# taz.de -- Jüdische Studierendenunion: „Die Linke hört nicht auf die Betro… | |
> Ron Dekel ist Präsident der Jüdischen Studierendenunion. Hier spricht er | |
> über Die Linke und ihren Versuch, Antisemitismus „wegzudefinieren“. | |
Bild: Ron Dekel ist Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands | |
taz: Herr Dekel, Sie wurden im März zum neuen Präsidenten der Jüdischen | |
Studierendenunion Deutschlands (JSUD) gewählt. Ihre Vorgängerin Hanna | |
Veiler hat nach der Bundestagswahl gesagt, dass sie nach dem starken | |
Abschneiden der AfD Deutschland erst mal verlässt. Haben Sie auch darüber | |
nachgedacht? | |
Ron Dekel: Ich persönlich nicht. Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie, | |
aber dafür müssen wir auch einstehen. Und das ist genau der Grund, warum | |
ich mich für dieses Amt habe aufstellen lassen. Weil ich fest davon | |
überzeugt bin, dass wir eine Wende schaffen können – sowohl mit der AfD, | |
die wir sehr besorgt beobachten, als auch mit Parteien wie Die Linke, die | |
sich jetzt auch vermehrt antisemitisch äußern, auch auf Spitzenebene. Ohne | |
die beiden gleichsetzen zu wollen. Aber die Entscheidung von Hanna kann ich | |
nachvollziehen, auch wenn ich das Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, | |
in dem sie das sagte, ein bisschen anders gelesen habe. | |
taz: Inwiefern? | |
Dekel: Wenn man als jüdische Person so aktiv und öffentlich präsent ist wie | |
Hanna, dann ist es klar, dass man darüber nachdenkt. Es reicht eigentlich | |
schon, jüdisch zu sein und ein Instagram-Account zu haben. Man wird ständig | |
angefeindet. Hanna hat inzwischen klargestellt, dass das nicht heißt, dass | |
sie Deutschland für immer verlassen möchte. Und dass das Wahlergebnis damit | |
zu tun hat, aber nicht ausschließlich. | |
taz: Haben Sie Angst, als junge jüdische Person nun auch im Rampenlicht zu | |
stehen? | |
Dekel: Nein, Angst nicht. Aber es ist eine sehr bewusste Entscheidung, sich | |
öffentlich zu positionieren. Und es ist erschreckend zu sehen, was meine | |
beiden Vorgängerinnen alles an Hass und Hetze erdulden mussten. Umso | |
wichtiger ist es aber seit dem 7. Oktober geworden, sich sichtbar zu zeigen | |
und auch eine laute Stimme zu sein, um klarzumachen, was Jüdinnen und Juden | |
brauchen. | |
taz: Nachdem das Interview mit Veiler erscheint, postet Die Linke auf | |
Social Media einen Beitrag mit einem Foto von ihr, die Parteiführung sei | |
bestürzt, heißt es dazu. Nach Kritik wird der Beitrag gelöscht, Veiler | |
fühlte sich instrumentalisiert. Auch die Linke sei „Teil des Problems, das | |
viele junge jüdische Menschen dazu bewegt, das Land zu verlassen“, schrieb | |
sie. Sehen Sie das auch so? | |
Dekel: Das ist genau das, was wir als JSUD seit Jahren ansprechen. | |
Antisemitismus wird von Parteien und Organisationen immer dann kritisiert, | |
wenn es ins eigene Narrativ passt. Währenddessen fallen Aussagen von Jan | |
van Aken zu den Bibas-Geschwistern, die schockierend sind. Er wisse nicht, | |
wie die Geiseln in Hamas-Gefangenschaft umgekommen seien. Heidi Reichinnek | |
hat früher Aufsätze darüber geschrieben, warum man mit Islamisten „auf | |
Augenhöhe“ sprechen müsse. Und Ferat Koçak läuft auf antisemitischen Demos | |
mit. Die Probleme innerhalb der Partei sind so offensichtlich. | |
taz: Die Linke hat auf ihrem Parteitag im Mai [1][die Jerusalem Declaration | |
(JDA) zu Antisemitismus angenommen]. Auch die JSUD hat die Entscheidung | |
scharf kritisiert. Warum? | |
Dekel: Wir haben den Beschluss kritisiert, weil die JDA eine Definition | |
ist, die das größte Problem, das Jüdinnen und Juden – insbesondere jüdisc… | |
Studierende – derzeit haben, den israelbezogenen Antisemitismus, nicht | |
ausreichend erfasst. Besonders nach dem 7. Oktober, seitdem diese Form des | |
Judenhasses auf dem Campus allgegenwärtig ist, ist das fatal und lässt uns | |
im Stich. Ein weiteres Problem, das ich mit dem Beschluss sehe, ist, dass | |
die Linke, die – wie bereits erwähnt – ein massives Antisemitismusproblem | |
in den eigenen Reihen hat, dieses einfach wegdefiniert, anstatt | |
Antisemitismus konsequent zu bekämpfen. | |
taz: Diverse Politiker*innen der Linken argumentieren, dass die | |
[2][Antisemitismus-Definition] der International Holocaust Remembrance | |
Alliance (IHRA) eine Kritik der israelischen Kriegsführung verunmögliche … | |
Dekel: Wenn sie das tun, dann zeigen sie, dass sie sich mit dem Thema | |
unzureichend beschäftigt haben. In der IHRA-Definition steht ganz explizit, | |
dass Israel kritisiert werden kann, ohne dass das antisemitisch ist. Es | |
wird lediglich eine klarere Grenze gezogen. Die Linke, die sich sonst als | |
Beschützerin von Minderheiten darstellt, hört hier nicht auf die | |
Betroffenen. Fast alle ernst zu nehmenden internationalen und deutschen | |
jüdischen Organisationen stellen sich klar hinter die IHRA. Ganz abgesehen | |
davon stellt sich die Partei mit dieser Entscheidung gegen eine klare | |
Mehrheit international anerkannter Antisemitismus-Wissenschaftlerinnen und | |
-Wissenschaftler, die die IHRA als die bessere Antisemitismusdefinition | |
ansehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei anderen Minderheiten | |
vergleichbare Diskussionen über die Definition ihrer Diskriminierung gibt. | |
taz: Auch andere Parteien versuchen, Jüdinnen und Juden politisch | |
instrumentalisieren. Eine „jüdische Aktionswoche“ der CDU [3][sorgte 2020 | |
für Kritik.] Wie gehen Sie damit um? | |
Dekel: Es ist schwierig. Natürlich will man mit allen demokratischen | |
Parteien reden, gleichzeitig muss man aufpassen, dass man nicht nur | |
eingeladen wird, damit sie ein Foto machen und am Ende sagen können, „wir | |
haben mit einem Juden geredet, wir sind eine judenfreundliche Partei“. | |
taz: Und mit der AfD? | |
Dekel: Sowohl wir als auch der Zentralrat der Juden in Deutschland haben | |
einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Das heißt, dass wir mit der AfD | |
und auch mit den Juden in der AfD nicht kooperieren. Angesichts der | |
aktuellen Entwicklungen müssen wir ganz genau überlegen, wie wir mit | |
anderen Parteien umgehen möchten. Was für uns ganz klar ist: Wir werden mit | |
Menschen, die Israel das Existenzrecht absprechen, auch nicht kooperieren. | |
taz: Das Erstarken der AfD besorgt viele junge Jüdinnen und Juden in | |
Deutschland. Aber was macht der Rechtsruck in Israel mit Ihnen? Benjamin | |
Netanjahu regiert mit Rechtsradikalen, der Krieg in Gaza wird brutal | |
fortgesetzt. Beeinträchtigt das Ihr Gefühl von Israel als letzter | |
Zufluchtsort? | |
Dekel: Ich bin in Israel aufgewachsen, schaue aber mit großer Sorge auf die | |
politischen Entwicklungen im Land. Trotzdem bleibt Israel ein Zufluchtsort. | |
Gerade angesichts des Aufstiegs der AfD in Deutschland und der | |
Empathielosigkeit großer Teile der Zivilgesellschaft in Deutschland nach | |
dem 7. Oktober. Dass so viele Israelis auf die Straße gehen, um gegen diese | |
Regierung zu protestieren, dass sich so viele Menschen jeden Schabbat am | |
Platz der Geiseln in Tel Aviv versammeln, um die sofortige Freilassung der | |
Geiseln zu fordern, das gibt mir Hoffnung. | |
taz: Wie haben Sie die Zeit [4][seit dem 7. Oktober] an den Unis erlebt? | |
Dekel: Es war einfach krass. Seit dem 7. Oktober kommt es regelmäßig zu | |
verbalen Auseinandersetzungen und Beschimpfungen gegen jüdische | |
Studierende. Ich studiere in München, da hängen „Intifada“-Plakate vor der | |
Uni. Das antiisraelische Protestcamp dort hat mutmaßliche Hamas-Mitglieder | |
eingeladen, um Online-Workshops durchzuführen. Für jüdische Studierende | |
bedeutet diese Radikalisierung wirklich [5][eine Gefahr für Leib und | |
Leben]. | |
taz: Wie bestimmt diese Bedrohungslage Ihren Uni-Alltag? | |
Dekel: Manche jüdische Studierende meiden den Campus komplett. Andere | |
belegen ihre Vorlesungen so, dass sie nicht an den viel besuchten | |
Standorten stattfinden. Man schränkt sich danach ein, wo man sich überhaupt | |
noch sicher fühlt. Unsere Veranstaltungen mussten schon vor dem 7. Oktober | |
unter Schutz stattfinden, jetzt umso mehr. Die Sicherheitskosten müssen wir | |
immer mitbedenken, egal bei welchem Event. | |
taz: Die verheerenden Bilder aus Gaza emotionalisieren, manche Studierende | |
haben auch familiäre Bezüge zu den palästinensischen Gebieten. Können Sie | |
verstehen, dass sie [6][an den Unis gegen diesen Krieg protestieren] | |
wollen? | |
Dekel: Ich spreche niemandem das Recht ab, gegen diesen Krieg zu | |
protestieren. Auch in der jüdischen Community gibt es viele Menschen, die | |
auf die Straße gehen, um einen Waffenstillstand zu fordern. Was ich nicht | |
verstehen kann, ist, wenn sie sich einer gewaltvollen, antisemitischen | |
Sprache bedienen. Seit dem 7. Oktober ist das einfach regelmäßig der Fall. | |
Und dafür habe ich kein Verständnis. | |
taz: Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, hat | |
neulich gefordert, dass der Verfassungsschutz auch an Unis eingesetzt | |
werden soll. Finden Sie das richtig? | |
Dekel: An Universitäten sehen wir aktuell eine deutliche Radikalisierung | |
junger Menschen. Islamistischer Terror wird verherrlicht. Jüdische | |
Studierende werden bedroht oder sogar angegriffen. Wenn das kein Fall für | |
den Verfassungsschutz ist, weiß ich auch nicht mehr. Gleichzeitig sind in | |
einer Demokratie Freiheitsrechte wichtig, es muss abgewogen werden. Aber | |
die aktuellen Zustände dürfen nicht einfach so weitergehen. Ich wünsche | |
mir, dass man klare Regelungen schafft, damit Jüdinnen und Juden sich | |
endlich wieder sicher am Campus fühlen. | |
22 May 2025 | |
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Nicholas Potter | |
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