# taz.de -- Debütroman von Sophia Fritz: Rutschige Träume | |
> „Steine schmeißen“ porträtiert gelungen die Generation Z. Auf- und | |
> abgeklärte junge Menschen, die sich ständig mit ihren Gefühlen | |
> auseinandersetzen. | |
Bild: Autorin Sophia Fritz lässt Sätze „einfach in der Luft hängen und tro… | |
„Silvester ist der einzige Glaube, den wir noch haben, das sind diese zehn | |
Sekunden Ehrfurcht im Jahr, von denen alle immer träumen“, sagt Fede. Es | |
sei der einzige Moment, wo man unbedingt irgendwo rechtzeitig ankommen | |
wolle, statt sich wie im restlichen Jahr weit weg zu sehnen. | |
Auf diesen einen Moment fiebert die Handlung in Sophia Fritz’ Debütroman | |
„Steine schmeißen“ hin. Zum Jahreswechsel wollen Ich-Erzählerin Anna und | |
ihre Freund*innen, einer davon Fede, sich alles Schlechten in ihrem Leben | |
entledigen und schreiben es dafür auf Steine, um diese um Mitternacht in | |
die Donau zu schmeißen. So weit der Plan. Dass dieser scheitert, ist | |
konsequent, wenn auch nicht ganz überraschend. | |
„Silvester ist der Tag, für den sich niemand verantwortlich fühlen möchte�… | |
[1][sagt die 1997 in Tübingen geborene Autorin im taz Talk.] Man warte bis | |
abends darauf, dass noch irgendwas passiere, eine noch bessere | |
Partyeinladung komme. Um etwa zwei Uhr nachts stelle sich dann jedes Mal | |
doch wieder ein Gefühl der leichten Enttäuschung ein, ganz egal, wie | |
ereignisreich der Abend bis dahin gewesen sei. Dieses Gefühl lässt sich auf | |
das Leben übertragen, findet Fritz: ganz viel Warten und leichte | |
Enttäuschungen. | |
Der eigentliche Übertritt ins neue Jahr gerät in ihrem Roman „Steine | |
schmeißen“ zur Nebensache. Stattdessen bahnen sich an diesem Abend, der | |
hauptsächlich in einer Wiener Villa, später noch in einer Kneipe und Annas | |
Wohnung spielt, eben jene Enttäuschungen in Form unterdrückter Konflikte | |
ihren Weg an die Oberfläche. | |
## Verstorbene Väter, sexuelle Frustration und Zukunftsangst | |
Fede erfährt von Annas One-Night-Stand mit seinem allerersten Freund. Samir | |
davon, dass Anna doch lieber wieder mit Alex zusammenkommen möchte, als | |
seine Freundin zu werden. Marie will in Prag neu anfangen, ohne jemandem | |
davon erzählt zu haben, und ist doch fassungslos, dass ihr Bruder Samir | |
Abstand von ihr braucht. Anna findet heraus, dass Lukas gar nicht der Vater | |
von Jaras Baby war, und das, obwohl diese doch nach der Abtreibung tagelang | |
bei ihr und Alex im Bett geschlafen hatte. | |
Was nach Stoff für eine Telenovela klingt, ist ein sehr gelungenes Porträt | |
der sogenannten Generation Z. Woke, auf- und abgeklärt, ja beinah schon | |
zynisch kommen die Anfang Zwanzigjährigen daher und werden doch von | |
denselben Problemen heimgesucht wie andere vor ihnen: zerbrechende | |
Beziehungen, verstorbene Väter, sexuelle Frustrationen, Zukunftsangst und | |
Depressionen. | |
Der Umgang damit aber scheint anders, irgendwie unaufgeregter. Fast so, als | |
hätten sie sich bereits mit dem Leben abgefunden, resigniert. | |
[2][In einem Interview mit dem Deutschlandfunk] zu ihrem 2019 erschienenen | |
Sachbuch „Gott hat mir nie das Du angeboten“ (Herder Verlag) attestiert | |
Fritz ihrer Generation fehlenden Idealismus. Wo ältere Freund*innen in | |
ihrem Alter noch von Revolution gesprochen hätten, erkenne sie vor allem | |
Zynismus und Sarkasmus bei sich und ihrem Umfeld. | |
## Nicht revolutionär, dafür lösungsorientiert | |
„Nicht mal von Worten lassen wir uns berühren, damit etwas Spuren | |
hinterlässt, muss es uns am Kiefer packen, in den ersten drei Sekunden | |
explodieren oder sehr persönliche Fragen stellen“, fasst Fritz die | |
Einstellung ihrer Figuren an einer Stelle ihres Romans treffend zusammen. | |
Explosiv und persönlich ist der Silvesterabend allemal, besonders nachdem | |
die Steine nicht wie geplant in der Donau landen. Was den Roman trägt, ist | |
allerdings weniger seine Handlung, es sind die wunderbaren Umschreibungen, | |
die Sophia Fritz immer wieder findet. | |
So lässt sie einen Satz „einfach in der Luft hängen und trocknen“, ihre | |
Protagonistin „rutschige Träume“ haben oder vergleicht das Herz einer Figur | |
mit einem „sehr rutschigen Hügel […], an dem sie alles hinten runterfallen | |
lässt, dass da eine Müllhalde hinter Jaras Herz ist, eine ohne | |
Abwassersystem“. | |
All das transportiert sofort ein Bild, eine Stimmung, und zeigt im | |
Zusammenhang, wie erschreckend reflektiert diese jungen Menschen bereits | |
sind – wie sehr sie sich mit sich und ihren Gefühlen auseinandersetzen. Das | |
bedeutet nicht, dass sie nicht mit der Welt und ihrem Platz darin hadern, | |
doch ihr Selbstverständnis scheint ihnen Mut und Zuversicht zu geben. | |
Beneidenswert. | |
Revolutioniert wird also nicht, dafür werden Probleme ganz pragmatisch noch | |
am selben Abend gelöst. Und so schaffen es die Figuren doch noch, das alte | |
Jahr zu verabschieden, sodass sich (zumindest für diese Nacht) doch noch an | |
ein verheißungsvolles neues Jahr glauben lässt. | |
Mehr zu ihrem Buch „Steine schmeißen“ [3][erzählte Sophia Fritz kürzlich… | |
taz Talk]. | |
5 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Was-will-die-Generation-Snowflake/!5817386 | |
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/autorin-sophia-fritz-ueber-ihr-ringen-… | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=erEkM2JyeAU | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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