| # taz.de -- Autorin Sophia Fritz über Rollenbilder: „Ich werde immer mehr zu… | |
| > Sophia Fritz hat mit ihrem Buch „Toxische Weiblichkeit“ für Debatten | |
| > gesorgt. Derzeit befasst sie sich viel mit Männlichkeitsbildern. | |
| Bild: Sophia Fritz arbeitete in ihrem Buch mit „radikaler Selbstoffenbarung“ | |
| Im Kölner Stadtteil Ehrenfeld reihen sich hippe Bäckereien mit hochwertigen | |
| Brotsorten an asiatische Restaurants. In einem von ihnen sitzt die | |
| Schriftstellerin Sophia Fritz und lächelt mir zu. Wir haben vor einigen | |
| Jahren im selben Verlag veröffentlicht, seitdem treffe ich sie regelmäßig, | |
| wenn sie ein neues Buch schreibt. Mich fasziniert Sophia Fritz’ | |
| Vielseitigkeit. Sie hat als Sterbebegleiterin gearbeitet, sie hat über | |
| Weinsorten geschrieben und über Glaubensfragen. Ihr letztes Buch „Toxische | |
| Weiblichkeit“ handelt von der Rollenverteilung und den Prägungen in der | |
| patriarchalen Gesellschaft. | |
| taz: Sophia Fritz, alle reden von „toxischer Männlichkeit“. Du hast ein | |
| Buch über „toxische Weiblichkeit“ geschrieben. Was meinst du damit? | |
| Sophia Fritz: Der Begriff toxische Weiblichkeit [1][kursierte ja schon vor | |
| meinem Buch], zum Beispiel in Kommentarspalten, oft als antifeministische | |
| Reaktion. Mein erster Impuls war Widerstand, weil er wie ein | |
| Misogynie-Vehikel wirkte. Aber Sprache prägt Diskurse. Ich wollte nicht, | |
| dass Rechte oder verletzte Männerrechtler damit Deutungshoheit gewinnen. | |
| Ich wollte den Begriff zurückholen und feministisch besetzen. Ihn nutzen, | |
| um Strukturen sichtbar zu machen, statt Ressentiments zu bedienen. | |
| taz: Was beschreibt er für dich? | |
| Fritz: Unter toxischer Weiblichkeit verstehe ich Verhaltensweisen, die sich | |
| weiblich geprägte Menschen angeeignet haben, um im patriarchalen System | |
| besser klarzukommen, um sich ein- und manchmal auch unterzuordnen. Ich habe | |
| dafür zunächst geschaut, was mich selbst daran hindert, Kontakt auf | |
| Augenhöhe herzustellen, inwiefern das mit meiner weiblichen Prägung zu tun | |
| hat. Ich habe versucht, mit einer radikalen Selbstoffenbarung zu arbeiten | |
| und toxische Weiblichkeit so zu beschreiben, dass sich andere Frauen mit | |
| ähnlicher Prägung wiedererkennen können. [2][Ich habe allerdings noch beim | |
| Schreiben des Buchs selbst ein Unbehagen gespürt], immer, wenn ich das Wort | |
| toxische Weiblichkeit verwendet habe. | |
| taz: Wieso? | |
| Fritz: Weil ich nie entspannt sagen konnte, ob ich toxisch weiblich bin | |
| oder nicht. | |
| taz: Würdest du dich heute als toxisch weiblich bezeichnen? | |
| Fritz: Ja, auf jeden Fall! Und davon geht mein Buch ja auch aus. Ich will | |
| niemanden beschämen, ich will auch keine Deutungshoheit über den Begriff | |
| besitzen. Ich glaube, dass sich der Begriff formt, wenn sich viele Frauen | |
| dazu äußern. | |
| taz: Du beschreibst toxische Weiblichkeit anhand von fünf Prototypen. Da | |
| gibt es das „gute Mädchen“, „die Powerfrau“, „das Opfer“, „die M… | |
| „[3][die Bitch]“. Das klingt erst mal nach frauenfeindlichen Klischees. | |
| Fritz: Also nur mal so: Die Prototypen sind keine realen Frauen, sondern | |
| kulturelle, misogyne Fremdbezeichnungen und Zuschreibungen, die uns seit | |
| Jahrhunderten begleiten. Sie zu überzeichnen hat mir geholfen, Ängste, | |
| Ambivalenzen oder Anpassungsstrategien sichtbar zu machen, für die es sonst | |
| wenig Sprache gibt. | |
| taz: Wie kamst du auf die Prototypen? | |
| Fritz: Ich habe super viel recherchiert, gelesen und geschaut. Ich habe | |
| untersucht, welche weiblichen Figuren in Literatur, Popkultur und Theorie | |
| immer wiederkehren. Welche Narrative uns prägen und welche Klischees wir | |
| bis heute nicht loswerden. Daraus ergab sich diese Typologie. | |
| taz: Und welcher Typ bist du? | |
| Fritz: Während des Schreibens war ich stark in den Mustern des guten | |
| Mädchens gefangen … | |
| taz: … also jemand, der keine Umstände machen will. Eine Person, die in der | |
| U-Bahn neben einem fremden Mann sitzen bleibt, obwohl sie aufstehen möchte, | |
| aus Sorge, der fremde Mann könnte sich schlecht fühlen. | |
| Fritz: Virginia Woolf nannte dieses gute Mädchen den „Engel im Haus“. Sie | |
| schrieb, dass sie diesen Engel töten musste, um überhaupt frei schreiben zu | |
| können, weil er sie ständig zum Gefallen und zur Anpassung drängte. | |
| taz: Und wie hat sich das bei dir entwickelt? | |
| Fritz: Bei meinen Lesungen wurde ich immer mehr die Powerfrau … | |
| taz: … die nur sich selbst braucht und alles allein schaffen kann. | |
| Fritz: Genau. Das hatte eine gewisse Ironie, weil ich auf einigen Lesungen | |
| davon sprach, wie wichtig es ist, weibliche Verbundenheit und Entspannung | |
| zu kultivieren. Zeitgleich hatte ich selbst in dieser Phase kaum Zeit, mich | |
| um mein Privatleben und meine Beziehungen zu kümmern. Jetzt, würde ich | |
| sagen, werde ich immer mehr zur Bitch. | |
| taz: In deinem Buch heißt es, dass die Bitch gesellschaftlich am | |
| negativsten gesehen wird. | |
| Fritz: Es gibt die Klischeebitch, der manipulatives, hinterlistiges | |
| Verhalten zugeordnet wird. Diese Bitch entwickelt sich oft aus dem guten | |
| Mädchen, das ja nicht wütend sein darf und daher manipulativ agieren muss, | |
| um seinen Willen zu bekommen. Dann gibt es aber auch [4][die feministische | |
| Bitch, die auf alles scheißt]. Die sich nicht anpassen will. Da finde ich | |
| mich inzwischen am ehesten wieder. Gleichzeitig sehe ich in dem Stereotyp | |
| auch Verhaltensweisen, die wir von toxischer Männlichkeit kennen: | |
| Beschämung, Abwertung, Dominanz, Egozentrik. Für mich kann das nicht das | |
| Endziel von Feminismus sein. | |
| taz: Du sagst, Prägungen seien sehr wichtig für die erlernten Rollen. Was | |
| hat dich zum guten Mädchen gemacht? | |
| Fritz: Das gute Mädchen ist ein historisch gewachsenes Ideal. Frauen | |
| mussten anpassungsfähig sein, weil ihre Existenz lange von Ehe und | |
| männlicher Absicherung abhing. Das prägt bis heute. In meinem Fall kam noch | |
| die katholische Prägung dazu, mit Maria als Idealfigur weiblicher Reinheit | |
| und Hingabe. Ich war mal bei einem Kindergeburtstag, danach rief die Mutter | |
| meiner Freundin bei meiner Mutter an. Sie lobte, wie höflich ich war, weil | |
| ich beim Abspülen geholfen hatte. Und ich habe mich so gefreut. Ein braves, | |
| freundliches Verhalten gilt bis heute als Ideal, während bei Männern eher | |
| Durchsetzungsfähigkeit und Eigenständigkeit Anerkennung finden. | |
| taz: Hast du noch Anteile des guten Mädchens in dir? | |
| Fritz: Ja, klar. Ich trage alle Teile meiner toxisch weiblichen Prototypen | |
| in mir. Auch den des guten Mädchens. | |
| taz: Und ist es dein Ziel, den abzulegen? | |
| Fritz: Nö! | |
| taz: Wieso? | |
| Fritz: Weil diese Muster ja nicht nur Einschränkungen sind, sondern auch | |
| Ressourcen. Sie haben über Generationen das Überleben gesichert. Anpassung | |
| konnte Schutz bedeuten, Nettigkeit soziale Zugehörigkeit sichern. Heute | |
| helfen mir diese Qualitäten, Situationen sensibel zu lesen oder Krisen zu | |
| meistern. Wenn ich nicht so konsequent freundlich gewesen wäre, hätte ich | |
| auch auf das Buch sicherlich wesentlich mehr Kritik bekommen. Gleichzeitig | |
| bin ich froh, wenn in stressigen Situationen oder auf Reisen die Powerfrau | |
| in mir übernehmen kann. Es geht mir nicht darum, diese Anteile zu tilgen, | |
| sondern sie bewusst und flexibel einsetzen zu können, je nachdem, was eine | |
| Situation erfordert. | |
| taz: [5][Nach der Veröffentlichung deines Buches] gab es auch scharfe | |
| Kritik. Dir wurde eine Schuldumkehr vorgeworfen: Du würdest Frauen eine | |
| Mitverantwortung geben für gesellschaftliche Missstände, deren Opfer sie | |
| doch sind. | |
| Fritz: Mitverantwortung zu übernehmen bedeutet nicht, Täterstrukturen zu | |
| entschuldigen, sondern anzuerkennen, dass wir nicht nur Objekte des | |
| Patriarchats sind, sondern auch handelnde Subjekte. Diese Perspektive gibt | |
| uns Gestaltungsmacht. | |
| taz: Das klingt, als müssten Frauen sich selbst befreien. | |
| Fritz: Nicht ausschließlich. Aber wenn wir uns nur als Opfer sehen, blenden | |
| wir aus, dass wir auch innerhalb des Systems wirken und teils profitieren. | |
| Außerdem übersehen wir dann, dass [6][Männer selbst oft in einer Sprach- | |
| und Emotionsarmut gefangen sind]. | |
| taz: Aber besteht dadurch nicht die Gefahr, männliche Gewalt zu | |
| entschuldigen? | |
| Fritz: Erklären heißt nicht entschuldigen. Wir müssen Gewalt historisch und | |
| strukturell herleiten, um Wege zu finden, sie künftig zu verhindern. | |
| taz: Du schreibst im Buch davon, dass toxische Weiblichkeit nichts rein | |
| Weibliches ist. Wie meinst du das? | |
| Fritz: Weiblichkeit und Männlichkeit sind kulturelle Prägungen, keine | |
| biologischen Essenzen. Deshalb können auch Männer toxisch weibliche Muster | |
| übernehmen, etwa übermäßige Anpassung oder Gefallsucht. An der Münchner | |
| Filmhochschule, an der ich studiert habe, gab es weniger Bodybuilder, | |
| stattdessen kultivierten viele Verhaltensweisen, die tendenziell aus einer | |
| weiblichen Prägung kommen. | |
| taz: Zum Beispiel? | |
| Fritz: Ich meine Softskills: zuhören, umgänglich und nett sein. In | |
| feminisierten Räumen ist es für alle Geschlechter naheliegender, toxisch | |
| weiblich statt toxisch männlich aufzutreten. | |
| taz: Gibt es also auch Räume, in denen Frauen toxisch männlich sein können? | |
| Fritz: Ja voll! Vor allem in klassischen Männerdomänen. Wenn eine Frau in | |
| eine Leitungsposition kommt, in der über Jahrzehnte nur Männer waren, wird | |
| von ihr oft dieselbe Härte, Durchsetzungskraft und Dominanz erwartet. Um | |
| anerkannt zu werden, übernimmt sie dann unter Umständen toxisch männliche | |
| Muster – in dem Glauben, das sei gar nicht möglich, weil sie ja kein Mann | |
| ist. Genau da entsteht ein blinder Fleck. Machtmissbrauch ist nicht an | |
| Geschlecht gebunden. | |
| taz: Du machst zusammen mit deiner Kollegin Christina Lehr auch Workshops | |
| zum Thema toxische Weiblichkeit. Wie kam es dazu? | |
| Fritz: Wir nennen es heute nicht mehr Workshops. Workshop, das klingt zu | |
| sehr nach: Man arbeitet an sich, um besser zu werden. | |
| taz: Aber geht es nicht genau darum? | |
| Fritz: Das dachten auch die 30 Frauen, die zu unserem ersten Workshop kamen | |
| und alle ihre toxische Weiblichkeit loswerden wollten. Aber das ist nicht | |
| unser Ansatz. Wir wollen keine Selbstoptimierung, sondern Selbsterkundung. | |
| Wir bieten ergebnisoffene, absichtslose Erforschungsräume an, so heißen die | |
| Veranstaltungen inzwischen auch. Es geht darum, in einer Mischung aus | |
| Gespräch und Körperarbeit eine intakte Beziehung zu sich selbst und zu den | |
| eigenen Gefühlen aufzubauen. | |
| taz: Auf welchen Prototyp stoßt ihr dabei am häufigsten? | |
| Fritz: Am häufigsten begegnen wir dem guten Mädchen. Viele leiden unter | |
| diesem Muster. Sich immer angepasst zu verhalten, gibt zwar Sicherheit, | |
| aber erzeugt auch Selbstentfremdung. | |
| taz: Und wer ist am schwierigsten zu erreichen? | |
| Fritz: Die Powerfrau. Sie profitiert scheinbar am meisten vom System, darum | |
| ist der Zugang so schwer. Der Preis ist oft innere Leere. Sich das | |
| einzugestehen, verlangt viel. Die Powerfrau ist für unsere Veranstaltungen | |
| fast so schwer zu erreichen wie Männer. | |
| taz: Auch Männer dürfen teilnehmen? | |
| Fritz: Ja, unbedingt. Meist sind es zehn Frauen auf einen Mann, aber wir | |
| öffnen im Herbst auch reine Männergruppen. Willst du mitmachen? Du kannst | |
| auch Freunde mitbringen. | |
| taz: Was würde da auf mich zukommen? | |
| Fritz: Diese speziellen Erforschungsräume im Herbst bestehen aus zwei | |
| Abenden. Am ersten geht es darum, wieder in Kontakt mit den eigenen | |
| Empfindungen zu kommen. Am zweiten widmen wir uns explizit der Beziehung | |
| zum eigenen Körper, auch zur Vulva oder zum Penis. Dabei geht es nicht um | |
| äußere Intimität, sondern um Wahrnehmung: Welche kulturellen Bilder und | |
| Prägungen verbinden wir mit unseren Geschlechtsorganen und wie prägen sie | |
| unser Selbstgefühl? | |
| taz: Wie funktioniert so ein Abend? | |
| Fritz: Wir machen einfache Körper- und Wahrnehmungsübungen, | |
| selbstverständlich bekleidet. Statt im Außenblick zu verharren – | |
| Funktioniere ich? Wirke ich richtig? – üben wir, innerlich präsent zu | |
| bleiben und zu spüren: Was hat mein Intimbereich mir zu sagen? | |
| taz: Ja, was denn zum Beispiel? | |
| Fritz: Viele merken, dass sie ihren Körper, besonders Vulva oder Penis, vor | |
| allem funktional erleben, als etwas, das Leistung bringen, schön aussehen | |
| oder sonst wie Erwartungen erfüllen soll. In der Übung taucht dann oft das | |
| Überraschende auf: ein Gefühl von Scham, ein Bedürfnis nach Ruhe, manchmal | |
| auch einfach Freude am eigenen Körper. Diese unmittelbaren Empfindungen | |
| sind es, um die es geht. | |
| taz: Wieso ist dir wichtig, dass auch Männer an den Veranstaltungen | |
| teilnehmen? | |
| Fritz: Die Nachfrage ist da. Als wir mit den Erforschungsräumen angefangen | |
| haben, wollten wir uns erst mal auf die Arbeit mit Frauen konzentrieren. | |
| Aber Männlichkeit ist genauso von kulturellen Zuschreibungen durchdrungen | |
| wie Weiblichkeit. Männer haben oft noch weniger Räume, um das zu | |
| reflektieren, und genau da wollen wir ansetzen. Warum auch nicht? Je mehr | |
| Angebote es dafür gibt, desto besser. | |
| taz: Während der Arbeit an deinem Buch ist dein Bruder gestorben. | |
| Fritz: Ja, eine Woche vor Unterzeichnung des Buchvertrags. | |
| taz: [7][Du hast einen Text im Spiegel darüber geschrieben]. Er hat unter | |
| anderem Steroide zum Muskelaufbau genommen. Du nanntest toxisch männliche | |
| Vorstellungen und den Drang, seinen Körper zu verformen, als eine | |
| Todesursache. Wie hängt das für dich zusammen? | |
| Fritz: Mir ging es darum zu zeigen, wie zerstörerisch [8][männliche | |
| Körperideale] wirken können. Die Vorstellung, dass ein männlicher Körper | |
| vor allem stark, hart und optimiert sein muss, führt nicht nur zu riskanten | |
| Praktiken wie Steroidkonsum, sondern ist Ausdruck einer Kultur, die | |
| Männlichkeit über Funktion und Leistung definiert. Diese Ideale sind tief | |
| verankert, aber sie werden kaum öffentlich problematisiert. Später wurde | |
| ich auch gefragt, ob ich dazu öffentlich reden möchte. Ich habe abgesagt, | |
| weil ich das nicht kann. | |
| taz: Wieso? | |
| Fritz: Wenn meine Familie nicht wäre, würde ich viel öfter darüber reden. | |
| Ich würde in Schulen gehen oder in Fitnessstudios aufklären, weil ich das | |
| Thema extrem wichtig finde. Aber ich bin selbst erst dabei, es besser zu | |
| verstehen und mir Wissen anzulesen. Und vor allem: Es ist meiner Familie zu | |
| nah und betrifft auch die Privatsphäre meines Bruders. | |
| taz: Hat der Tod deines Bruders deine Sicht auf toxische Männlichkeit | |
| verändert? | |
| Fritz: Ja, total! | |
| taz: Inwiefern? | |
| Fritz: Ich habe dieses Buch kurz nach seinem Tod geschrieben, im ersten | |
| Trauerjahr. Ich wurde dann sehr positiv überrascht und inspiriert von all | |
| den Frauen, die mir auf den Lesungen begegnet sind, die sich schon lange | |
| aktivistisch engagieren und bereit sind, gemeinsam ihre Prägung und ihr | |
| Verhalten zu reflektieren. Bei Männern erlebe ich dagegen eher | |
| Sprachlosigkeit und deutlich weniger solidarische Verbündungen – nichts | |
| Vergleichbares zu dem, was etwa unter Frauen in der [9][#MeToo]-Bewegung | |
| entstanden ist. | |
| taz: Was meinst du? | |
| Fritz: Männliche Sozialisation bringt hohe Kosten mit sich: Männer sterben | |
| im Durchschnitt früher, sie stellen die Mehrheit der Kriegstoten und sind | |
| in Gefängnissen deutlich überrepräsentiert – was heißt, dass sie zugleich | |
| Täter und Opfer von Gewalt sind. Auffällig ist, dass daraus kaum | |
| solidarische Bewegungen entstehen. Frauen haben in #MeToo kollektive | |
| Verbündung erprobt, Männer reagieren oft mit Vereinzelung. | |
| taz: Müssen wir anders über Männlichkeit reden? | |
| Fritz: Auf jeden Fall! | |
| taz: Und wie? | |
| Fritz: Derzeit dominieren Beschämungsformeln – „alte weiße Männer“, �… | |
| lol“. Beschämung ist aber ein Herrschaftsinstrument, sie produziert Abwehr | |
| und Verhärtung. Wenn wir Männlichkeit transformieren wollen, brauchen wir | |
| Sprache, die Reflexion ermöglicht, ohne sofort zu entwerten. Das Problem | |
| ist, dass es für unsere Volkswirtschaft attraktiv ist, wenn Frauen | |
| männlicher werden, aber nicht, wenn Männer weiblicher werden. | |
| taz: Wieso nicht? | |
| Fritz: Wenn Frauen männlicher werden, gibt es für sie das Versprechen, | |
| emanzipierter und erfolgreicher zu sein. Wenn Männer weiblicher werden, | |
| gibt es kein Versprechen, sondern nur die Gefahr, weicher zu sein. Sie | |
| riskieren einen Statusverlust. Das macht Veränderung so schwer. | |
| taz: Das ist genau die Angst, die [10][in sozialen Medien wie Tiktok unter | |
| jungen Männern geschürt wird.] | |
| Fritz: Ja. Männlichkeit wird oft nur in Abgrenzung zu Weiblichkeit | |
| definiert, nach dem Motto: Wärt ihr wie wir, gäbe es kein Problem. Aber so | |
| einfach ist es nicht. Wir brauchen ein eigenes positives Narrativ von | |
| Männlichkeit, nicht nur die Abwesenheit des Weiblichen. | |
| taz: Wie könnte eine positive Männlichkeit aussehen? | |
| Fritz: Das weiß ich nicht, und diese Leerstelle tut weh. Um den Schmerz | |
| nicht zu spüren, greifen jetzt mehr Menschen wieder auf ein | |
| althergebrachtes Bild von Männlichkeit zurück. Eine neue Version zu | |
| entwickeln, die Unwissenheit auszuhalten scheint zu anstrengend. Trotzdem | |
| müssen wir neue Visionen entwerfen. Das wird tatsächlich immer dringlicher. | |
| taz: Wieso? | |
| Fritz: Weil mit Aufrüstung und neuen Kriegen [11][alte Männlichkeitsbilder | |
| zurückkehren], das Ideal des starken Soldaten, des Beschützers. | |
| Gleichzeitig sehen wir in der internationalen Politik eine Re-Inszenierung | |
| von Härte, Dominanz und Ressourcenausbeutung, die Männlichkeit mit Macht | |
| und Gewalt verschränkt. Diese Bilder gewinnen an Einfluss, je größer die | |
| Krisen werden. Darum erscheint mir die Auseinandersetzung mit Männlichkeit | |
| heute dringlicher denn je. Seit dem Tod meines Bruders auch für mich | |
| persönlich. | |
| 29 Sep 2025 | |
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