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# taz.de -- Historikerin über rechte Körperpolitik: Die Fantasie vom schönen…
> Für die AfD gehören Behindertenfeindlichkeit und Rassismus zusammen, sagt
> Dagmar Herzog. Ein Gespräch über die faschistische Einladung zur
> Schadenfreude.
Bild: AfD-Propaganda mit normschönen Beinen: ein Wahlplakat in Berlin, 2017
taz: Frau Herzog, was ist ein faschistischer Körper?
Dagmar Herzog: Den faschistischen Körper gibt es nicht. Er ist ein
Wunschtraum. Einer, der im Dritten Reich mit sehr viel Brutalität
durchgesetzt werden sollte – die gelobte Rasse gab es ja noch gar nicht.
Die sollte erst hergestellt werden. Und: Ein faschistischer Körper ist
einer, der offensichtlich Freude daran findet, andere zu erniedrigen.
taz: Inwiefern?
Herzog: Lassen Sie mich zurückgehen zur Sexualpolitik der
Nationalsozialisten und schon vorher zur Eugenik. Bereits 1895
veröffentlichte der Arzt Alfred J. Ploetz das Buch „Die Tüchtigkeit unsrer
Rasse und der Schutz der Schwachen“. Darin schwärmt er von den Spartanern:
Sie setzten kümmerliche Kinder aus und ließen sie sterben. Die restlichen
Spartaner sind schön, gesund und gerne nackt. Sie treiben Sport – und
praktizieren außerehelichen Geschlechtsverkehr. Die Nazis nahmen Ploetz’
Fantasie vom schönen, starken und gesunden Volk auf, das seine Schwachen
abtötet, und entwickelten es weiter.
taz: Indem sie die Grausamkeit auf die Spitze trieben?
Herzog: Sie brachten bereits den Kindern bei, gemein gegenüber Schwächeren
zu sein. Es war eine Einladung an die Bevölkerung, ein Reich der
Schadenfreude zu betreten, in dem enthemmte [1][Gewalt gegen Minderheiten]
straffrei bleibt.
taz: Sie schreiben in Ihrem Buch „Der neue faschistische Körper“, dass wir
bereits mitten im Faschismus stecken. Woran machen Sie das fest?
Herzog: Am globalen Aufstieg autoritärer rechter Bewegungen. Ob in den USA,
Brasilien oder in Indien, Ungarn oder Russland: Wir erleben seit ein paar
Jahren einen Faschisierungsprozess, der Autoritarismus oder illiberale
Demokratien produziert. Mit Faschismus meine ich ein Regime oder eine
Bewegung, die sich gegen menschliche Werte stellt wie Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit, Empathie und Solidarität. Ich würde sagen, wir leben in
einem Moment, in dem in sehr vielen Gesellschaften Demokratie und
Faschismus nebeneinander koexistieren.
taz: Sie leben in New York. Ihre These von der Faschisierung illustrieren
Sie mit Kampagnen der AfD in Deutschland. Warum?
Herzog: Besonders im Umgang mit geistiger Behinderung wirkt in Deutschland
noch vieles aus der NS-Zeit nach. Die AfD ist so obsessiv
behindertenfeindlich wie keine andere rechtslastige Bewegung. Weder in
Ungarn noch Brasilien finden Sie dieses Wüten gegen Integration behinderter
Menschen, das die AfD in jedem regionalen Parteiprogramm betreibt. Ich habe
mich gefragt: Warum will man vor allem geistige Behinderung wieder
unsichtbar machen?
taz: Wie lautet Ihre Antwort?
Herzog: Ich glaube, eins der Kalküle am Schlechtreden von Inklusion ist:
Wenn man Menschen mit Beeinträchtigungen wieder aus dem Blickfeld der
Kinder bringt, dann lernen sie gar nicht erst die Empathie und die
Solidarität, die ein wichtiger Teil des Menschseins sind. Ich habe mit
vielen jungen Leuten in Deutschland geredet. Manche sind in
Inklusionsklassen und finden das toll. Ich habe auch viele gelingende
Inklusionsklassen besucht. Aber es ist nicht die Mehrheit, vielerorts wird
Inklusion gar nicht umgesetzt. Mancherorts sind Lehrer und Schulen damit
auch überfordert
taz: Kritik an schlecht umgesetzter Inklusionspolitik wird auch von
demokratischen Parteien geübt.
Herzog: Wenn Inklusion aber gar nicht überall umgesetzt wird, warum geht
ein AfD-Politiker auf Stimmenfang mit dem Slogan „Leistungsschule statt
Kuschelunterricht“? Das transportiert eine Überheblichkeit gegenüber
Menschen mit Beeinträchtigungen. Es gab AfD-Anfragen, wie viel Rentengeld
Menschen mit psychischen Krankheiten bekommen. Björn Höcke sagte: Unsere
Jugendlichen werden nicht die Leute der Zukunft sein, wenn wir Inklusion
machen. Maximilian Krah meinte, Nachrichten in einfacher Sprache seien für
„Idioten“. Warum diese Sticheleien? Was sollte die parlamentarische Anfrage
der AfD, ob syrische oder aus muslimischen Ländern kommende Familien mehr
Kinder mit kognitiver Beeinträchtigung haben, weil es dort angeblich mehr
blutsverwandte Ehen gibt? Das wurde früher über die Juden gesagt: Die haben
mehr Verwandtenehen und sind daher mehrheitlich kognitiv behindert, auch
wenn es ein paar sehr kluge Juden gibt.
taz: Sie zitieren den Springer-Chef Mathias Döpfner. Er sagte, Deutschland
müsse „jüdischer“ werden, damit meinte er klüger.
Herzog: Ja, die Besessenheit mit Fragen des IQs bestimmter Gruppen nimmt
seit ein paar Jahren wieder zu. Das Stimulieren von Ekel wird gern
kombiniert mit dem Angstschüren vor den hohen Kosten, die Fürsorge für
Menschen mit Behinderung für die Allgemeinheit bringt. Auf Behinderung
herumzutrampeln ist ein Playbook für Stimmungsmache.
taz: Und die deutsche Rechte greift in besonderem Maß darauf zurück?
Herzog: Eugenik gab es in vielen Ländern: USA, Vereinigtes Königreich,
Italien, Rumänien und in Skandinavien. Aber nur in Deutschland hat es
350.000 bis 400.000 Sterilisationen gegeben. Und Euthanasiemorde.
taz: Haben Sie dafür eine Erklärung gefunden?
Herzog: Eine kurze Antwort wäre: weil Deutschland den Ersten Weltkrieg
verloren hat. Emil Kraepelin, ein wichtiger Psychiater, schrieb damals in
einem Aufsatz: Wir können nicht mehr stolz sein, Deutsche zu sein. Das ist
eine nationale Erniedrigung.
taz: Er bezog sich nicht auf schlechte Kriegsführung?
Herzog: Nein, auf die angeblich grassierende „Verblödung“ der Bevölkerung.
1914 sollten sich nach Ansicht von Wissenschaftlern ein oder zwei Prozent
der Mitmenschen nicht reproduzieren. 1931 war bereits die Rede von 30
Prozent, die so suboptimal seien, dass sie keine Kinder kriegen sollten:
Kümmerliche und Syphiliten, Alkoholiker, Wahnsinnige, Asoziale. Es
verbreitete sich die Idee, dass rund ein Drittel des Volkes nicht gut genug
ist, Kinder zu kriegen und eine Bürde für die Allgemeinheit ist. Aus dem
Gedanken, dass die Gesellschaft das nicht stemmen kann, haben selbst
Christen gesagt: Töten nein, aber sterilisieren ja.
taz: Sie beschreiben, wie viele protestantische Anstaltsleiter begeistert
mitmachten bei den Zwangssterilisierungen.
Herzog: Der Umgang mit Behinderung ist kein Randthema. Es geht dabei um das
Selbstverständnis der Nation. Gerade weil die AfD nicht die einzigen sind,
die die Förderschulen erhalten möchten, auch wenn sie die einzigen sind,
die so massiv gegen Inklusion wettern. Die Rechten waren es, die den
Begriff Remigration in die Welt gesetzt haben. Jetzt reden auch die anderen
Parteien darüber, wer integriert genug ist und fleißig genug arbeitet, dass
man ihn oder sie behalten darf.
taz: Zur rechten Behindertenfeindlichkeit gesellt sich „sexy Rassismus“.
Was ist das?
Herzog: Lassen Sie mich das am Beispiel von Wahlkampagnen der AfD erklären.
Da gab es eine Entwicklung. 2017, 2018 ging es los mit Plakaten mit
erotischer Komponente: „Neue Deutsche? Machen wir selber“, mit dem Körper
einer halb entblößt liegenden Schwangeren. Dann das Wahlplakat „Burkas? Wir
steh’n auf Bikinis“, mit den Hintern von jungen Damen, die am Strand
laufen. Oder, als Variante: „Burka? Ich steh’ mehr auf Burgunder“ mit tief
dekolletierten Dirndl-Frauen. Das war alles witzig, aber immer kombiniert
mit einem Feindbild.
taz: Die imaginierte Bedrohung durch den Islam?
Herzog: Ja. Die nächsten Plakatserien waren offen rassistisch: Über der
Reproduktion des berühmten Bilds „Der Sklavenmarkt“ von Jean-Léon Gérôme
sehen Sie eine Nackte, der Turbanträger in den Mund greifen: „Damit aus
Europa kein ‚Eurabien‘ wird.“ Da schaut der deutsche Wähler drauf, wird
erregt und darf sich gleichzeitig überlegen fühlen gegenüber den bösen
Turbanmännern.
taz: Sie vergleichen solche Bilder mit Kampagnen des Naziblatts Stürmer.
Herzog: Es gab etwa eine Stürmer-Zeichnung einer nackten Frau, an deren
Körper Giftschlangen mit jüdischen Namen züngelten. Stellen Sie das
[2][AfD-Plakat] daneben, auf dem eine nackte Frau von einem Messer bedroht
wird: Das ist eine Eins-zu-eins-Kopie! Der bisherige Höhepunkt war ein
gehässiges Video, in dem tanzende Flugbegleiterinnen die Abschiebung von
Geflüchteten feiern. Hier verschränken sich Schadenfreude und
Dominanzgehabe. Die Demütigung der migrantischen Männer und ihrer linken
Freunde wird in Szene gesetzt.
taz: Ähnliches in den USA: Donald Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noem
posierte in El Salvador vor Gefangenen in einem Käfig.
Herzog: Ja, sie steht da mit ihren Locken vor den halbnackten braunen
Männern. Die Erniedrigung wird wie in einem Porno inszeniert. [3][Primo
Levi] hat 1974 gesagt: Jede Epoche hat ihren eigenen Faschismus. Das ist
dann wohl unserer.
taz: Wodurch ist er noch gekennzeichnet?
Herzog: Durch die postmoderne Lust an der Widersprüchlichkeit. Dass man
immer wieder einen Rückzieher machen kann: Ach, war ja nur ein Witz, war
nicht so ernst gemeint. Damit lassen sich verschiedene Wählergruppen
ansprechen: Einerseits sollen schwule Männer die AfD wählen, weil die
Muslime homophob sind. Und es die Alice mit ihrer gleichgeschlechtlichen
Partnerin gibt. An anderer Stelle heißt es: Wir wollen keinen
„Regenbogenwahnsinn“. Die Ideologie ist absichtlich nicht kohärent. Für
jeden Wähler gibt es eine andere Botschaft. Faschismus funktioniert als
Erlaubnisgeber: Man darf gemein sein und überheblich. Man muss nicht mehr
„Gutmensch“ sein. Oder teilen.
taz: Halten Sie ein AfD-Verbot für sinnvoll?
Herzog: Vielleicht könnten sich die demokratischen Parteien Zeit
verschaffen. Letztlich geht es darum, dass die nicht an die Macht kommen.
Für die USA würde ich rückblickend sagen: Trump sollte im Gefängnis sitzen,
Biden und die Demokraten hätten stärker durchgreifen müssen. Jetzt haben
wir einen Präsidenten-Diktator.
taz: Können die Schäden an der Demokratie repariert werden?
Herzog: Der Faschismus bleibt ja in den Herzen hängen, in den Seelen. Die
Leute sind wirklich desorientiert.
7 Sep 2025
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## AUTOREN
Nina Apin
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