| # taz.de -- Historiker über NS-Kultstätten: „Viele wurden als Freilichtbüh… | |
| > Für ihre Propagandaveranstaltungen mit Menschenmassen bauten die Nazis | |
| > Kultstätten. Der Umgang mit ihnen ist noch mangelhaft, beklagt Dietmar | |
| > von Reeken. | |
| Bild: Sollte nach den Plänen der Nazi das „Oberammergau des Nordens“ werde… | |
| taz: Herr von Reeken, welche Rolle spielten Kultstätten im | |
| Nationalsozialismus? | |
| Dietmar von Reeken: Sie sind in der NS-Zeit neu geschaffen worden, um die | |
| Ideologie der Nationalsozialisten in die Breite zu transportieren. Da | |
| dienten sie vor allem als Propagandamittel für die NS-Geschichtsdeutung. | |
| taz: Wie sehen diese NS-Kultstätten aus? | |
| Von Reeken: Es gibt keine klare Definition für NS-Kultstätten. Vielfach | |
| werden sie mit Thingstätten in Verbindung gebracht, also Freilichtbühnen, | |
| die nach 1933 entstanden sind. Dort haben Aufführungen stattgefunden, die | |
| auch für NS-Propagandaveranstaltungen genutzt wurden. Es gibt ein ganzes | |
| Netz dieser Kultstätten in Deutschland. | |
| taz: Können Sie ein Beispiel nennen? | |
| Von Reeken: Die [1][Freilichtbühne Stedingsehre] in Bookolzberg bei Bad | |
| Ganderkesee etwa. Dort wurde eine Freilichtbühne mit Platz für 10.000 | |
| Zuschauer gebaut. Da sind viele Aufführungen gelaufen – alles ausverkaufte | |
| Vorstellungen. Und da kam die Frage auf, wie man nach 1945 eigentlich damit | |
| umgeht. Erst seit den 1990er-Jahren gab es Bestrebungen, stärker an daran | |
| zu erinnern, wofür das geschaffen worden ist – aber mit Widerständen. | |
| taz: Gab es auch noch andere Arten von Kultstätten? | |
| Von Reeken: Der Bückeberg bei Hameln etwa ist der Ort des | |
| Reichserntedankfestes, das von den Nationalsozialisten von 1933 bis 1937 | |
| gefeiert worden ist. Dort sind bis zu eine Million Menschen | |
| zusammengekommen. Es war eine Inszenierung, die auch medial breit | |
| popularisiert worden ist. Auch hier ist es erst in den 1990ern wieder aus | |
| dem Vergessen gerissen worden. Es gab auch hier [2][viele Widerstände.] | |
| taz: Das heißt, dass der Beginn der [3][Aufarbeitung] erst sehr spät | |
| stattfand? | |
| Von Reeken: Genau. Das war bei den klassischen Gedenkstätten, den Lagern, | |
| zwar auch spät, aber trotzdem deutlich früher geschehen, ab den | |
| 1980er-Jahren ungefähr. Die Kultstätten hingegen sind entweder überhaupt | |
| nicht beachtet worden oder sie sind einfach nachgenutzt worden als | |
| Freilichtbühne, ohne daran zu erinnern, was damals gewesen ist. | |
| taz: Wie begründen Sie diesen Unterschied in der Erinnerung an Lager und an | |
| Kultstätten? | |
| Von Reeken: Die Kultstätten wurden teilweise weitergenutzt, weil es oft | |
| eine schöne Bühne und ein Platz war, den man nutzen konnte, ohne zu | |
| erinnern. Anders als bei den Lagern und den Gedenkstätten. Das sind Orte, | |
| an denen Verbrechen stattgefunden haben, an denen Menschen gequält wurden, | |
| umgebracht wurden. Dann ist es klar, dass da erinnert werden muss. Bei den | |
| Kultstätten ist das deutlich schwieriger. Dort haben nicht unmittelbar | |
| Verbrechen stattgefunden, sondern sie sind eine andere Seite des Dritten | |
| Reiches. | |
| taz: Welche Relevanz haben NS-Kultstätten angesichts des zunehmenden | |
| Rechtsrucks? | |
| Von Reeken: Diese Widerstände vor Ort hatten immer etwas damit zu tun, dass | |
| man nicht noch einen Wallfahrtsort für Rechtsradikale schaffen wollte. | |
| Dabei hat es heutzutage eine besonders wichtige Bedeutung. Neben den | |
| [4][Gedenkstätten], die natürlich extrem wichtig sind, zeigen diese Orte, | |
| wie es den Nationalsozialisten gelungen ist, sich selbst zu inszenieren und | |
| Massengefolgschaft zu erzeugen. Das erleben wir aktuell auch. Wir hatten | |
| immer kleine rechtsradikale Einsprengsel. Denen ist es aber nie gelungen, | |
| Massengefolgschaft zu erzeugen. Im Moment sieht das anders aus. Von daher | |
| sind solche Kultstätten besonders wichtig. Da geht es nicht um explizite | |
| Verbrechen, sondern darum, wie man durch Inszenierungen Menschen an sich | |
| binden kann. Und das ist historisch mindestens genauso spannend, wie das | |
| auch unter aktuellen Gesichtspunkten wichtig ist. | |
| 30 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Louisa Eck | |
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