| # taz.de -- Hannah-Arendt-Preis für Seyla Benhabib: Brücken bauen ohne Gelän… | |
| > Seyla Benhabib führt Arendts „Denken ohne Geländer“ weiter: kritisch, | |
| > feministisch, dialogisch. Dafür bekommt sie den Hannah-Arendt-Preis – | |
| > ohne Eklat. | |
| Bild: Beerbt im Denken Hannah Arendt und bekommt bald den nach ihr benannten Pr… | |
| Diesmal ist alles ruhig: Am 9. Dezember 2025 nimmt die politische | |
| Philosophin Seyla Benhabib im Bremer Rathaus den Hannah-Arendt-Preis für | |
| politisches Denken entgegen – ohne Polizeischutz und ohne Eklat. | |
| In der Vergangenheit hatte der mit 10.000 Euro dotierte Preis, den die | |
| Stadt Bremen und die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam verleihen, immer | |
| wieder für Aufregung gesorgt. Besonders kontrovers war [1][die Verleihung | |
| 2023 an die Journalistin Masha Gessen]: Ihr [2][Essay im New Yorker], in | |
| dem sie Parallelen zwischen dem Gazastreifen und jüdischen Ghettos im | |
| Zweiten Weltkrieg zog, löste massive Kritik aus. Die Böll-Stiftung zog | |
| kurzzeitig ihre Beteiligung am Preis zurück, vergangenes Jahr fiel die | |
| Verleihung aus, der Eklat führte schließlich zu [3][Veränderungen im | |
| Hannah-Arendt-Verein], inklusive neuer Satzung und Jury. | |
| Zwei Jahre später ist der Preis wieder geworden, was er sein soll: eine | |
| Feier des unabhängigen, nuancierten, dialogischen Denkens. Und er ist | |
| Benhabib wie auf den Leib geschneidert. | |
| Geboren 1950 in Istanbul in eine sephardisch-jüdische Familie, wuchs sie in | |
| einer mehrsprachigen, kosmopolitischen Umgebung auf. Das prägt ihr Werk bis | |
| heute. Früh zog sie in die USA, studierte in Brandeis und Yale, promovierte | |
| dort 1977 über die Hegel'sche Rechtsphilosophie. | |
| ## Kritische Theorie und interaktiver Universalismus | |
| Benhabib lehrte in Harvard, an der New School for Social Research und von | |
| 2001 bis zur Emeritierung 2020 als Eugene-Meyer-Professorin für politische | |
| Wissenschaft und Philosophie in Yale. Heute forscht sie als Senior Scholar | |
| an der Columbia Law School. | |
| Benhabib ist [4][eine der einflussreichsten politischen Theoretikerinnen] | |
| der Gegenwart. Sie verknüpft Kritische Theorie im Sinne der | |
| [5][Diskursethik Jürgen Habermas'], Feminismus und die Auseinandersetzung | |
| mit den Bedingungen eines kosmopolitischen Universalismus mit Hannah | |
| Arendts Denken zu einer eigenen Stimme. Sie plädiert für eine feministische | |
| Perspektive auf globale Ungleichheiten und kritisiert autoritäre Tendenzen | |
| weltweit. | |
| Bücher wie „Die Rechte der Anderen“ (2004) oder „Exil, Staatenlosigkeit … | |
| Migration“ (2018) analysieren, was Fluchtbewegungen für Demokratie und | |
| Menschenrechte bedeuten. [6][Benhabib fordert einen „interaktiven | |
| Universalismus“]: Rechte entstehen nicht abstrakt, sondern im Dialog – und | |
| ein „Recht auf Rechte“ gibt es auch für Geflüchtete, jenseits starrer | |
| Grenzen. | |
| Wo Debatten verhärten, sucht Benhabib Zwischentöne, sei es im | |
| Nahostkonflikt oder in Debatten um Identitätspolitik, und plädiert für eine | |
| „erweiterte Denkungsart“, die Perspektiven der anderen einbezieht. | |
| ## Warnung vor der Relativierung des 7. Oktober | |
| Ihre Haltung zeigte sie auch nach dem 7. Oktober 2023: Als Kolleg:innen | |
| wie Judith Butler und Nancy Fraser [7][den offenen Brief „Philosophy for | |
| Palestine“ unterzeichneten] – der Israels Politik scharf kritisierte, aber | |
| die Hamas-Massaker nur indirekt verurteilte –, distanzierte sich Benhabib | |
| deutlich. | |
| [8][In ihrem Gegenbrief] warf sie den Unterzeichner:innen vor, den | |
| Konflikt einseitig als „Siedlerkolonialismus“ zu sehen und die Gräueltaten | |
| der Hamas als legitimen Widerstand zu verharmlosen. Sie betonte ihre | |
| lebenslange Unterstützung palästinensischer Selbstbestimmung, warnte aber | |
| vor der Relativierung des 7. Oktober als Wendepunkt. | |
| [9][Nach dem Adorno-Preis 2024] und anderen Ehrungen wie dem Ernst-Bloch- | |
| oder Meister-Eckhart-Preis ist der Hannah-Arendt-Preis für Seyla Benhabib | |
| die logische Krönung: Hier trifft die Denkerin auf ihre zentrale | |
| Bezugsperson. Mit Benhabib ehrt Bremen eine brillante Theoretikerin und | |
| eine öffentliche Intellektuelle, die Arendts Erbe konsequent lebendig hält. | |
| Nicht zuletzt ihre jüdische Herkunft und ihre Erfahrungen mit Exil machen | |
| sie zu einer Brückenbauerin – die Arendts Ideen von Pluralität und | |
| Öffentlichkeit neu belebt. | |
| 18 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Hannah-Arendt-Preis-fuer-Masha-Gessen/!5977628 | |
| [2] https://www.newyorker.com/news/the-weekend-essay/in-the-shadow-of-the-holoc… | |
| [3] /Neuaufstellung-von-Arendt-Preis/!6022451 | |
| [4] /Renommierter-Adorno-Preis-an-Benhabib/!6013060 | |
| [5] /Vorlass-von-Juergen-Habermas/!6126827 | |
| [6] https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/juni/fuer-einen-interaktiven-universal… | |
| [7] /Ueber-Philosophy-for-Palestine/!5969264 | |
| [8] https://abfang.org/wp-60db5-content/uploads/2023/11/Benhabibs-Antwort-auf-P… | |
| [9] /Renommierter-Adorno-Preis-an-Benhabib/!6013060 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
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