Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Besuch in Thessaloniki: Abschalten kann nur, wer nicht ständig gem…
> Unsere Autorin berichtet von ihrem Urlaub in Thessaloniki. Doch ein
> Eskapismus gelang auch dort nicht, war der Judenhass doch in den Straße
> präsent.
Bild: Die propalästinensischen Slogans verkörpern nicht immer eine Staatskrit…
Wenn man die Augen zusammenkniff, sich die Ohren zuhielt, war Thessaloniki
eine schöne Stadt. Diese gezwängte Betonhölle, in der zwischen schmucklosen
Fassaden plötzlich Jugendstil, osmanische Baukunst und unzählige orthodoxe
Kirchen aufblitzten. Lärmende Autos bretterten über mehrspurige Straßen,
die Luft schmeckte nach Abgasen und Meer. Parks gab es kaum, dafür die
Ägäis am Rand.
Es war naiv von mir zu glauben, ich könnte hier vor der Welt davonlaufen –
wenigstens für einen Atemzug. Denn schon an der nächsten Straßenecke las
ich: „Naziisrael“ in schwarzer Schrift, „Free Palestine“-Graffitis,
BDS-Sticker an Ampelmasten, Plakate linksradikaler Gruppen, die zwar die
Toten in Gaza betrauern, aber die Täter des 7. Oktober verschweigen.
Wie immer, wenn ich an einem unbekannten Ort bin, besuchte ich das jüdische
Museum. Thessaloniki war einst „Mutter Israels“, eine sephardische
Metropole, in der Juden zeitweise die Mehrheit stellten. Vor der deutschen
Besatzung lebten über 50.000 Juden in der Stadt – die größte jüdische
Gemeinschaft Griechenlands. 1943 wurden sie in Güterwaggons nach Auschwitz,
Treblinka und Bergen-Belsen deportiert, fast alle ermordet. Ihre Synagogen,
Geschäfte, Wohnungen wurden geplündert oder im Zuge der antisemitischen
Praxis „arisiert“. Nach dem Krieg kehrten nur wenige zurück, viele fanden
ihre Häuser besetzt vor. Heute leben in Thessaloniki noch rund 1.500 Juden.
## Viele Griechen haben die jüdische Geschichte verdrängt
Am Eingang des Museums steht heute ein Wachmann, schwere Metalltür,
Kameras. Vor dem 7. Oktober mussten jüdische Einrichtungen in vielen
Städten außerhalb Deutschlands nicht geschützt werden. In Thessaloniki
jetzt schon. Warum hier, wo die Gemeinde so klein und unsichtbar geworden
ist? Weil Unsichtbarkeit keinen Schutz bedeutet?
Viele Griechen haben diesen Teil der Stadtgeschichte verdrängt. Hätte das
Gegenteil doch bedeutet, die Rolle der Lokalbevölkerung, Kollaboration
aufzuarbeiten. Die jüdische Geschichte Thessalonikis ist den meisten
unbekannt.
Seit dem 7. Oktober hat antisemitischer Vandalismus massiv zugenommen. Der
[1][Zentralrat der Juden] in Griechenland spricht von einem
[2][„beispiellosen Anstieg“]. [3][Friedhöfe wurden geschändet], Mauern mit
Drohungen besprüht. An [4][beliebten Urlaubsorten] gab es gezielte Proteste
gegen israelische Touristen. Sie wurden pauschal als „Kriegsverbrecher“
oder „Zionisten“ verunglimpft, Social-Media-Posts forderten „Intifada bis
zum Sieg“.
Besonders bitter wirkt das auf der Insel Zakynthos: Während der Besatzung
der Nationalsozialisten retteten Bürgermeister und Bischof alle
[5][275 Juden der Insel], indem sie sich weigerten, eine Namensliste an die
Deutschen zu übergeben. Mithilfe der Bevölkerung versteckte man sie in
Bergdörfern, alle überlebten. Heute werden Juden ausgerechnet dort von
antiisraelischen Demonstranten angefeindet.
## Israelfeindliche Sticker und Slogans sind allgegenwärtig
Auch in Thessaloniki finden regelmäßig Demonstrationen für Palästina statt,
oft mit Plakaten, die keine Kritik am israelischen Vorgehen in Gaza,
sondern Feindbilder transportieren. Israelfeindliche Sticker und Slogans
sind allgegenwärtig, während andere Bilder – etwa von den israelischen
Geiseln – völlig fehlen. Fast zwei Jahre nach dem 7. Oktober tun sich viele
Linke noch immer schwer, die Komplexität dieser Tragödie auszuhalten: den
Hamas-Terror als Auslöser zu benennen, an die verschleppten Geiseln zu
erinnern – und zugleich die katastrophale Lage der Palästinenser in Gaza zu
sehen.
Manche Spuren verschwinden, andere sind überpräsent. Die Geschichte der
Juden von Thessaloniki sieht man kaum. Stattdessen schaut man auf die
Parolen von heute. Zwischen Graffitis, wütenden Plakaten und Wachhäuschen
verstand ich: Abschalten kann nur, wer den Luxus hat, nicht ständig gemeint
zu sein.
16 Aug 2025
## LINKS
[1] https://en.kis.gr/index.php/anakoinoseis-menu/o-antisemitismos-xekina-me-pl…
[2] https://en.kis.gr/index.php/anakoinoseis-menu/anakoinose-kise-gia-ta-phaino…
[3] https://www.worldjewishcongress.org/en/news/central-board-of-jewish-communi…
[4] /Pro-Palaestina-Demos-in-Griechenland/!6105855
[5] https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/weil-sie-es-wollten/
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Kolumne Grauzone
Thessaloniki
Antisemitismus
Social-Auswahl
GNS
NS-Literatur
Dokumentarfilm
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Holocaust-Überlebender über sein Leben: „Auschwitz gibt dir einen Schlag mi…
Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg spricht über die NS-Zeit und
warum er sein Bundesverdienstkreuz zurückgegeben hat. Ein Besuch bei dem
100-Jährigen.
Dokumentarfilm „Tag der Befreiung“: Bilder, die für immer bleiben
Christian Grasses Interview-Collage schaut auf das Kriegsende in Hamburg.
Der Film verdichtet die Perspektiven von 20 Zeitzeug*innen.
Geschichtsrevisionismus im Internet: Der Holocaust als Meme
Rechte und kommerzielle Accounts leugnen oder verherrlichen den Holocaust
online. Ein Bericht zeigt, wie groß das Problem ist und was dagegen helfen
würde
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.