| # taz.de -- Emotionen in faschistischen Zeiten: Immunisiert euch gegen Wutbürg… | |
| > Der psychologische Blick auf den Faschismus erklärt viele Gefühle der | |
| > Gegenwart. Es gibt immer mehr autoritäre Charaktere, die falsch | |
| > abdriften. | |
| Bild: Der Wutbürger in seiner natürlichen Umgebung möchte NICHT ins Gesicht … | |
| Vom Habitus her bin ich ja ein lebensfroher, grundsätzlich sehr | |
| optimistischer Mensch. Ich neige nicht zur Klage und bilde mir ein, eine | |
| freudvolle Art zu haben. | |
| Ich bin Optimist von Gemüt, hänge aber auch der Ansicht an, dass Optimismus | |
| eine progressive Tugend ist, weil nur der Optimist etwas zuwege bringt, im | |
| Unterschied zu antriebslosen Jammerlappen, die schnell in ihrem ewigen | |
| Lamento versinken. | |
| Es ist aber in der letzten Zeit so, dass mich die Realität düster stimmt. | |
| Die Wirklichkeit löst etwas „Dr. Doom“-haftes in mir aus, wofür ich sie a… | |
| ganzem Herzen schmähen und ausschimpfen möchte. | |
| Der [1][Aufstieg der neuen Faschisten] und ihrer verrohten Sprache sowie | |
| der paranoide Sound der Politdiskurse bringt uns auf eine schiefe Bahn. Das | |
| kann übel ausgehen. | |
| ## Rechtsruck als Massenhysterie | |
| Ein anderer taz-Kolumnist, Georg Seeßlen, hat in seinem neuen Buch (mit | |
| Markus Metz) geschrieben: „Wir glauben, rundheraus gesagt, nicht daran, | |
| dass die Demokratie, die liberale Gesellschaft, die Kultur, Ökonomie und | |
| Wissenschaft in ihrem derzeitigen Zustand der Bewegung nach rechts, in | |
| Anti-Demokratie, Anti-Liberalismus und Anti-Humanismus, ernsthaften und | |
| entscheidenden Widerstand entgegensetzen kann und will.“ | |
| Der Rechtsextremismus ist eine Massenhysterie geworden. Er beherrscht die | |
| Schlagzeilen. Seine Paranoia steckt immer mehr Leute an. | |
| Der legendäre Sozialforscher Leo Löwenthal, Co-Autor der Untersuchung | |
| „Falsche Propheten“ und Schlüsselfigur der Arbeiten der Kritischen Theorie | |
| über den „autoritären Charakter“, hat einmal die faschistische und | |
| populistische Agitation mit den schönen Worten charakterisiert, „dass sie | |
| die Psychoanalyse auf den Kopf stellt“. | |
| Während der Psychoanalytiker die Neurosen zu heilen versucht, betreibt die | |
| rechte Agitation das Gegenteil: Sie schürt die Wut, die | |
| Verbitterungsgefühle, will ihre Anhänger in vollends paranoide Charaktere | |
| verwandeln, macht sie „neurotisch und psychotisch“. | |
| ## Das Revival des „autoritären Charakters“ | |
| Gängige Analysen verdeutlichen auch, dass der [2][Neoliberalismus den | |
| Menschen den Kampf aller gegen alle eintrichtert], sie also brutalisiert; | |
| dass die zeitgenössische politische Szenerie dazu führt, dass sich Opfer | |
| der Zustände übergangen fühlen. | |
| Dabei machen bestimmte Eigenschaften den Menschen unterschiedlich anfällig | |
| für die Agitation, also vor allem den „autoritären Charakter“, der zu | |
| Aggression, Stereotypisierungen und Verschwörungsdenken neigt. Zynismus und | |
| Destruktivität zeichnen ihn aus. | |
| Hinzu kommen überzeugende Diagnosen, dass das heutige autoritäre Individuum | |
| anders tickt als das noch vor sechzig Jahren: Es ist narzisstischer, | |
| ichbezogener. Der Typus des „Spinners“ und des „autoritären Rebellen“ | |
| dominiert – stets die Parole „Nicht mit mir!“ auf den Lippen. | |
| Die reine politische oder gar ökonomische Erklärung reicht aber absolut | |
| nicht aus. Der neue Faschismus ist ein sozialpsychologisches Phänomen, eine | |
| Massenhysterie, in der individuelle Gemütszustände aufeinander prallen, zur | |
| politischen Klimakatastrophe werden, die dann wieder auf den Einzelnen | |
| zurückschlägt. | |
| ## Willkommen in einer Pseudo-Realität | |
| Im Zuge dessen verändern sich die, die direkt in die Fänge der Agitatoren | |
| kommen, einen [3][Tunnelblick entwickeln], in den Wahn einer | |
| Pseudo-Realität geraten. | |
| Eine Sozialpsychologie des neuen Faschismus muss also nicht nur darlegen, | |
| was Menschen für die polarisierende Ideologie empfänglich macht – sondern | |
| auch, wie diese sie massenhaft verändert. | |
| Markus Brunner hat im Psychosozial-Verlag eine Untersuchung mit dem Titel | |
| „Sozialpsychologie des Autoritären“ veröffentlicht, in der er diese | |
| „Massendynamik“ und die Rückkopplungsschleife beschreibt, in denen die | |
| „verfestigt-autoritäre Persönlichkeit“ sich erst bildet. | |
| Eine Dynamik, in der sogar einstmals gutwillige Leute in die Fänge des | |
| Autoritarismus geraten können und dann ein verhärtetes, rechtsradikales | |
| Weltbild entwickeln. Es sind Prozesse, die Menschen umerziehen, sodass sie | |
| am Ende sogar zu Grausamkeiten bereit sind. | |
| ## Grenzen des Sagbaren | |
| Einerseits geschieht das mit Sprache – dem viel zitierten [4][Verschieben | |
| der Grenzen des Sagbaren] –, der „Verhärtungsdynamik“, die | |
| Radikalisierungsprozessen eigen ist, dem Herbeifantasieren der „angeblichen | |
| Machenschaften der Feinde“ (Brunner), was nicht nur Wut und Empörung | |
| schürt, sondern jede Art von Gegenwehr legitimiert. | |
| Zur Rhetorik gesellt sich immer mehr auch das Performative: grausame Dinge | |
| werden getan, und [5][sie werden öffentlichkeitswirksam getan] – unter dem | |
| Jubel des enthemmten Publikums. Man denke nur an [6][Donald Trumps] | |
| Menschenfänger in den Innenstädten und an die Internierungslager, in denen | |
| die bedauernswerten Aufgegriffenen verschwinden. | |
| ## Zivilisation im Zerfall | |
| In der Massenhysterie wird die rechte Anhängerschaft zu einer lärmenden | |
| Masse, die selbst noch einmal wechselseitig aufeinander einwirkt, wodurch | |
| sich bei ihren „Anhänger:innen die autoritären Bedürfnisse verstärken“ | |
| (Brunner). | |
| Wirklich skurril ist: Der gesellschaftliche Desintegrationsprozess | |
| verfestigt das Bild einer Zivilisation im Zerfall. Der Faschismus wird zum | |
| Beweis dessen, was er behauptet. Die Radikalisierten selbst sind die | |
| Störung der öffentlichen Ruhe, die sie anprangern. | |
| ## Das soziale Klima kippt | |
| Durch Social Media und Hetzportale ist zudem ein mediales Ökosystem erzeugt | |
| worden. In diesem Klima werden der Herdeninstinkt und, frei nach Sigmund | |
| Freud, „soziale Triebe“ einer „Kollektivseele“ angestachelt. | |
| Heute werden Individuen vor ihren Smartphones in eine Art | |
| kollektiv-isolierte, noch mal in Freuds Worten, „Unverantwortlichkeit der | |
| Masse“, soziale „Ansteckung“ und „freie Triebbefriedigung“ | |
| hineingesteigert, indem man sie minütlich mit Empörungsreizen beschießt. | |
| Freud beobachtete es schon und nun passiert es wieder. Früher kannte man | |
| das von [7][Pogromen]. | |
| 13 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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