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# taz.de -- Film „Outsider. Freud“: Verdrängte Ausgrenzung
> Filmemacher Yair Qedar setzt sich mit Sigmund Freuds Verhältnis zum
> Antisemitismus auseinander. Und zeigt ungesehene Aufnahmen des
> Psychoanalytikers.
Bild: Ein Zug fährt durch eine Wohnzimmer-Berglandschaft: Mit solchen Traumseq…
Ein Eisenbahnzug fährt durch eine Berglandschaft, aber der Boden, über den
er fährt, ist ein Wohnzimmerteppich. Jemand schaut in diesem Zug aus dem
Fenster, aber statt eines Kopfes sitzt eine lila Blumenblüte auf dessen
Schultern. Diese in 3D animierten Traumbilder hat der israelische
Filmemacher Yair Qedar als Kernmetaphern an den Anfang seines Films
[1][über Sigmund Freud] gesetzt.
Denn Eisenbahnfahrten spielten in der Gedankenwelt von Freud eine große
Rolle. In einem seiner Briefe schilderte er etwa eine Situation, in der er
in einem Zugabteil ein Fenster öffnete, einer der Mitreisenden ihn aber
daran hindern wollte und ihn dabei als „dreckigen Juden“ bezeichnete. In
einem anderen Text schreibt Freud, [2][wie enttäuscht er als Kind von
seinem Vater war], als dieser sich nicht wehrte, als er als Jude beschimpft
und ihm auf der Straße der Hut vom Kopf geschlagen wurde.
Als Jude war Sigmund Freud [3][ein „Outsider“], auch wenn er ansonsten als
eine der berühmtesten und einflussreichsten Persönlichkeiten des 20.
Jahrhunderts zu den Insidern gehörte. [4][Yair Qedar] nennt den Titel
seines Films auch selbst „paradox“ und „ironisch“.
Aber mit ihm beschreibt er seinen eigenen Zugang zu Freud, den er als jenen
Menschen bezeichnet, „über den in der Ära der Moderne am meisten
geschrieben wurde“. Er traute sich trotzdem, noch einen Film über ihn zu
machen, weil das Thema ihn aus diesem Blickwinkel interessierte und weil es
neue Filmbilder von Sigmund Freud gibt.
## Freuds Studienraum reanimiert
Dessen [5][Patientin, Kollegin und Unterstützerin Prinzessin Marie
Bonaparte] hatte im Wien der 1930er-Jahre Home Movies von Freud und seiner
Familie gedreht, die erst in der CovidZeit digitalisiert und so verfügbar
wurden. Darin sieht man ihn etwa im Kreis seiner Familie essen oder mit
seinen Kindern und Hunden spielen. So zeigt der Film zumindest auf der
Bildebene einen so noch nie zuvor gesehenen Sigmund Freud.
Die surrealen Traumbilder haben dagegen als Illustrierungen des Unbewussten
eine inzwischen schon fast 100 Jahre alte Tradition. Aber darum weiß Qedar
selbst, denn in seinem Film zeigt er auch einige Bilder aus Luis Buñuels
„Un chien andalou“ von 1929.
Qedars Mischung aus Dokumentar- und Arthousefilm ist stilistisch reizvoll.
Denn neben den konventionellen Mitteln des Dokumentarfilms wie historischen
Fotos und Archivaufnahmen sowie den „Talking Heads“ von vielen
Freud-Expert*innen, die versuchen, den Vater der Psychoanalyse zu
analysieren, leistet Qedar sich auch filmtechnische Extravaganzen wie
3D-Reanimationen von Freuds Studienraum und Behandlungszimmer. Also Home
Movies auf einer ganz anderen Ebene.
Ansonsten zitiert er ausgiebig aus Freuds Notizen und Briefen (unter
anderem an seinen Freund Stefan Zweig), die im Film übrigens nicht auf
Deutsch, sondern in Englisch vorgelesen werden. Und dies, obwohl der Film
ansonsten sehr polyglott ist und die ExpertInnen in ihren Muttersprachen
Hebräisch, Englisch, Französisch und Deutsch sprechen.
Trotz der Beteiligung von ORF, RBB und Arte gibt es auch keine deutschen
Untertitel für den Films, sodass das Publikum in der Ankündigung des City
46 davor „gewarnt“ wird, dass „sowohl der Film als auch die anschließende
Diskussion auf Englisch stattfinden“.
In den 66 Minuten des Films reißt Qedar viele Aspekte des Lebens und der
Lehre von Freud zwangsläufig nur sehr kurz an. Da werden Themen wie Freuds
Kokaingebrauch, sein Verhältnis zu seinen Eltern oder seine Entscheidung,
sein Leben selbstbestimmt zu beenden, eher eilig und oberflächlich
behandelt.
Interessant wird der Film aber immer dann, wenn er auf Qedars Kernthema
zurückkommt: [6][Freud und der Antisemitismus]. Hier macht er etwa
deutlich, dass Freud die Bedrohung der Juden durch die Nazis lange nicht
ernst genommen hat und er deshalb erst sehr spät, fast gegen seinen Willen,
nach England ins Exil ging. Freud, der Erforscher der
Verdrängungsmechanismen, hat auf dieser Ebene also selbst heftig verdrängt.
23 Aug 2025
## LINKS
[1] /Sigmund-Freud/!t5010269
[2] /Von-hoeheren-Vaetern/!340234/
[3] https://ivrim.co.il/en/films/outsider-freud/
[4] https://www.instagram.com/yair_qedar/
[5] /Portraet-Sigmund-Freuds/!5850927
[6] /Adorno-Vorlesungen-von-Ilka-Quindeau/!5945851
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Psychoanalyse
Sigmund Freud
Film
Antisemitismus
Faschismus
Kolumne Cultural Appreciation
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
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