| # taz.de -- CSU-Politiker menschelt im Kino: Wenn Söder weint | |
| > Wenn Markus Söder im Kino die Tränen laufen, sagt das mehr über ihn aus, | |
| > als ihm lieb ist. Was Freud wohl davon halten würde? | |
| Bild: Hat auch schon mal im Kino geweint: Markus Söder auf dem 42. Filmfest in… | |
| Sigmund Freud veröffentlichte im Jahr 1901 eine Studie mit dem Titel „Zur | |
| Psychopathologie des Alltagslebens“. Darin behauptet er, dass alltägliche | |
| Fehlleistungen, beispielsweise etwas zu vergessen, sich zu verschreiben, | |
| vor allem aber das Versprechen unbewusste Absichten ausdrücken. (Jenes | |
| seitdem „freudscher Versprecher“ genannte Phänomen auf die Spitze treibt | |
| ein im Original englischsprachiger Witz, in dessen Pointe ein Mann beim | |
| Frühstück zu seiner Frau anstatt „gib mir bitte mal die Butter, Schatz“ | |
| sagt: „Du blöde Kuh hast mein Leben ruiniert.“) | |
| Politiker:innen müssen mit ihren Worten besonders vorsichtig sein, | |
| ihre freudschen Versprecher bleiben sonst für immer und ewig im hämischen | |
| öffentlichen Gedächtnis. Etwa so wie beim ehemaligen Münchner | |
| Oberbürgermeister Erich Kiesl, der dem Bayerischen Rundfunk bei einem | |
| Live-Interview auf die Frage, wie er mit dem damaligen Bayerischen | |
| Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zurechtkam, antwortete: „Wir haben | |
| keine Differenzen. Wenn wir zusammenkommen, ist es so: Er sagt seine | |
| Meinung und ich sage seine Meinung.“ | |
| Bei der Eröffnung des 42. Internationalen Filmfests München am letzten | |
| Samstag sagte der aktuelle Bayerische Ministerpräsident [1][Markus Söder] | |
| ebenfalls seine Meinung: Anstatt – in üblicher Vermeidung der | |
| gendersensiblen Sprache mit Glottisschlag – von „Künstlerinnen und | |
| Künstlern“ zu sprechen, klang es bei ihm wie „Künstler und Künstler“. | |
| ## Wenn Söder weint | |
| Glaubt man Freud, dann drückt sich damit unbewusst die Absicht aus, | |
| männliche Künstler vorzuziehen. Vielleicht verschluckte er das „innen“ ab… | |
| auch einfach aus Eile, weil er schnell wieder ins Kino hasten wollte: Söder | |
| outete sich darüber hinaus nämlich passenderweise als Filmaficionado. Sogar | |
| geweint habe er im Kino schon, gab er auf Nachfrage zu. Zum Beispiel als | |
| Captain Kirk starb. | |
| Captain Kirk starb im Kinojahr 1995 in dem bei Trekkies und Nicht-Trekkies | |
| gleichermaßen unbeliebten, weil ziemlich dämlichen Film „Star Trek: Treffen | |
| der Generationen“. Darin geht der Staffelstab beziehungsweise die Brücke | |
| offiziell an den Philosophencaptain und Rotweinliebhaber [2][Jean-Luc | |
| Picard,] der in der Fernsehserie „Star Trek: The Original Series“ bereits | |
| begonnen hatte, die Originalserie erzählerisch auf ein anderes Level zu | |
| hieven und Kirks zuweilen recht hemdsärmelige Starker-Mann-Attitüde durch | |
| flachere Hierarchien und ein stärkeres Demokratieverständnis aufzuweichen. | |
| Es ging in Söders Lieblings-„Enterprise“-Abenteuer also um eine politische | |
| Zeitenwende. Interessant wäre, was Freud dazu sagen würde. Ansonsten weine | |
| er bei Familienfilmen, sagte Söder noch und erzählte von „Everybody’s Fin… | |
| mit Robert De Niro. In diesem 2009 von Kirk Jones inszenierten Drama spielt | |
| De Niro Frank, den lungenkranken Vater von vier Kindern, der beschließt, | |
| sämtliche erwachsene Söhne und Töchter zu besuchen, nachdem ein gemeinsames | |
| Treffen bei ihm zu Hause von den Kindern abgesagt worden war. | |
| Das Schöne an der Geschichte ist, dass De Niros Charakter diese Reisen aus | |
| gesundheitlichen Gründen per Zug absolviert. Nicht mit dem Flugzeug, nicht | |
| mit dem Auto und schon gar nicht mit dem Verbrenner, dessen von der EU für | |
| 2035 geplantes Aus Söder wiederholt infrage stellte. | |
| Dabei müsste er sich einfach nur ein Beispiel an Frank in „Everybody’s | |
| Fine“ nehmen. Während der Zugreisen schaut Frank nämlich sinnierend aus dem | |
| Fenster auf die Telefonkabel, die er selbst einst verlegt hat, und hat so | |
| endlich mal Zeit, über alles nachzudenken. Würde er fliegen oder selbst | |
| Autofahren, könne man die Geschichte so nicht erzählen. | |
| Den Rückweg tritt Frank notgedrungen mit dem Flugzeug an – er muss schnell | |
| nach Hause, weil ihm ein Medikament abhandengekommen ist. Leider tut ihm | |
| der Flug gar nicht gut: Er landet im Krankenhaus. Was folgt, ist der Grund | |
| für Söders Tränen. Hätte Frank doch bloß wieder den Zug genommen. | |
| 4 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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