| # taz.de -- Soziologin über Pronatalismus in den USA: „Sie sagen, wer Kinder… | |
| > Die Soziologin Susanne Schultz erklärt, wie sich in den USA rechte | |
| > Tech-Bros mit konservativen ChristInnen verbünden, um eine höhere | |
| > Geburtenrate zu erzielen. | |
| Bild: Die pronatalistische Vorzeigefamilie Collins wirbt für genetisch optimie… | |
| taz: Frau Schultz, das US-amerikanische Ehepaar Simone und Malcolm Collins | |
| hat angekündigt, so viele Kinder wie möglich bekommen zu wollen. Was hat es | |
| mit dieser Familie auf sich? | |
| Susanne Schultz: Die Collins’ haben bisher vier Kinder. Sie machen ihr | |
| Familienleben auf Social Media öffentlich und sind in der US-amerikanischen | |
| Presse omnipräsent. Sie behaupten zum einen, sogenannte entwickelte | |
| Nationen wie die USA wären aufgrund fallender Geburtenraten dabei, | |
| ökonomisch und sozial in die Krise zu geraten. Sie machen deshalb | |
| Propaganda für kinderreiche Familien. Zum anderen haben sie ihre Kinder | |
| nicht einfach so bekommen. | |
| taz: Sondern? | |
| Schultz: Sie haben die Embryonen auf bestimmte genetische Marker testen | |
| lassen, die angeblich mit Anlagen für Depressionen oder Intelligenz | |
| zusammenhängen. Die Zeugung verlief per In-Vitro-Fertilisation, danach | |
| wurde mithilfe von Präimplantationsdiagnostik getestet und selektiert. In | |
| Simone Collins Gebärmutter eingesetzt wurden diejenigen Embryonen, die den | |
| Untersuchungen zufolge als höherwertig galten. | |
| taz: Es ist doch gar nicht möglich, Intelligenz genetisch vorherzusagen. | |
| Schultz: Momentan befindet sich eine Forschung im Aufwind, die auf der | |
| Grundlage großer Datenmengen statistische Zusammenhänge zwischen | |
| genetischen Markern und sozialen Eigenschaften sucht. Auf dieser Basis | |
| werden dann Behauptungen über Wahrscheinlichkeiten etwa von höherem oder | |
| niedrigerem Bildungserfolg aufgestellt. Wissenschaftlich ist diese | |
| Forschung höchst fragwürdig. Trotzdem propagieren die Collins’ die Nutzung | |
| kommerzieller Testanbieter wie zum Beispiel Heliospect Genomics, der | |
| behauptet, Anlagen für Intelligenz ermitteln zu können oder Orchid, der ein | |
| umfangreiches Embryoscreening von Risikofaktoren für Diabetes, Alzheimer | |
| oder Schizophrenie anbietet. Die Collins’ gehören zur weißen Tech-Elite des | |
| Silicon Valley und sind Aushängeschild eines Phänomens, das Pronatalismus | |
| genannt wird. | |
| taz: Was ist das? | |
| Schultz: Der Begriff beschreibt alle Politiken, die besagen, bestimmte | |
| Geburtenraten müssten erhöht werden. Es geht dabei nicht um reproduktive | |
| Gerechtigkeit, die die Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie | |
| Elternschaft mit sozialer Gerechtigkeit verbindet und für alle da ist. | |
| Sondern es geht um das Wachstum bestimmter nationaler Bevölkerungen oder | |
| bestimmter Bevölkerungsgruppen. Historisch ist Pronatalismus mit selektiven | |
| Programmen verbunden, die vorgeben, welche gesellschaftlichen Gruppen | |
| Kinder bekommen sollen und welche nicht. In der historischen Eugenik | |
| geschah das in der extremsten Form im Nationalsozialismus, als der | |
| sogenannte Volkskörper vor angeblich vererbten „minderwertigen“ | |
| Eigenschaften geschützt werden sollte. | |
| taz: Ist es nicht verständlich, dass Eltern möglichst gesunde Kinder haben | |
| wollen? | |
| Schultz: Was heißt denn gesund? Entscheidend sind doch die sozialen | |
| Lebensbedingungen, die es ermöglichen, ein gutes Leben zu führen oder eben | |
| nicht – ganz gleich, welche genetischen Besonderheiten Menschen haben. Auch | |
| psychische Gesundheit ist äußerst abhängig von sozialen Faktoren. | |
| taz: Und Herzkrankheiten, Diabetes, Alzheimer? | |
| Schultz: Bisher wurde bei keiner dieser Erkrankungen das eine Gen gefunden, | |
| das sie auslösen könnte. Das ist nur bei wenigen sogenannten | |
| monogenetischen Krankheiten wie Mukoviszidose der Fall. Ansonsten hat die | |
| Forschung allenfalls statistische Zusammenhänge zwischen vielen genetischen | |
| Markern auf der DNA und leicht erhöhten Risiken entdeckt, etwa im Laufe des | |
| Lebens einen Herzinfarkt zu bekommen. Außerdem: Sollten Kinder, die | |
| bestimmte Eigenschaften tragen, per se nicht existenzberechtigt sein? Soll | |
| es nur autonome, autarke, kräftige Körper geben? Oder geht es eher darum, | |
| dass vielfältige Menschen in möglichst guten Bedingungen leben dürfen? Es | |
| ist Teil der pronatalistischen Propaganda, die gesündesten, klügsten, | |
| besten Kinder zu versprechen. Die Collins’ werden sogar deutlicher: Sie | |
| visionieren die „Massenproduktion genetisch selektierter Menschen“. | |
| taz: Ein weiterer US-Amerikaner, der Berichten zufolge 14 Kinder hat, ist | |
| Elon Musk. Ist das Zufall? | |
| Schultz: Elon Musk hat gesagt: „Die schlimmste Gefahr für unsere | |
| Zivilisation ist eine sinkende Geburtenrate.“ Er gehört zur weißen, rechten | |
| Tech-Elite, die neue reproduktionsmedizinische Möglichkeiten in der | |
| Entstehung ihrer Kinder voll ausschöpft. Er hat mindestens eine | |
| Leihgebärende hinzugezogen. Auch das chromosomale Geschlecht der Embryonen | |
| wurde selektiert. | |
| taz: Er hat eine trans Tochter, die sich von ihm losgesagt hat. | |
| Schultz: Ja. Musk steht für die Vorstellung einer hyperpotenten | |
| Männlichkeit – dafür, die eigenen Gene durch seine Spermien so weit wie | |
| möglich zu verbreiten und die Frauen dann die Kinder großziehen zu lassen. | |
| taz: Ende März fand im texanischen Austin die „Natal Conference“ statt. | |
| Welche Bedeutung hatte sie? | |
| Schultz: Es wurde sehr deutlich, dass sich unter dem Motto Pronatalismus | |
| verschiedene rechte Kräfte austauschen und zusammentun – in Bezug auf | |
| selektive Reproduktion, höhere Geburtenraten als vermeintliche | |
| Krisenlösung, Rassismus und Antifeminismus. Man konnte beobachten, welche | |
| Allianzen und Konflikte es in Bezug auf die Frage gibt: Welche Kinder | |
| welcher Bevölkerungsgruppen sollen sich mit welchen Mitteln vermehren? | |
| taz: Welche rechten Kräfte sind das? | |
| Schultz: Vor Ort waren neben rechten „Tech-Bros“ aus dem Silicon Valley und | |
| wertkonservativen ChristInnen auch White Supremacists, die rassistische | |
| Ideen von Bevölkerungsaustausch vertreten. Sie behaupten, sowohl | |
| Einwanderung als auch höhere Geburtenraten migrantisierter und | |
| rassifizierter Gruppen machten die nationale weiße Volksgemeinschaft zur | |
| Minderheit. Eine Person, die sich Peachy Keenan nennt und als Tradwife | |
| bezeichnet – also als Frau, die ein traditionelles Rollenbild lebt – sprach | |
| in einem Vortrag von „Anker-Babys“. Sie unterstellt, dass | |
| Immigrant*innen in den USA strategisch Kinder bekommen, um ihren | |
| Aufenthaltsstatus abzusichern. | |
| taz: Die pronatalistische Szene ist sich nicht immer einig. Wo gibt es | |
| Konflikte? | |
| Schultz: Ein Thema zwischen der wertkonservativen religiösen Rechten und | |
| denen, die Fantasien genetischer Optimierung anhängen, ist die Frage, | |
| welchen Stellenwert der Embryo hat. Die sogenannte Lebensschutzszene lehnt | |
| es als Tötungen ab, Embryonen einzufrieren oder zu verwerfen, Abtreibung | |
| sowieso. Zudem unterscheiden sich die Gruppen in Bezug auf die Frage, | |
| welches Familienmodell propagiert wird. Die Collins’ zum Beispiel sind | |
| beide berufstätig und grenzen sich damit von Tradwives ab, die das | |
| Ein-Ernährer-Modell propagieren, also als Hausfrauen mit Kindern zu Hause | |
| bleiben und einen Mann umsorgen. Das unterscheidet sich wiederum vom | |
| Maskulinismus, für den Elon Musk oder Donald Trump stehen. | |
| taz: Was hat Trump damit zu tun? | |
| Schultz: Trump unterstützt die technologieaffine Programmatik, indem er den | |
| Zugang zu sogenannter künstlicher Befruchtung verbessern will und sich als | |
| „Befruchtungspräsident“ feiert. Sein Vizepräsident J. D. Vance bediente d… | |
| sogenannte Lebensschutzszene, als er auf dem „Marsch für das Leben“ in | |
| Washington seine erste Rede als Vize hielt und erklärte: „Ich will mehr | |
| Babys in den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Im „Projekt 2025“ der | |
| Heritage Foundation, die den Fahrplan der zweiten Trump-Amtszeit entwarf, | |
| sind pronatalistische Maßnahmen begründet, die die Regierung nun anschiebt. | |
| Darunter sind 1.000 Dollar Startkapital für jedes Baby mit | |
| US-Staatsbürgerschaft. | |
| taz: Gibt es hierzulande vergleichbare Ansätze pronatalistischer | |
| Organisierung? | |
| Schultz: Die höhere Geburtenrate gegen Einwanderung in Anschlag zu bringen | |
| und bestimmte Bevölkerungsgruppen abzuwerten, ist ein zentrales Projekt der | |
| heutigen transnationalen Rechten und auch für die AfD-Programmatik ein | |
| Schlüsselelement. | |
| taz: Und bei der Technologie? Die deutschen Gesetze sind in Bezug auf | |
| Präimplantationsdiagnostik viel strenger. | |
| Schultz: Die reproduktionstechnologische Industrie agiert global – weg von | |
| kleinen Kliniken, die eher aus dem Gesundheitssektor kommen, hin zu | |
| Start-ups und lukrativen Ketten, die sich als spekulatives Kapital für | |
| Investoren eignen. Simone Collins arbeitete früher für den rechten | |
| Vordenker Peter Thiel. Sam Altman, Gründer von Open AI, investiert in ein | |
| Start-up, das an der Herstellung künstlicher Keimzellen arbeitet. Der | |
| Unternehmer Martín Varsavsky wiederum operiert mit dem Prelude Fertility | |
| Netzwerk an 36 Orten in den USA und hat als Aufsichtsrat bei Springer | |
| zugleich einen Gastbeitrag von Musk in der „Welt“ unterstützt, in dem | |
| dieser sich für die AfD stark machte. In dieser transnationalen Branche | |
| geht es nicht nur um die Ideologie der eigenen Überlegenheit, sondern auch | |
| um hohe Gewinnmargen. Der Pronatalismus ist ein ideologisches, | |
| hierarchisches Projekt, in dem konservative Technologiekritik und eine | |
| hochtechnologische, marktbasierte Eugenik Allianzen bilden. | |
| 7 Nov 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
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