| # taz.de -- Schwieriges Regieren für die SPD: Schwarz-Rot im Herbstlicht | |
| > Die SPD hat in der Koalition mit der Union von Rente bis Tariftreue ein | |
| > paar ihr wichtige Themen durchgesetzt. Dafür hat sie bittere Kompromisse | |
| > gemacht. | |
| Bild: Matthias Miersch und der Glaube an eine stabilisierte Mitte | |
| Für SPD-Fraktionschef Matthias Miersch war nach 70 Tagen Schwarz-Rot die | |
| Welt fast in Ordnung. Er lobte die „starke demokratische Mitte, die unser | |
| Land stabilisiert“. Denn nur die könne die von rechts außen forcierten | |
| Spaltungen in den Griff bekommen. Lars Klingbeil, Finanzminister und | |
| SPD-Chef, betont immer wieder, wie entscheidend eine handlungsfähige | |
| Regierung in Berlin für Europa ist. Die Große Koalition soll der | |
| verlässliche Stabilitätsanker sein, der in Zeiten von Trump und AfD solide | |
| regiert und die Gemüter beruhigt. Funktioniert das? | |
| Aus Sicht der SPD-Spitze ist die Bilanz positiv. Man besetzt, trotz miesem | |
| Wahlergebnis von 16,4 Prozent, sieben Ministerien. Die eiserne | |
| Schuldenbremse hat man mit Merz schon vor der Regierungsbildung mit dem | |
| Sondervermögen für Infrastruktur und unbegrenzten Schulden für Verteidigung | |
| aufgesprengt. 2027 [1][wird der Mindestlohn auf fast 15 Euro steigen]. Vor | |
| ein paar Tagen hat Schwarz-Rot das [2][Tariftreuegesetz], Herzenssache der | |
| SPD, beschlossen. Künftig werden nur Unternehmen, die Tariflöhne zahlen, | |
| Aufträge vom Bund bekommen. Bei der Wirtschaftspolitik hat die SPD | |
| zumindest Duftmarken gesetzt, mit verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten | |
| und Investitionsanreizen für Unternehmen. Dann noch die Rentengarantie bis | |
| 2031. | |
| Dafür haben die GenossInnen bittere Kompromisse gemacht, CSU-Innenminister | |
| Alexander Dobrindts „Grenzen dicht“-Politik diplomatisch beschwiegen oder | |
| höchstens im Flüsterton infrage gestellt. Viele SPD-Abgeordnete haben | |
| contre cœur für die [3][Aussetzung des Familiennachzugs] für Flüchtlinge | |
| die Hand gehoben. Die SPD ist eben ein verlässlicher Regierungspartner. | |
| Verantwortungsethik gehört zu ihrer DNA. Der schwarz-rote Deal lautet: Die | |
| Union hat außenpolitisch freie Hand – Merz muss keinen SPD-Außenminister | |
| einbinden. Dito bei der Migrationspolitik. Dafür kann die Sozialdemokratie | |
| bei Sozialem punkten. In der offiziellen SPD-Erzählung ist nach 100 Tagen | |
| nicht alles gut, aber doch viel besser, als es scheint und es die Umfragen | |
| widerspiegeln. | |
| Doch die Zweifel, ob die Gesetze der alten Bundesrepublik noch existieren, | |
| wachsen auch in der SPD-Spitze. Schon der Start, die holprige Kanzlerwahl, | |
| zeigte aus SPD-Sicht, dass die Unionsführung ihre Truppen nicht im Griff | |
| hat. Das war das Vorspiel: Der Hauptakt war die von der Unionsfraktion | |
| torpedierte Wahl von [4][Frauke Brosius-Gersdorf] zur Verfassungsrichterin. | |
| Übel war für die SPD zweierlei: Die Union ließ sich von der von AfD und | |
| rechten Medien forcierten Kampagne anstecken. Und: Die Absprachen der | |
| Unionsführung waren nichts wert. Eine verlässliche Regierung der Mitte? | |
| ## Rückzug von Brosius-Gersdorf und Durchhalteparolen | |
| SPD-Fraktionschef Miersch ist eine Schlüsselfigur für eine funktionierende | |
| Zusammenarbeit in der Koalition. Nach Brosius-Gersdorfs Rückzug sieht er | |
| schon nach weniger als 100 Tagen „das Fundament infrage gestellt, auf dem | |
| demokratische Zusammenarbeit überhaupt möglich ist“. Natürlich wolle man | |
| die Koalition fortsetzen. Aber das klingt schon ein wenig nach | |
| Durchhalteparole. Das Misstrauen der SPD-Spitze ist verständlich. | |
| CDU-Fraktionschef Jens Spahn hat sein Wort gebrochen. Wer garantiert, dass | |
| das demnächst nicht wieder passiert? Eigentlich, sagen viele in der SPD, | |
| müsste Spahn zurücktreten. Aber das wird kaum passieren. Und das Misstrauen | |
| bleibt. | |
| In vier Wochen steht nach der Sommerpause der nächste Stresstest bevor. Die | |
| Union will beim Bürgergeld kürzen. Merz braucht den „Herbst der | |
| Sozialreformen“, auch um die Konservativen in den eigenen Reihen | |
| einzubinden. Die SPD kann da wenig gewinnen. Bärbel Bas ist in einer | |
| schwierigen Doppelrolle. Als Arbeitsministerin wird sie die teils | |
| verfassungswidrigen Kürzungsideen wie einen kompletten Entzug für | |
| Arbeitsverweigerer abblocken. Aber auch das Bürgergeld zur Grundsicherung | |
| rückabwickeln und manches verschärfen. Als SPD-Chefin soll Bas aber | |
| gleichzeitig die authentische Gegenfigur zu dem machtkalten Pragmatiker | |
| Klingbeil sein. Ein komplizierter Weg. | |
| In Umfragen bewegt sich die SPD mittlerweile nahe Richtung Grünen und | |
| Linkspartei. Im „Herbst der Sozialreformen“ werden ihr kaum Sympathien | |
| zufliegen. Falls zur flatterhaften Union auch noch eine nervöse SPD kommen | |
| sollte, wird das Stresslevel bei Schwarz-Rot steigen. | |
| 12 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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