| # taz.de -- Anleitung gegen den Autoritarismus: Demokratische Manieren | |
| > Rechtsextreme dominieren den Diskurs und verkaufen sich als demokratische | |
| > Erneuerung. Dagegen hilft eine positive, selbstbewusste Idee von | |
| > Demokratie. | |
| Bild: Tausende protestieren auf der AfD-Verbot-Demonstration in Berlin, am 11. … | |
| Der völkische Nationalismus und der Geist des Autoritarismus sind im | |
| Aufwind, und Parteien wie die [1][AfD] gewinnen an Boden. Aber, das sollte | |
| man auch stets betonen: Die Mehrheit lehnt den Rechtsextremismus ab. | |
| Dennoch dreht sich alles um die rechtsradikale Minderheit. Die | |
| Sozialpsychologie spricht von der „Mehrheitsillusion“, wenn Auffassungen | |
| von Minderheiten als dominant erscheinen, nur weil sie übermäßig | |
| repräsentiert sind. | |
| Aber wie dagegenhalten? Erst einmal, indem man präzise ist. Ich habe sehr | |
| genau die 1.100-Seiten des [2][Verfassungsschutz-Gutachtens über die | |
| „Alternative für Deutschland“] gelesen, in dem der Ultrarechtspartei eine | |
| „rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert wird. Dass die AfD eine | |
| rechtsextremistische Partei ist, ist kein besonders schwer zu beweisender | |
| Sachverhalt. Die Frage ist eher: Reicht das Gesamtbild für ein [3][Verbot?] | |
| Die Verfassungsschützer argumentieren damit, dass die AfD gegen das | |
| Menschenwürdeprinzip verstoße, weil sie von zwei Klassen an Staatsbürgern | |
| ausgeht, den autochthonen und jenen mit Migrationshintergrund. Wenn sie | |
| könnte, würde sie diese nach einem Apartheitprinzip sogar rechtlich | |
| unterschiedlich behandeln. Unzählige Parteifunktionäre sagen das auch ganz | |
| unverhohlen. Außerdem sieht die AfD die einen einfach als die echten | |
| Deutschen, die anderen können tun, was sie wollen, sie werden nie ganz | |
| echt. Indiz dafür ist der Gebrauch von Begriffen wie „Passdeutsche“ und | |
| „Biodeutsche“. Andererseits: Machen das nicht auch andere, nicht nur | |
| Rechtsradikale? Sogar Migra-Aktivisten sprechen von „Biodeutschen“, nur | |
| eben nicht affirmativ, sondern sarkastisch, von „Kartoffeln“, also den | |
| „deutschen Deutschen“, irgendwie doof, ohne hybride Identitäten, und | |
| deshalb beschränkt. | |
| Manchmal ist das Denken des Feindes unser eigenes Denken als | |
| seitenverkehrte Karikatur. Postulate der Identitätspolitik haben sich so | |
| verallgemeinert, dass fast alle in Kategorien von Identitätsmarkern denken. | |
| Erneuerer der Demokratie | |
| Sozial- und Meinungsforscher weisen auch darauf hin, dass die Parole | |
| „Demokratie verteidigen“ als Antwort auf den neuen Faschismus nicht so | |
| richtig verfängt. Sie ist zu abstrakt. Die Menschen sehen „die Demokratie“ | |
| durch den Aufstieg eines neuen, rechten Autoritarismus nicht bedroht. Die | |
| Soziolog:innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey sprechen in ihrem | |
| neuen Buch „Zerstörungslust“ sogar vom „demokratischen Faschismus“, wo… | |
| gemeint ist, dass sich faschistische Fantasien der Härte und der Bestrafung | |
| in der Demokratie einnisten. | |
| Nun halte ich es nicht für eine überraschende Neuigkeit, dass der | |
| Faschismus in der Demokratie operiert, bis es ihm gelungen ist, diese | |
| abzuschaffen. Auffällig ist dagegen schon, dass sich die Autoritären heute | |
| selbst nicht als „antidemokratisch“ darstellen, sondern als [4][Erneuerer | |
| der Demokratie], sogar als die „echten Demokraten“, die den Wünschen der | |
| Mehrheit endlich wieder zum Durchbruch verhelfen, sei es gegen die | |
| angeblichen liberalen Eliten, sei es gegen linke Umerziehung. Das ist | |
| einerseits Propaganda, andererseits ihr echtes Weltbild. Früher waren die | |
| Faschisten stolz darauf, Faschisten zu sein, heute würde sich kaum ein | |
| Wähler der Ultrarechten selbst als Faschist sehen. | |
| Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden – und das, wofür | |
| die Mehrheit votiert, soll durchgepeitscht werden. Wenn 51 Prozent den | |
| anderen 49 Prozent die Ohren langziehen, wäre das laut diesem beschränkten | |
| Demokratiebegriff, der von Minderheitenschutz oder Pluralismus noch nie | |
| etwas gehört hat, auch „Demokratie“. | |
| ## Raus aus der Defensive | |
| Was der neue Autoritarismus angreift, ist die demokratische Lebensweise. | |
| Diese „demokratische Lebensweise“ hat freiheitliche und rechtsstaatliche | |
| Institutionen und Verfassungsordnungen als Grundlage, geht aber über diese | |
| hinaus. Die Meinungs- und Kunstfreiheit gehört dazu, aber auch eine | |
| Mentalität, die in zeitgenössischen Gesellschaften tiefe Wurzeln geschlagen | |
| hat. Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen | |
| Lebensstilen und Wertesystemen. Gesellschaften sind divers und heterogen, | |
| und das in vielerlei Hinsicht. Progressive, sozialistische und liberale | |
| Haltungen sind insofern zu einem allgemeinen Hintergrundrauschen geworden, | |
| weshalb die Ultrarechten vom „linken Mainstream“ fantasieren können. | |
| Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt | |
| entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat | |
| dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre | |
| Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will; dass | |
| man Mitbürger mit abweichenden Lebensentwürfen nicht diskriminiert und | |
| Menschen mit etwa Behinderung nicht verspottet, dass jeder auf seine eigene | |
| Art glücklich werden soll, dass man Kinder nicht schlägt und auch nicht mit | |
| seelischer Grausamkeit neurotisiert; dass Erziehung emanzipativ sein soll, | |
| nicht autoritär und repressiv – all das ist heute Konsens, sogar weit in | |
| rechtskonservative Milieus hinein. | |
| Als Donald Trump 2016 einen Reporter mit Behinderung verspottete, indem er | |
| dessen zuckende Armbewegungen in Folge einer angeborenen Gelenkversteifung | |
| nachäffte, haben die allermeisten Menschen es als eine ekelhafte | |
| Übertretung empfunden. Aber für Trump und seine Hardcore-Anhänger war es | |
| ein Akt der „Opposition“ gegen eine gängige Moralverstellung. | |
| Damit sind wir einer Antwort auf die Frage [5][„Wie dagegenhalten?“] | |
| vielleicht nähergekommen: Mit der Leidenschaft für die demokratische | |
| Lebensweise, dem, was der US-Philosoph Alexandre Lefebvre „Liberalism as a | |
| Way of Life“ nennt. Raus aus der Defensive heißt, wir haben nicht nur etwas | |
| zu verteidigen, sondern auch etwas zu gewinnen, für das man sich begeistern | |
| kann: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Sicherheit, Humanität und | |
| Zärtlichkeit, ein Leben, das nach und nach reicher für alle wird. | |
| 20 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Misik | |
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