# taz.de -- Geschlechterrollen: Ziemlich stiefväterlich behandelt | |
> Männlichkeitsforschung spielt an den Unis kaum eine Rolle. Mehr | |
> Aufmerksamkeit wäre aber wichtig, um rechte Deutungsmuster besser zu | |
> verstehen. | |
Bild: Wie geht es Dir, Mann? Die Frage ist in der Forschung unterbelichtet | |
Die AfD macht in Parteiprogrammen und parlamentarischen Anfragen | |
Stimmung: Ersatzlos streichen will sie die angeblich über hundert | |
Gender-Studies-Professuren an den deutschen Universitäten. Doch entgegen | |
der Wahrnehmung ihrer rechten Gegner ist die Geschlechterforschung | |
hierzulande randständig. Die attackierten Wissenschaftlerinnen sitzen | |
selten auf einem eigenen Lehrstuhl, Genderthemen sind für sie eher Kür als | |
Pflicht, schmückendes Beiwerk an anderen Fakultäten. | |
Unterstützt vom Rückenwind der feministischen Bewegung konnte sich die | |
Frauenforschung institutionalisieren. Männerforschung hingegen ist ein kaum | |
etabliertes Themenfeld – erst recht, wenn sich auch noch männliche | |
Wissenschaftler damit beschäftigen wollen. Ihre relevanten Positionen an | |
Hochschulen lassen sich an einer Hand abzählen. Mit einem Genderschwerpunkt | |
kommen Männer im akademischen Vergabekarussell meist gar nicht zum Zuge. Im | |
besten Fall müssen sie, wie der renommierte Dortmunder Soziologe Michael | |
Meuser, sehr lange auf eine Professur warten. Oder sie finden wie die große | |
Mehrheit ihrer weiblichen Kolleginnen in Studienfächern wie | |
Organisationsentwicklung, Psychologie, Soziale Arbeit oder gar Literatur | |
Unterschlupf. | |
Seminare und Vorlesungen zu Themen wie Rollenstereotype oder sexuelle | |
Orientierung stoßen bei Studierenden auf großes Interesse. Diese Erfahrung | |
hat auch Sylka Scholz gemacht. Sie hat gerade ein Grundlagenwerk vorgelegt, | |
in dem Schlüsselbegriffe wie männlicher Habitus oder männliche | |
Sozialisation analysiert werden. Scholz gibt einen Überblick über wichtige | |
Elemente der Konstruktion von Männlichkeiten in Gebieten wie Erwerbsarbeit, | |
Vaterschaft, Paarbeziehung, Migration und Rechtspopulismus. | |
Wegweisend für die internationale Männerforschung war vor allem der | |
Australier Robert Connell, der inzwischen seit vielen Jahren als Frau lebt. | |
Raewyn, wie sich die Wissenschaftlerin seit ihrer Transition nennt, passte | |
perfekt in die Debatte über fluide sexuelle Identitäten. Raewyn Connell | |
[1][hat den viel zitierten Begriff der patriarchalen Dividende geprägt]: | |
Alle Männer, auch die weniger erfolgreichen, profitieren von der ihnen | |
zugeschriebenen Rolle und ihren Vorteilen qua Geschlecht – ohne sich dessen | |
immer bewusst zu sein: Den „Kontrast zwischen kollektiver Privilegiertheit | |
und persönlicher Unsicherheit“ benennt die Erziehungswissenschaftlerin an | |
der Universität Sydney als „Schlüsselsituation der gegenwärtigen | |
Männlichkeitspolitik“. | |
Connell war 1999 ein Jahr lang als Gastprofessorin in Bochum, wurde in | |
akademischen Zirkeln herumgereicht. Sie erläutert ihr Konzept der | |
„hegemonialen Männlichkeit“ mit Fallbeispielen und stellt politische Bezü… | |
her – ein Grund für den Erfolg des wegweisenden Buches „Der gemachte Mann … | |
Konstruktion und Krise von Männlichkeiten“. | |
Zur umfangreichen Rezeption Connells über Fachkreise hinaus trug das Wort | |
Krise im Untertitel bei. Dass Männer gar das „betrogene Geschlecht“ seien, | |
war um die Jahrtausendwende ein häufig genutztes Label in populären | |
Sachbüchern und politischen Feuilletons. Geschlechterforscherin Scholz | |
steht der Diagnose skeptisch gegenüber. Sie erinnert daran, dass schon im | |
Deutschen Kaiserreich und nach den beiden verlorenen Weltkriegen ganz | |
ähnlich diskutiert wurde. Mittlerweile nutzen den Begriff Krise auch | |
antifeministische Kreise, die eine Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern | |
propagieren. | |
Die AfD instrumentalisiert den Modebegriff Krise für ihre Ideologie; Ziel | |
ist die Resouveränisierung männlicher Herrschaft: Männer und Frauen haben | |
demnach unterschiedliche Aufgaben: Weiblichkeit wird verknüpft mit | |
Mutterschaft, Männlichkeit mit dem Familienernährer und wehrhaften | |
Kämpfer. | |
Aktuelle Analysen zu rechten Deutungsmustern, die den Antifeminismus als | |
Brückenideologie nutzen und eine maskulinistische Identitätspolitik | |
propagieren, sind aber noch lückenhaft. Ansätze finden sich am ehesten in | |
Detailauswertungen der Leipziger Autoritarismus-Studien und in einer | |
österreichischen Untersuchung von Birgit Sauer und Otto Penz über | |
„affektive Strategien der autoritären Rechten“. | |
## Ostdeutsche Perspektive | |
Der [2][in der DDR aufgewachsenen Sylka Scholz] ist die ostdeutsche | |
Perspektive wichtig. So sei die rege Debatte über die „neuen Väter“ nach | |
der Jahrtausendwende einseitig westdeutsch geprägt gewesen. Im realen | |
Sozialismus hätten sich die Geschlechterverhältnisse durch die | |
selbstverständliche Berufstätigkeit von Frauen früher angeglichen – auch | |
wenn von einer egalitären Verteilung der Haus- und Erziehungsarbeit keine | |
Rede habe sein können. Ebenso kritisch sieht die Soziologin die heutige | |
Konstruktion des „braunen Ostmanns“, der fast immer als abgehängter und | |
rechts wählender Verlierer der Transformation dargestellt werde. | |
Anders als Michael Meuser, der sich stets als empirischer Wissenschaftler | |
und nicht als politischer Aktivist verstanden hat, fordert Scholz in der | |
Tradition Connells den Bezug zur Praxis. Sie will über den universitären | |
Kontext hinaus wirken, plädiert für eine Zusammenarbeit der akademischen | |
Forschung mit der Geschlechterpolitik. | |
Als möglichen Partner betrachtet sie das Bundesforum Männer, das sich klar | |
von antifeministischen Strömungen distanziert: eine wichtige | |
Positionierung, denn nicht nur in der AfD, auch in anderen Parteien gibt es | |
teils Sympathien für sogenannte Väterrechtler und Maskulinisten. So | |
unterstützte die CSU den umstrittenen bayerischen Trennungsväterverein | |
Forum Soziale Inklusion (FSI) finanziell. Im FDP-Umfeld propagieren die | |
Liberalen Männer e. V. im progressiven Gewand die Rückkehr zu | |
traditionellen Rollenbildern. Wichtig wäre, dass sich die | |
Männlichkeitsforschung trotz begrenzter Ressourcen stärker um solche Themen | |
kümmerte, die vor allem unter jungen Männern auf Zustimmung stoßen. | |
28 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Das-Konzept-der-Privilegien/!5706891 | |
[2] /Strategien-der-Spitzenfrauen/!5185474 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gesterkamp | |
## TAGS | |
Bundesforum Männer | |
Gender | |
Social-Auswahl | |
Anti-Feminismus | |
Sprache | |
IG | |
Antifeminismus | |
Lesestück Meinung und Analyse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Anti-Feminismus auf dem Land: „Schiefheilung“ bedrohter Männlichkeit | |
Die Ablehnung von Feminismus geht oft einher mit der Idealisierung | |
ländlicher Idylle. Über die Verbindungen von Autoritarismus und | |
„Provinzialität“. | |
Wolfram Weimers Gender-Verbot: Warum ich mich aus meiner Nationalsprache verabs… | |
Kulturstaatsminister und Feuilletonisten laufen Sturm gegen das Gendern und | |
erklären die Gemeinheit zur Staatsräson. Unser Autor sagt: Es reicht. | |
Männergesundheit: Jungs weinen nicht | |
Traditionelles männliches Verhalten kann krank machen. Der „toxische Mann“ | |
schädigt sich selbst und wird in der Gesundheitsvorsorge weniger beachtet. | |
Antifeminismus und rechte Vereine: Die Kunstrasen-Bewegung | |
Seit über einem Jahrzehnt organisieren sich antifeministische | |
Männerrechtler. Sie haben an Einfluss verloren – trotz mancher | |
Überraschungscoups. | |
Debatte Männer-Bashing: Auf ewig faule Säcke | |
Männer sind nicht verhaltensstarr. Doch leider prägen plumpe Stereotype | |
Forschung und Berichterstattung über die geschlechtsspezifische | |
Arbeitsteilung. |