Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Autorin Sophia Fritz: „Sehnsucht nach mehr Ehrlichkeit“
> Autorin Fritz findet den Begriff „toxische Weiblichkeit“ aus
> feministischer Sicht hilfreich. Er bezeichne Verhaltensmuster, die
> Solidarität verhinderten.
Bild: „Bevor jetzt die in ihrem Ego gekränkten Männer sich den Begriff anei…
taz: Seit ein paar Jahren hat das Wort „toxisch“ Konjunktur: Männlichkeit,
Beziehungen, Arbeitsklima wurden damit schon gelabelt. Sie sprechen nun
auch von „toxischer Weiblichkeit“. Wie kamen Sie darauf, Frau Fritz?
Sophia Fritz: Ich habe den Begriff das erste Mal vor knapp zwei Jahren bei
Instagram gelesen und hatte sofort ein ungutes Gefühl. Denn er wurde in
einem tendenziell rechten Umfeld genutzt. Ab da war ich mir sicher, dass
der Begriff noch an Bedeutung gewinnen wird. Denn wenn wir jahrelang Männer
kritisieren und unter dem Begriff toxische Männlichkeit patriarchale Muster
dekonstruieren, ist es klar, dass der Fokus irgendwann umschwenkt. Und ich
dachte bevor jetzt die in ihrem Ego gekränkten Männer kommen und sich den
Begriff aneignen, müssen wir ihn uns nehmen und ihn feministisch prägen.
Und ist das ungute Gefühl jetzt verschwunden?
Ja. Mein Unbehagen kam noch aus einer anderen Ecke, nämlich dass es mich
gefuchst hat, dass ich nicht wusste, ob ich selbst toxisch weiblich bin.
Auch als ich das Buch gepitcht und Freundinnen davon erzählt habe, hat
niemand entspannt auf ihn reagiert. Es gab Befürchtungen, dass jetzt vom
Feminismus kaschierter Frauenhass kommt oder 200 Seiten Selbstoptimierung.
Oder eine Gleichsetzung von toxischer Weiblichkeit und Männlichkeit, dabei
ist letztgenannte viel tödlicher.
Sie haben sich trotzdem für diesen Begriff entschieden. Warum nicht so
etwas wie „unsolidarische Weiblichkeit“?
Da fehlt mir der Aspekt der Gefahr. Denn toxische Weiblichkeit ist zwar
nicht so gefährlich wie toxische Männlichkeit. Aber es geht ja nicht nur
darum, dass Frauen klischeehaft manchmal etwas zu nett sind.
Worum geht es denn?
Es geht um Verhaltensmuster, die uns von wirklichem Vertrauen und echter
Solidarität abhalten. Toxische Männlichkeit verortet sich tendenziell immer
über dem anderen, in seinem machohaften und einnehmenden Auftreten. Es geht
also darum, eine Machtstellung zu verteidigen. Deswegen ist sie wesentlich
gefährlicher als toxische Weiblichkeit, wo es öfter darum geht, durch
Anpassung und Gefälligkeit ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Doch auch
damit halten wir unbewusst Machthierarchien und Strukturen aufrecht, die
wir vielleicht hinterfragen könnten.
Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass sich am Patriarchat nichts ändern wird,
wenn wir als Frauen jede Verantwortung von uns weisen und uns nur als
„unschuldige, weil strukturell benachteiligte Frauen“ sehen. Doch die
Benachteiligung denken wir uns ja nicht aus.
Natürlich nicht. Ich sehe dieses Opfer-Narrativ auch ambivalent. Die
Opferhaltung ist wichtig, um Täterstrukturen oder auch rassistische oder
ableistische Strukturen sichtbar zu machen. Dafür braucht es unbedingt
Stimmen von Betroffenen. Gleichzeitig habe ich im persönlichen Kontext oft
das Gefühl, dass eine Opferhaltung unreflektiert glorifiziert und
verbreitet wird. Auch bei Stars wie Olivia Rodrigo oder [1][Taylor Swift,
die in ihren Liedern davon singen], wie sie verlassen und als arme Opfer
zurückgelassen werden. Wir lieben diese
Good-girl-meets-bad-boy-Geschichten, romantisieren die Abhängigkeit und
übernehmen das Bild der Frau, die vom Mann gerettet werden will. Und das
ist eine Kultur, die aktiv von Frauen reproduziert wird und die wir so an
junge Frauen weitergeben.
Aber es kann uns als Frauen auch helfen, uns als Opfer sichtbar zu machen,
oder?
Ja, [2][wie MeToo gezeigt hat], können wir als Frauen uns unheimlich
solidarisch zeigen. Weil wir wissen, diese Form der sexualisierten und
physischen Gewalt kann auch mir passieren, fühlen wir uns einander nah.
Diese Solidarität ist etwas, das ich in männlich geprägten Kontexten nicht
wahrnehme. Dass Männer für andere Männer mitfühlen, zum Beispiel, weil
andere Männer in den Krieg ziehen müssen, häufiger an Suiziden sterben oder
ein Großteil der Gefängnisinsassen männlich ist. Wo bleibt da Solidarität
und Mitgefühl?
Trotz allem plädieren Sie dafür, Frauen mehr in die Pflicht zu nehmen. Zum
Beispiel, wenn es um Mansplaining geht. Dass es natürlich nicht cool ist,
wenn Männer Frauen die Welt erklären wollen, aber Frauen auch selbst schuld
sind, wenn sie weiter zuhören. Tragen wir als Frauen also einen gleichen
Anteil an der Verantwortung, wenn Männer sich zu viel Raum nehmen?
Das kommt immer auf die Situation an. Ich wollte keinen Ratgeber schreiben,
in welcher Situation man sich wie verhalten soll. Und sage auch nicht, wie
andere Feministinnen, dass Frauen einfach ihre Potenz finden und sich
wehren sollen. Denn dabei negieren sie, in was für Strukturen wir leben und
welche Denkmuster uns bis heute prägen. Aber gleichzeitig muss man schauen:
Wo bin ich unehrlich mit mir? Also: Wo könnte ich wirklich einfach gehen
und es wäre mir nur unangenehm, nicht aber gefährlich, mit meiner Rolle zu
brechen?
Sie haben fünf Rollen herausgearbeitet, in denen sich Verhaltensweisen von
toxischer Weiblichkeit zeigen: Das gute Mädchen, die Powerfrau, die Mutti,
das Opfer und die Bitch. Wie kamen Sie auf diese Typen?
Das sind alles Begriffe, die ich ablehne und nicht als Selbstbezeichnungen
nutzen würde, aber mit denen viele schon einmal bezeichnet wurden. Sie sind
Fremdzuschreibungen; ein Zeugnis unserer misogynen Gesellschaft. Ich habe
geguckt, welche weiblichen Prägungen Augenhöhe verhindern. Also: Wann
agiere ich als „gutes Mädchen“ oder als „Mutti“, wo ich mich unterordn…
Wann als „Powerfrau“ oder als „Bitch“, wo ich mich über andere stelle …
mit Beschämungen arbeite. Und ich wollte gucken, wo in diesen
frauenfeindlichen Aussagen auch Ressourcen stecken.
Und wo versteckt sich beim „guten Mädchen“, das es allen recht machen
möchte, die Ressource?
Ein starkes Einfühlungsvermögen. Dass ich zum Beispiel in sozialen
Situationen schnell die Bedürfnisse anderer Personen mitlesen und erahnen
kann, wer mir zugewandt ist und in welcher Beziehung gerade Spannung liegt.
In dem Vorwurf „ein alter weißer Mann“ zu sein, steckt auch der Vorwurf,
einen Raum nicht lesen zu können. Aber ich möchte, dass gar nicht mehr als
Vorwurf gegen Männer formulieren, sondern herausarbeiten, wie interessant
das ist, dass viele Frauen da viel mehr Fähigkeiten haben. Und das sollten
wir als Ressource anerkennen.
Haben Sie alle fünf Prototypen in Ihnen entdeckt?
Ja, klar. Wie ich als „Powerfrau“ versuche, Kontrolle über mein Aussehen
oder meinen Job zu behalten. Oder durch „Mütterlichkeit“ versuche, mir
Sympathien von anderen einzuholen. Mir hat es geholfen, in einem Prozess
der Selbstreflexion diese Begriffe zu nutzen, um zu verstehen, wann ich
mich wie verhalte.
Gleichzeitig bergen die Begrifflichkeiten die Gefahr, dass ich jetzt
anfange, die Verhaltensweisen von Frauen um mich herum als toxisch zu
identifizieren, oder?
Ich fände das richtig gut, wenn das passiert. Nur nicht als Fazit.
Stattdessen helfen die Stereotypen uns hoffentlich, ohne Beschämungen ins
Gespräch miteinander zu kommen. Bei den Lesungen kommen viele Frauen auf
mich zu und erzählen mir von Gesprächen mit ihren Freund_innen oder mit
ihren Müttern.
Wie kann beispielsweise das Bild der „Mutti“ dabei helfen?
Gerade bei der „aufopferungsvollen Mutter“ ist es so. Wenn ich einer Frau
begegne, die mich bemuttert, dann nervt es mich vielleicht, aber ich habe
nicht das Recht, genervt zu sein, weil sie sich ja für mich vermeintlich
nur aufopfert. Doch wenn ich die Strukturen dahinter kenne und weiß, dass
es ein tendenziell toxisches Verhalten ist, bei dem sich eine Frau über
eine andere stellt, kann ich das vielleicht besser einordnen.
Sollten wir Frauen kritischer im Umgang werden?
Unbedingt. Kritik ist existenziell wichtig, um in eine richtige Solidarität
zu kommen. Ich habe die Sehnsucht danach, dass wir uns als Frauen
untereinander mehr Ehrlichkeit zumuten. Nicht aus einer Abhärtung heraus,
sondern weil ich in unsere Selbstsicherheit und unsere Liebesfähigkeit
vertrauen mag. Das fehlt mir manchmal in feministischen Kreisen. Ich finde
es schade, dass ausgerechnet das Kreise sind, in denen ich schon häufiger
das Gefühl hatte, ganz viel falsch machen zu können. Ich saß schon öfter in
Gender-Seminaren, die sich so über das „Richtig“-liegen und „Opfer“-Da…
definiert haben, dass keine Fehlerfreundlichkeit möglich war. Dabei
bräuchten wir die dringend, wenn wir uns in feministischen Räumen sicher
und wohlfühlen wollen.
4 Apr 2024
## LINKS
[1] /Das-Phaenomen-Taylor-Swift/!5987807
[2] /Zwei-Jahre-MeToo/!5627998
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Feminismus
Schwerpunkt #metoo
Toxische Männlichkeit
toxisch
GNS
Toxische Männlichkeit
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Taylor Swift
Print
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kritische Männlichkeit in der Schule: Wann ist ein Mann ein Mann?
Zwölf pubertierende Jungen sollen sich in einem Schulworkshop kritisch mit
Männlichkeit beschäftigen. Klappt das, wenn sie Zärtlichkeit kaum kennen?
Doku „Berlin Utopiekadaver“: Die Freiheit wird geräumt
Wider klischeehafte Zuschreibungen von steinewerfenden Chaoten. Eine Doku
über Berlins linke Szene kommt den Menschen ungewöhnlich nahe.
Taylor Swift ist Person of the Year: Popstar mit Macht
Das Magazin „Time“ ehrt dieses Jahr Sängerin Taylor Swift. Die Begründung
scheint übertrieben, aber immerhin nutzt Swift ihre Macht
verantwortungsvoll.
Das „Missy Magazine“ über die Krise: „Auf die Community angewiesen“
Die feministische Missy wird 15 und kriselt. Ein Gespräch über die Vorteile
von Slow Journalism, düstere Zeiten und wie das Magazin überleben kann.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.