per Mehrheitsbeschluss auf eine | |
Definition einer Diskriminierungsform festzulegen, die Gegenstand | |
wissenschaftlicher Auseinandersetzungen ist. Unsere Partei sollte sich mit | |
den Kritikpunkten beider Definitionen auseinandersetzen. Antisemitismus | |
lässt sich nicht per Beschluss wegdefinieren. Ich halte es aber auch nicht | |
für den richtigen Weg, aus der Partei auszutreten. Einige Genoss*innen | |
würden die Partei an diesem Punkt gerne verbessern und ein Angebot für all | |
die Mitglieder schaffen, die sich selbstkritisch mit Antisemitismus | |
auseinandersetzen möchten! Und deswegen sind solche | |
Landesarbeitsgemeinschaften in Gründung, hier in Niedersachsen die „Gegen | |
jeden Antisemitismus“, in anderen Bundesländern nennen sie sich „Shalom“. | |
In Sachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen gibt es sie. In Berlin und | |
Brandenburg werden sie gegründet. | |
taz: Ihre Aktivitäten richten sich aber wesentlich nach innen? | |
Esders: Wir richten uns nach innen – aber nicht nur. Die Partei hat ja auch | |
massive Kritik von außen erfahren, besonders nach dem letzten | |
Bundesparteitag. Der Chemnitzer Beschluss hat den Bündnissen der Linken mit | |
jüdischen Einrichtungen massiv geschadet. Wir hören diese Stimmen – und | |
versuchen darauf einzugehen. | |
taz: Dass es linken Antisemitismus gibt, Antisemitismus in der Linken, das | |
war nicht immer überhaupt konsensfähig, oder? | |
Esders: Laut [6][Erfurter Programm] ist das Existenzrecht Israels | |
Grundkonsens der Partei Die Linke. Dennoch begleitet das Thema | |
Antisemitismus linke Strukturen schon lange. Es gibt autoritäre Gruppen, | |
die in der politischen Linken wirken – und die sich mittlerweile ganz offen | |
antisemitisch äußern. Natürlich sehen diese Gruppen sich nicht unbedingt | |
als antisemitisch, sondern bezeichnen sich als antizionistisch. Aus unserer | |
Perspektive handelt es sich hier um Antisemitismus unter dem Deckmantel | |
eines vorgeschobenen Antizionismus. Vor allem innerhalb der | |
Postkolonialismus-Debatte kommt es zu vereinfachten antiimperialistischen | |
und antikapitalistischen Narrativen, die Israel eine verzerrte koloniale | |
Expansionspolitik vorwerfen. | |
taz: Können Sie nachvollziehen, wie es dazu kommt? | |
Esders: Ich glaube, es gibt gerade vor allem junge Leute, die einfach | |
riesiges Mitleid haben, auch mit den Geschehnissen, die in Gaza passieren; | |
die ein Bedürfnis haben, auf die Straße zu gehen, die sich aber auch | |
schnell vereinnahmen lassen. Ich glaube nicht, dass unter den neuen und | |
auch oft noch jungen Mitgliedern der Partei das historische Wissen darüber | |
vorhanden ist, was vor Jahrzehnten schon einmal innerhalb der politischen | |
Linken an autoritären und antisemitischen Strukturen vorhanden war und | |
jetzt nach dem 7. Oktober 2023 wieder aufkommt. | |
taz: Die „Bekämpfung von Antisemitismus und Antizionismus“ ist Teil [7][des | |
formulierten Selbstverständnisses Ihrer LAG]. Dass beides noch da steht, | |
ist auffällig, weil das eine so oft mit dem anderen eins zu sein scheint. | |
Gibt es in Ihren Augen überhaupt so etwas wie einen legitimen | |
Antizionismus? Der eben nicht bloß ein Deckmantel für Antisemitismus ist? | |
Esders: Das ist ein komplexes Thema. Aber ich denke, dass es inner- wie | |
außerhalb Israels zum Beispiel auch Jüdinnen und Juden gibt, die den | |
Zionismus nicht unterstützen – dabei aber nicht antisemitisch | |
argumentieren. Ich glaube, man kann solch eine Differenzierung vornehmen. | |
taz: Aber das passiert nicht? | |
Esders: Was wir jetzt beobachten, differenziert nicht in diesem Sinne. | |
Also, um die Frage konkret zu beantworten: Ich denke, so etwas gibt es. Es | |
ist möglich und legitim, Kritik an der israelischen Regierung zu äußern, | |
das machen wir auch. Wir haben durchaus ein Problem mit Netanjahu und der | |
rechts orientierten Regierung in Israel und der humanitären Situation in | |
Gaza. | |
taz: Wie umzugehen ist mit dem Begriff oder auch dem Konzept | |
„Antizionismus“, das steht und fällt doch immer auch damit, wie „Zionism… | |
definiert ist. Und da gibt es natürlich schon zu beobachten: eine | |
strategische Indienstnahme des Begriffs. | |
Esders: Sobald das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wird, wird die | |
Sache aus unserer Sicht problematisch. Zionismus bezieht sich primär auf | |
die Existenz eines jüdischen Staates als Schutzraum, der sich auch durch | |
den Holocaust begründet. Wenn der Zionismus von links angegriffen wird, | |
dann oft weil er verallgemeinernd als Kolonisierung gedeutet wird. Die | |
Menschenrechtsverletzungen im Westjordanland und Gaza zu kritisieren, ist | |
legitim. Eine solche berechtigte Kritik stellt auch das Existenzrecht | |
Israels nicht in Frage. | |
taz: Verallgemeinerung und die Weigerung, Nuancen zur Kenntnis zu nehmen: | |
Das prägt diese Debatten auf jeder Ebene. | |
Esders: Unsere Landesarbeitsgemeinschaft sagt auch, wir müssen | |
differenzieren, welchen Stimmen wir ein Podium geben, mit wem wir etwa auf | |
Protestkundgebungen zusammen laufen. Es gibt ja auch Stimmen, die sich in | |
Gaza gegen die Hamas aussprechen, die gegen die Hamas demonstrieren gehen | |
und dafür ihr Leben lassen. Es gibt Aktivisten wie [8][Hamza Howidy], die | |
sich gegen die Hamas wenden und nach Deutschland geflüchtet sind, die | |
einfach sagen: Wir brauchen eure Unterstützung. Wir sind diejenigen, die | |
nicht die islamistischen Gruppen unterstützen, sondern Frieden und eine | |
Form von Demokratie in Palästina wollen. Diese Stimmen werden aktuell nicht | |
ausreichend gehört. Da ist aber der Punkt, wo Die Linke sagen müsste: Das | |
sind die Stimmen, die wir unterstützen und verstärken wollen; bei diesen | |
Stimmen liegt der Widerstand. | |
taz: Können Sie etwas dazu sagen, wie Ihre Fraktion, in Anführungszeichen, | |
innerhalb des Landesverbandes dasteht? | |
Esders: In der aktiven Auseinandersetzung zum Antisemitismus in unserer | |
Partei sind wir aktuell in einer Minderheitenposition, zumindest was | |
unseren Organisationsgrad angeht. Hinzu kommt, dass auch in Niedersachsen | |
die [9][Mitgliederzahlen im Zuge der Bundestagswahl erfreulicherweise | |
explodiert] sind. Wir haben massiv neue Mitglieder dazugewonnen. Und ich | |
habe natürlich keine Übersicht, wie die Einstellung der einzelnen | |
Mitglieder ist zu dieser Frage. Viele Mitglieder bleiben im Hintergrund und | |
äußern sich nicht – ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Menschen alle | |
Antizionisten und Antisemiten sind. | |
taz: Aber? | |
Esders: Gleichzeitig gibt es laute Stimmen, die gerade antisemitische | |
Tendenzen nach vorne treiben und denen wir etwas entgegensetzen möchten. | |
Sagen wir es mal so: Wir sind noch ein eher kleiner Teil, aber wir hoffen, | |
dass sich das ändern wird. | |
taz: Lässt sich das beziffern? Wie viele Leute machen denn derzeit mit bei | |
der LAG? | |
Esders: In der Landesarbeitsgemeinschaft in Niedersachsen sind wir mit etwa | |
30 Interessensbekundungen gestartet. Das waren für uns genug Genoss*innen, | |
um zu sagen, wir wagen eine Landesarbeitsgemeinschaft. Wir haben aber | |
gerade erst losgelegt. Gegründet haben wir uns vor etwa drei Wochen. Jetzt | |
müssen wir noch in der Partei kommunizieren, dass es uns gibt und unsere | |
Anliegen einbringen. | |
29 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitismus/!t5007709 | |
[2] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2025/06/Antisemit… | |
[3] https://jerusalemdeclaration.org/ | |
[4] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus | |
[5] /Pro-und-Contra/!6044884 | |
[6] https://www.die-linke.de/partei/programm/ | |
[7] https://www.dielinke-nds.de/partei/zusammenschluesse/lag-gegen-jeden-antise… | |
[8] /Aktivist-aus-Gaza-zwischen-den-Fronten/!6092641 | |
[9] /Linkspartei-nach-der-Bundestagswahl/!6073181 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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