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# taz.de -- Frauen im Freihantelbereich: Unter Muskelmännern
> Um fit zu bleiben, trainiert unsere Autorin, 66, im Freihantelbereich
> eines Sportclubs. Am Anfang verlangt ihr das einiges ab.
Bild: Beim freien Hanteltraining gilt es, den Fokus nicht zu verlieren
Hanteln fallen scheppernd zu Boden, aus kleinen Boxen tönt dezent
elektronische Tanzmusik und manchmal stöhnt einer. Muskelmänner stemmen im
Fitnessraum dicke Gewichte, lassen Bizeps und Brust schwellen und holen mit
hochrotem Kopf das Letzte aus ihrem Körper raus.
Zwischen ihnen bewege ich mich als Frau mit 66 Jahren wie ein Fremdkörper
in der Männerdomäne. Aber ich habe Lust, und ich habe es nötig, stabil,
stark und beweglich zu sein. Deshalb gehe ich seit über einem Jahr
regelmäßig in den [1][Freihantelbereich]. Er liegt ganz hinten im
Sportclub, am Ende der großen Halle, dort, wo Frauen üblicherweise nicht
auftauchen.
Von alleine wäre ich wohl nie darauf gekommen, hier Sport zu treiben. Mit
einem Rezept für „Krankengymnastik am Gerät“ betrete ich eine Praxis für
Physiotherapie. Der junge Physiotherapeut meint schon bald, dass ich gut
wahrnehmen kann, wie ich Bewegungen ausführe, und auch meinen Stand sicher
ausbalanciere. „Sie könnten Freihanteltraining probieren“, schlägt er vor.
„Ich habe den Eindruck, das könnte für Sie interessanter sein als der
Muskelaufbau an Geräten.“
Wenn ich in diesen Maschinen sitze und mechanisch Kraft trainiere, denke
ich oft an anderes, das mich weniger langweilt. An die Freundin, die bald
zu Besuch kommt, an die Arbeit, die während des Tages liegen blieb, oder an
einen Kaffee, den ich jetzt gerne hätte. Als die Verordnungen auf dem
Rezept abgearbeitet sind, melde ich mich bei einem Sportverein an, von dem
ich weiß, dass er einen großen Freihantelbereich hat.
## Der Sport-BH nervt
Der Anfang dort verlangt mir einiges ab. Denn mir ist doch bange zumute.
Vorm Aufbruch in die Männerdomäne kaufe ich mir deshalb erst mal einen
Sport-BH. So möchte ich mir die Peinlichkeit ersparen, nicht korrekt
angezogen zu sein, und mich schützen vor abschätzigen Blicken.
Der Hersteller mit dem dynamischen Schwung im Logo verspricht, ich könne
mich in seinem Sport-BH „ungehindert entfalten“ und „ein angenehmes
Tragegefühl mit viel Bewegungsfreiheit“ erleben. Aber es wird Sommer, die
Klimaanlage schwächelt und es ist heiß in der Halle.
Ich schwitze, der Sport-BH klebt auf meinem Busen, klemmt unter der Brust
und beengt mich auch im Rücken. Auch im Kopf und im Bauch geht es jetzt
heiß her, ich bin wütend. Warum bloß muss ich als Frau diesen unbequemen BH
tragen?
Denn ich brauche ihn eigentlich nicht. Mein Busen ist klein und kann sich
selbst halten. Aber sind da nicht auch die Regeln im Sport, dass frau ihre
[2][Nippel kaschieren] und die leicht hängenden Brüste heben soll? Ich sehe
die Männer, die in ihren Muskelshirts ungehindert abschwitzen können. Ich
beneide sie.
Schließlich fasse ich mir ein Herz, gehe zurück zur Damenumkleide, zerre
mir den BH vom Leib und hänge das teure feuchte Stück an den Haken. Jetzt
zeichnet sich meine Brust unter dem dünnen Shirt deutlich ab. So kehre ich
zurück zur Trainingsfläche. Aber keiner guckt. Niemand verzieht auch nur
eine Miene. Erleichtert atme ich auf. Endlich habe ich das angenehme
Tragegefühl und die Bewegungsfreiheit – ganz ohne BH.
Ein eindrückliches Tragegefühl bekomme ich dann bei den Kniebeugen mit der
Langhantel, einer kraftvollen Übung. Ich stehe mit gebeugten Knien,
strecke das Gesäß nach hinten, halte die Spannung in Bauch und Rücken und
stabilisiere mit meinen Händen eine Stange mit Gewichtscheiben, die ich mir
auf Nacken und Schultern gelegt habe. Da ist die Last zunächst spürbar,
aber dann kommt Kraft aus Beinen, Becken und Rücken und ich schiebe mich
hoch.
Anders als beim Training an Geräten koordiniere ich beim freien
Hanteltraining meine Bewegungen und den stabilen Stand selbst und bleibe
deshalb ständig fokussiert. Schließlich stehe ich aufrecht, atme aus.
Nacken und Kiefer entspanne ich mit einem kleinen Lächeln. Ich mag es, wie
meine Kräfte wachsen, als Frau, in meinem Alter.
Aber ich trainiere mit kleinen Gewichten. Die Langhantelkniebeugen mache
ich mit 28 Kilogramm. Das ist lächerlich, ein Nichts im Vergleich zu dem,
was echte Kerle packen. Einige Male schon habe ich gesehen, wie einer
Kreuzheben mit 210 Kilogramm macht.
## „Neulich auf Malle. Gefeiert bis ich weiß nicht wann.“
Was Männer hier bringen, ist so weit jenseits meiner Möglichkeiten, dass
niemals auch nur ein Hauch von Wettbewerb aufkommt. Ich laufe außerhalb
jeglicher Konkurrenz, das macht mich heiter und frei.
Interessant sind aber nicht nur das Training, sondern auch die
Beobachtungen, die ich in diesem Soziobiotop mache. An einem Samstagabend
sind da zwei Männer. Der eine mit perfekter Figur, dunklem Teint,
ebenmäßigem Gesicht und schulterlangem, glänzend schwarzem Haar. Der andere
ist ein großer bulliger Typ, mit raspelkurz geschorenen Haaren und einer
Kartoffelnase. Er möchte Kontakt aufnehmen zum Schönling, erzählt ihm von
seinem Urlaub. „Neulich auf Malle. Supernette Leute, super Essen, gefeiert
bis ich weiß nicht wann.“
Er würde den anderen gerne zu einem gemeinsamen Abend motivieren. Aber
Karotte – Schultern breit, die Hüfte schmal – verzieht keine Miene,
schnappt sich nur zwei zwanzig Kilo schwere Hanteln aus dem Regal, stellt
sich damit vor einen großen Spiegel und bespiegelt sich selbst.
An jedem Arm eine Hantel, zieht er die Schultern hoch und runter, hoch und
wieder runter. So trainiert man den großen Trapeziusmuskel, der den
Schultergürtel formt. Man könnte damit aber auch zu verstehen geben:
„Rutsch mir den Buckel runter.“
Im Freihantelbereich treffe ich nicht nur Muskelmänner, sondern auch
solche, die es werden wollen, Jungs mit Pickeln im Gesicht und Klammern auf
den Zähnen. Einige tragen noch kindlichen Speck, andere sind lang und
schlaksig. Sie kommen zu zweit oder in kleinen Grüppchen, feuern sich
gegenseitig an bei schweren Gewichten, setzen coole Miene auf und bewegen
sich betont lässig durch den großen Raum.
Wenn ich sie sehe, denke ich oft an meinen Sohn. Gerade 14 Jahre alt
geworden, begann auch er hier zu trainieren. So eifrig, dass mein Mann und
ich Kommentare hörten, ob er wohl sportsüchtig sei. Nun, zwölf Jahre
später, haben sich solche Sorgen erledigt und ich bekomme
mütterlich-zärtliche Gefühle, wenn ich die [3][pubertierenden Jungs] sehe.
Sie erinnern mich an ihn, der mittlerweile hunderte Kilometer weit weg
wohnt.
Oft halte ich Ausschau nach den Frauen. Es gibt sie, aber nur wenige.
Manche junge Frauen kommen mit ihrem Freund und dürfen dann staunend
bewundern, was er so stemmt. Sich selbst packen sie dann sechzig Kilo oder
mehr drauf, machen zu dieser qualvollen Mühe freundliche Miene und ertragen
auch seine gut gemeinte Beratung mit Geduld. Ich sehe diese Frauen ein-
oder zweimal, danach nie wieder. Andere sind alleine da, aber auch sie sehe
ich meistens nur kurze Zeit – anders als die Männer, die eher regelmäßig
kommen.
Hoffend schaue ich immer wieder, ob sich vielleicht mal eine Frau in meinem
Alter zeigt. Bislang leider nicht. Ich übe mich in Geduld, werde weiter auf
sie warten. Aber auch alleine fühle ich mich wohl in der Männerdomäne
Freihantelbereich. Es ist einfach, hier Kraft und Stärke zu tanken, wenn
auch nicht immer leicht. Aber die Gewichte lassen sich – anders als die
Lasten in anderen Lebensbereichen – problemlos passend dosieren.
5 Apr 2025
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## AUTOREN
Gunhild Seyfert
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Kolumne Sportsfroindin
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