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# taz.de -- Studie zu rechten Erfolgen: Woher kommt die Wut?
> Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey versuchen dem „demokratischen
> Faschismus“ auf die Spur zu kommen – mit einem überraschenden Kronzeugen.
Bild: Auch das hedonistische Individuum ist anfällig für rechten Hass
Haben wir es bei Trump und Weidel mit etwas Neuen oder mit kostümierten
Wiedergängern von Mussolini oder Franco zu tun? Diese Frage ist nicht nur
von akademischem Interesse. Denn handelt es sich um eine Reinszenierung des
Faschismus, dann ist Alarm geboten.
Nun springen die Unterschiede ins Auge. Es gibt keine Massen, die durch
Berlin und Rom marschieren und martialischen Führern huldigen. Keine Lager,
in denen die politische Opposition zu Tode geprügelt wird. Aber es
existiert eine Verachtung der liberalen Demokratie und eine Faszination für
autoritäre Politik, die an den klassischen Faschismus erinnert. Der
italienische Historiker Enzo Traverso hat die Debatte so zusammengefasst:
„Das Konzept des Faschismus scheint sowohl unangemessen als auch
unverzichtbar zu sein, um diese neue Realität zu begreifen.“ Das ist
scharfsinnig beobachtet.
Einer der produktivsten Beiträge zu dieser Frage ist die 2022 erschienene
[1][Studie „Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus“].
Die Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey messen darin
tiefenscharf die psychischen Affekte des Wutbürgertums aus. Die rechte
Revolte lässt sich nicht mehr mit dem Begriffsbesteck der Theorie des
autoritären Charakters begreifen. Der buckelte nach oben und trat nach
unten, war Konformist und, Theodor W. Adorno zufolge, ein Produkt der
hierarchisch organisierten Fabrikgesellschaft.
Der neue Rebellentyp ist eher ein Echo des
Selbstverwirklichungskapitalismus, der antiautoritäre Ideale mit brennendem
Hass auf alles verbindet, was seiner Freiheit im Wege steht. Ein Protest
nicht im Namen von Volk und Vaterland, sondern von zornigen Ich-AGs.
## Zwischen faschistischer Neigung und Demokratiebekenntnis
„Gekränkte Freiheit“ ist der Kritischen Theorie verpflichtet, zeigt aber,
dass der autoritäre Charakter, der auf Anordnungen wartet, in der
Nachmoderne eher zu einer Randfigur geworden ist. Aber auch das von
Traditionen und äußerem Zwang weitgehend befreite hedonistische Individuum
ist anfällig für rechte Hassangebote, die libertäre Freiheit und, scheinbar
paradox, eine autoritäre Regression versprechen.
„Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“ ist eine Fort-
und auch eine Überschreibung dieser ersten Studie. Es weitet den Blick über
die Szene der Querdenker hinaus und unternimmt den kühnen Versuch, ein
umfassendes Bild der Antriebskräfte des aktuellen Rechtsextremismus zu
zeichnen.
Der Faschismus, so die Ausgangsthese, wird nicht unbedingt „als politische
Gewaltherrschaft wiederkehren“, aber er existiert bereits „als
faschistische Fantasie in der Demokratie“. Die Wortschöpfung
„Demokratischer Faschismus“ ist kreativ, bezeichnet aber keine
gesellschaftliche Formation. Sie soll die „Verflechtung von faschistischen
Neigungen und demokratischen Bekenntnissen“ spiegeln. Vor allem ist der
Begriff ein rhetorischer Abstandshalter – zu jenen, die [2][Trump und
Weidel] für bloße Rechtspopulisten halten, und zu jenen, die alles, was
rechts ist, als faschistisch labeln.
„Zerstörungslust“ ist ein intelligentes Buch, das flüssig und souverän
Ideen, Statistiken, Deutungen mit eigenen empirischen Befragungen und
Tiefeninterviews verzahnt. Der rechte Erfolg ist ein Effekt eines grau
gewordenen Fortschrittsversprechens. Die verklärte MAGA-Vergangenheit wirkt
so attraktiv, weil die „zukunftslose Gegenwart“ (Amlinger/Nachtwey) der
liberalen Demokratien so trostlos erscheint.
Der rechte Aufschwung ist ein Produkt des Liberalismus. Deshalb reicht es
nicht aus, auf die Attacke von rechts nur mit der Verteidigung von
Rechtsstaat und liberaler Demokratie zu antworten. Das ist zutreffend, aber
auch keine Lösung. Die Renaissance des Sozialismus als brauchbare
Gegenerzählung bleibt nicht zufällig eine vage Andeutung am Ende des
Buches.
## Aufbegehren der Unter- gegen die Dienstleistungsmittelklasse
Eine kluge Deutung schlägt das Duo für den rechten Kulturkampf gegen
Wokeness vor, den Linksliberale mit ratlosem Erschaudern betrachten. Die
etwa von Trump in den USA und der AfD in Deutschland angeheizte
Antiwokeness und das Gefühl der Bevormundung“, so Amlinger/Nachtwey, ist
auch ein Aufbegehren der Unter- gegen die Dienstleistungsmittelklasse, die
von der Kita über Ernährungstipps bis zum Genehmigungsdickicht in Ämtern
das Alltagsleben reguliert.
Bildungsferne Schichten erleben die pädagogische Bürokratie als
übergriffige Intervention von oben in ihren Alltag. Nur auf dieser Folie
entfaltet die rechte Agitiation gegen Gender und Co ihre Wucht.
Und nun? Das Dilemma bleibt. Die Linke hat lange ihren Frieden mit der
verwalteten Welt und der Verrechtlichung politischer Konflikte gemacht,
auch weil Minderheitenschutz von Normen, Gesetzen, Vorschriften abgestützt
wird. Deshalb zahlt die Revolte gegen die „Dienstleistungsmittelklassen,
von denen sich die Arbeiterklasse drangsaliert fühlt“, bei den Rechten ein.
Die zentrale Frage lautet: Woher kommt die Wut, die die autoritäre Rechte
antreibt? In Interviews mit AfD-Anhängern finden Amlinger und Nachwey
Straffantasien gegen Minderheiten, die mit eigenen Erfahrungen von
Niederlagen und Lebenskrisen verbunden werden. Der rechte Anhang hat das
Gefühl, „ausgenutzt und zum Außenseiter gemacht zu werden, obwohl man sich
zu den Etablierten zählt“ und „nicht gesehen zu werden, obwohl man sich in
der Mehrheit wähnt“.
Als Deutungsgerüst präsentieren die AutorInnen einen verblüffenden
Kronzeugen, Erich Fromm, einen eher vergessenen Denker der Kritischen
Theorie. Der machte im ungelebten, blockierten Leben die Quelle eines
Destruktionstriebs und nekrophiler Gewaltfantasien aus.
Destruktionstrieb mag ein brauchbares Konzept sein, um den faschistischen
Todeskult zu verstehen. Doch als kulturkritische Großraumthese, die die
Defekte des Kapitalismus vermisst, hat er etwas Angestaubtes. In „Gekränkte
Freiheit“ gelang es dem Autorenduo elegant, Adornos 70 Jahre alte
Erkenntnisse über den autoritären Charakter durch kritische Relektüre zu
benutzen, umzuformen und im Jetzt anzudocken. Fromms Befund vom im
Kapitalismus ungelebten Leben (immer und überall?), das faschistische
Fantasien speist, wirkt in „Zerstörungslust“ seltsam kontextlos, wie ein
Klassikerzitat.
Das Theoriegebäude in „Zerstörungslust“ erinnert somit in seinem zentralen
Abschnitt an einen Rohbau, mit ein paar Wänden und halbem Dach. Amlinger
und Nachtwey sollten an dieser Konstruktion auf jeden Fall weiterbauen.
Noch dort, wo sie Sackgassen ausleuchten, sind sie kreativer als viele, die
risikolos recht haben.
15 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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