# taz.de -- Buch zu NS-Städtebau: Mit der Kriegsindustrie kam die Stadt | |
> „Städtebau im Nationalsozialismus“ von Harald Bodenschatz zeigt die | |
> Bauplanungen der Nazis. Es gab sie auch abseits der bekannten | |
> Führerarchitektur. | |
Bild: Bauten der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Johannisthal mit d… | |
Welche Berührungspunkte gibt es heute zum Städtebau des NS? Beim Flanieren | |
über den Münchener Königsplatz oder an der Strandpromenade von Prora werden | |
sich wohl wenige Menschen Gedanken über die Umstände machen, wie diese | |
Bauten entstanden sind. | |
Wer in Salzgitter wohnt, weiß vielleicht, dass die Gründung der Stadt mit | |
den einstigen Hermann-Göring-Werken in direktem Zusammenhang mit den | |
Kriegsvorbereitungen der Nazis stand. In Linz werden die Wohnsiedlungen für | |
Rüstungsarbeiter auch heute „Hitlerbauten“ genannt und bieten noch immer | |
einen begehrten Wohnraum. | |
Einen umfassenden Einblick will der Band „Städtebau im Nationalsozialismus“ | |
geben. Acht Autor*innen zeichnen für die Beiträge verantwortlich, Primus | |
inter pares ist Harald Bodenschatz. | |
Seit mehr als 25 Jahren erforscht und vergleicht der Berliner Stadtplaner | |
und Sozialwissenschaftler den Städtebau unter den europäischen Diktaturen, | |
unter Stalin, Mussolini, Salazar, Franco und jetzt unter Hitler. | |
Viele Vorhaben nicht öffentlich gemacht | |
Ziel dieses Buches ist es, den Städtebau im NS nicht nur mit einem | |
kritischen Blick auf [1][die bekannten „Bauten des Führers“] zu beleuchten, | |
sondern auch die verdeckten Bauplanungen einzubeziehen. Denn viele | |
Bauvorhaben wurden von den Nazis nicht öffentlich gemacht, wenn sie der | |
Militarisierung und Aufrüstung, der Repression oder Beherrschung der | |
besetzten Länder dienten. | |
Deshalb bezieht der Band auch die „Produktionsbedingungen“ des Städtebaus | |
mit ein, etwa die gesetzlichen Bestimmungen, und geht ebenso auf die | |
„Akteure und Interessengruppen“ ein, die oft in Konkurrenz zueinander | |
standen. | |
Das Spektrum des NS-Städtebaus reicht im Buch von der Staatsarchitektur bis | |
zum Lager- und KZ-System, von den Bauwerken für das Militär bis zu den | |
Heimen der Hitlerjugend. Auch Altstadtsanierungen kommen vor, zum Beispiel | |
die Viertel an der „Alten Waage“ in Braunschweig oder [2][der Molkenmarkt | |
in Berlin], und der immense Bau neuer Wohnungen: Kleinsiedlungen, | |
Volkswohnungen, Großsiedlungen im Geschossbau und Baracken- und | |
Behelfsbauten. | |
Ebenso beschreiben die Autor*innen die vielen Infrastrukturmaßnahmen | |
oder Planungen zu den annektierten und besetzten Gebieten. Vor allem in den | |
Ostgebieten, wo es die Nazis auch auf die Ausbeutung von Ressourcen | |
abgesehen hatten, setzte man die Vertreibung und Ermordung großer Teile der | |
ansässigen Bevölkerung voraus. | |
Wilhelm Hallbauer, der vormalige Stadtbaudirektor von Wilhelmshaven, zum | |
Beispiel, ging für Łódź/Litzmannstadt davon aus, dass etwa 300.000 jüdische | |
und 50.000 polnische Bewohner*innen vertrieben werden konnten. Ab | |
Februar 1940 wurde der südliche Teil der Stadt geräumt und ein Ghetto | |
eingerichtet. | |
Für wachsende Städte angelegt | |
Der NS-Städtebau, so zeigt das Buch, sollte ausgesprochen wandlungsfähig | |
sein. Legte man 1935 noch aus Kostengründen die Größe einer Volkswohnung | |
für eine fünfköpfige Familie auf unter 40 Quadratmeter fest, konnte zwei | |
Jahre später die Deutsche Arbeitsfront eine 4-Raum-Wohnung als Standard | |
einbringen. Wandlungsfähig auch, weil ab Mitte der 1930er Jahre Großstädte | |
und Ballungsgebiete wieder wuchsen. | |
Der NS-Städtebau kann auch nicht [3][ohne die Propaganda begriffen] werden. | |
Mit Filmen, Ausstellungen, Publikationen inszenierte das Regime seine | |
Tatkraft und Vormachtstellung – auch im Vergleich zu Italien und zur | |
Sowjetunion. | |
Bodenschatz’ Band setzt die Arbeiten etwa von Werner Durth, Hartmut Frank | |
oder Winfried Nerdinger fort, die seit den 1980er Jahren auch die | |
peripheren und unspektakulären Bauprojekte in die Analyse der | |
NS-Architektur und Stadtplanung einbezogen haben. | |
Doch tauchen auch ein paar blinde Flecken im Buch auf. Korrekt weisen die | |
Autor*innen zwar darauf hin, dass die Nationalsozialisten größtenteils | |
in Gebäude für Militär und Aufrüstung investierten, doch unterscheiden sie | |
nur unscharf Maßnahmen für die Rüstungsindustrie von denen des Militärs und | |
des Zweiten Vierjahresplans. | |
Auch bleibt außen vor, welchen Aufschwung Mitteldeutschland durch | |
Militarisierung, Aufrüstung und Ausbau der Grundstoffindustrie erfuhr, | |
denkt man etwa an die Entwicklung der Junkerswerke in Dessau: Die Zahl | |
ihrer Beschäftigten wuchs von 4.000 (1933) auf 250.000 (1942) an. Allein in | |
Mitteldeutschland gründete man acht Zweigwerke. | |
Neu geplante Städte | |
Kurz gehalten ist zudem das Thema Stadtneugründungen. Genannt werden die | |
prominenten Beispiele Wolfsburg oder Salzgitter. Von 1934 bis 1942 planten | |
die Nazis aber viele weitere neue Städte oder ländliche Siedlungen, etwa | |
die Trabantenstadt zwischen Warnemünde und Rostock für die Heinkel- und | |
Arado-Flugzeugwerke oder im Rahmen des Vierjahresplanes im badischen | |
Blumberg, in Schkopau und Bad Lauchstädt. | |
Und noch ein interessanter Fakt findet nicht genügend Beachtung: Bei | |
größeren Vorhaben fehlten häufig die finanziellen Mittel. Erst 1938 hatte | |
das Regime zusätzliche Gelder bereitgestellt und das | |
Reichsarbeitsministerium mit der Prüfung betraut. Auch das Technische Amt | |
des Reichsluftfahrtministeriums konnte manch ein Bauprojekt „durchdrücken“. | |
Doch solche Mängel kann man den Autor*innen verzeihen. Sie legen mit | |
„Städtebau im Nationalsozialismus“ eine fundierte Darstellung eines Stücks | |
düsterer Architekturgeschichte vor, bis ins planerische Detail. | |
16 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Michael Haben | |
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