# taz.de -- Anti-Feminismus auf dem Land: „Schiefheilung“ bedrohter Männli… | |
> Die Ablehnung von Feminismus geht oft einher mit der Idealisierung | |
> ländlicher Idylle. Über die Verbindungen von Autoritarismus und | |
> „Provinzialität“. | |
Bild: Es ist immer noch nötig, für Feminismus auf die Straße zu gehen, wie a… | |
Die jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben deutliche Unterschiede zwischen | |
Ost- und Westdeutschland gezeigt, es gab aber auch ein auffälliges Gefälle | |
zwischen den großen Städten und der Provinz. In ländlich geprägten Gegenden | |
sind konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter | |
stehenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch | |
für das [1][Thema Antifeminismus]: Patriarchale Geschlechterbilder und | |
feste Rollenzuschreibungen passen bestens zur Romantisierung der guten | |
alten Zeit und eines harmonischen Landlebens – einer Welt, die (scheinbar) | |
noch in Ordnung ist. | |
Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker | |
vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig behandeln in | |
ihrem gerade erschienenen Buch ein bislang wenig untersuchtes | |
Forschungsfeld. Den Begriff Provinzialität interpretieren sie nicht als | |
rein räumliche Kategorie, sondern unter Bezug auf den Philosophen Theodor | |
Adorno als Weltanschauung: als ein Denken in fixen Kategorien, das | |
Reflexion und Ambivalenz ablehnt, statt dessen autoritäre Lösungen | |
befürwortet und daher von der politischen Rechten mobilisierbar ist. | |
In ländlichen Regionen findet diese Geisteshaltung bessere Voraussetzungen. | |
Doch in den Metropolen und besonders an ihren peripheren, oft | |
unterprivilegierten Rändern kann es ebenfalls große Ressentiments etwa | |
gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben. | |
Umgekehrt leben selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern | |
Menschen, die diese Vorbehalte nicht teilen. | |
Der britische Autor David Goodhart hat das Begriffspaar „Somewheres versus | |
Anywheres“ in die soziologische Debatte eingeführt. Nach seinem plakativen | |
Schema stehen sich heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite | |
und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der | |
anderen Seite gegenüber. Die Deutungsmuster und Lebensstile dieser beiden | |
Milieus sind zwar nicht immer klar voneinander abzugrenzen, dennoch zeigt | |
sich eine klare geografische Verteilung: „Somewheres“, die Dagebliebenen, | |
wohnen meist in der Provinz oder in kleinbürgerlich geprägten Vororten, | |
„Anywheres“, die (N)Irgendwos, dagegen im Zentrum der großen Städte. Zu | |
entsprechenden Schlussfolgerungen kommen dann Wahlanalysen ebenso wie | |
wissenschaftliche Studien nach dem Motto: Der ländliche Raum tickt rechts. | |
Doch wie stimmig ist dieses Klischee? | |
## Ergebnisse einer Untersuchung nicht besonders aufschlussreich | |
Die Leipziger Forscherinnen sehen zumindest Anhaltspunkte dafür. | |
Antifeminismus und Provinzialität verbinde die „Idealisierung einer | |
Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach | |
Eindeutigkeit“. Die dazu passenden Einstellungen und Verhaltensweisen sind | |
klare Hierarchien, rigide Konventionen und der Verweis auf Sündenböcke. | |
Zentraler Bezugspunkt sei „die Rückkehr zu einer vormodernen Ländlichkeit, | |
mit tradierten patriarchalen Familienstrukturen und einer überschaubaren | |
Gemeinschaft“. Die in diesem Umfeld praktizierten Herrschaftspraktiken | |
lassen zugunsten von Zusammenhalt und Stabilität keine Differenzierung zu, | |
abweichendes Verhalten wird streng geahndet. | |
Die Wissenschaftlerinnen ziehen eine Verbindung zum deutschen Wort | |
„Heimat“, das bezeichnenderweise in anderen Sprachen gar nicht existiert. | |
Mit diesem Begriff wandten sich modernisierungskritische Strömungen schon | |
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Aufklärung, Demokratie | |
und die Zumutungen der Industrialisierung. Anknüpfend an die Epoche der | |
Romantik stilisierte man statt dessen die Natur und das bäuerliche Leben | |
als unverdorben, moralisch höherwertig und in sich ruhend. | |
Neben theoretischen Erklärungsversuchen stellen die Wissenschaftlerinnen | |
auch eigene empirische Forschung vor. Die Ergebnisse des Projekts | |
„Geschlechterdemokratie im Erzgebirge“, einer Region an der Grenze zu | |
Tschechien mit besonders großen Wahlerfolgen der AfD, sind leider nicht | |
besonders aufschlussreich. Der analytisch herausgestellte Sozialtypus „Die | |
wachsame Nachbarschaft“ bleibt in seiner Beschreibung wenig konkret. | |
Besonders fiel dem Forschungsteam auf, wie „Bekundungen eigener Toleranz | |
gegenüber queeren Formen des Begehrens wiederholt untergraben werden“. Eine | |
heteronormative Geschlechterordnung verschränke sich mit ländlicher | |
Identität, so entstehe ein „rigides Normengefüge, welches durch | |
Sanktionsandrohungen zum allgemeinen Bezugspunkt wird“. | |
Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Universität Hannover, betrachtet | |
Rechtsextremismus, Autoritarismus und Antifeminismus als Resultate einer | |
gekränkten Männlichkeit. Ihm zufolge fühlen sich vor allem prekarisierte | |
Männer in durch Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Lebenslagen durch | |
Frauenemanzipation und Genderdebatten bedroht. Ähnlich argumentiert der | |
US-amerikanische Männerforscher Michael Kimmel mit seiner These von den | |
„Angry White Men“, deren Wahlentscheidungen wesentlich zu den Erfolgen von | |
US-Präsident Donald Trump beigetragen hätten. Einen vorgeblichen | |
Rettungsanker finden verunsicherte Männer in der maskulinistischen Berufung | |
auf ein imaginäres „wahres“ Mannsein. | |
Pohls Kollege Sebastian Winter glaubt, dass Ängste so fehlgeleitet ihren | |
Ausdruck finden – und deutet das aus psychoanalytischer Perspektive: Die | |
Betroffenen heilten „ihr Unbehagen schief, formen es unbewusst um, nehmen | |
Sorgen das Leidvolle und entäußern sie dann als Hass und Ressentiment“. | |
Verlusterfahrungen würden auf diese Weise verdrängt. Diese Haltung | |
bezeichnet Winter als „provinziell“, schränkt aber ein: Provinzialität | |
finde sich nicht „nur auf dem Dorf“, sie treffe dort nur auf besonders | |
fruchtbaren Boden. Wo „jede jeden kennt“, könne mehr davon wuchern als in | |
„anonymen, aber zugleich dem Fremden gegenüber offeneren, urbaneren | |
Kontexten“. | |
12 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Gesterkamp | |
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