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# taz.de -- Emanzipation im Sport: Wie feministisch ist der Frauenfußball?
> Frauenfußball ist mittlerweile beliebt, vermarktbar und sexy. Kann etwas,
> das so sehr Ware ist, Feminismus sein?
Bild: Inklusiver, aber auch immer noch feministisch?
Nach dem Viertelfinale Deutschland gegen Frankreich radle ich nach Hause.
Ich komme von einer Kneipe in Berlin-Wedding, hier zeigen sie jedes
EM-Spiel. Frauenfußball in der Kneipe schauen und fast keinen Platz mehr
bekommen, weil es so voll ist – diese Vorstellung wäre vor ein paar Jahren
noch völlig crazy gewesen. Ich bleibe an einer roten Ampel stehen und denke
darüber nach, was das über Fußball, über Frauen, über Medien und
Patriarchat aussagt. Ich spiele mit dem Bremsgriff meines Klapprads, schaue
hoch und sehe eine riesige Leuchtreklame am Straßenrand. Giulia Gwinn
bewirbt Adidasschuhe. Awesome, denke ich.
Es wird grün, ich fahre wieder los. Feminismus und Frauenfußball. Ist das
noch ein Match? Früher, denke ich, da war die Sache klar. Vor gut hundert
Jahren wurden Lotte Specht, Gründerin des 1. Deutschen Damen Fußball Clubs
und ihre Mitspielerinnen noch mit Steinen beworfen. Der
Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen untersagte den
Frauenfußball bald darauf ganz. In der Mitteilung von 1936 steht, der
männliche Kampfcharakter, der dort erforderlich sei, würde der Frau die
Würde des Weibes nehmen.
Im Nachkriegsdeutschland-DFB (dem „Wunder-von-Bern-DFB“) schreibt sich die
Misogynie der Nazis fort. Auf einer Versammlung von 1955 heißt es: „Im
Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele
erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt
Schicklichkeit und Anstand.“
What the fuck!
Im selben Jahr verbietet der westdeutsche DFB den Frauenfußball im Rahmen
des Verbands. In der DDR war Frauenfußball erlaubt, wurde aber, anders als
der Männerfußball, nicht gefördert. Wir halten fest: Von Männern geführte
Verbände haben Frauen, zumindest in Westdeutschland, bis weit in die zweite
Hälfte des letzten Jahrhunderts hinein den Zugang zum Fußball verboten.
Trotzdem Fußball zu spielen, war also ein feministischer Move. Klare Sache.
## Unter die Fittiche des DFB
1970 hebt der DFB das Verbot dann auf. Das Motiv: Bevor uns die subversive
Bewegung überrollt, gehen wir ein Stück auf sie zu, nehmen sie an die Hand
und führen sie dort hin, wo wir sie haben wollen. Die aufmüpfigen Weiber
kommen also an die Leine. Dem DFB blieb damals eigentlich gar nichts
anderes übrig. Frauenfußball war einfach zu groß geworden.
In den 50ern gab es Spiele im Ruhrgebiet, zu denen, so heißt es, an die
10.000 Zuschauende kamen. Frauen organisierten EMs und WMs ohne Verbände.
Mit der Aufhebung des DFB-Verbots hatten Frauen Zugang zu Sportstätten und
konnten offiziell Vereinen beitreten, in eigenen Ligen spielen und eine
Nationalmannschaft stellen. Als die 1989 die Europameisterschaft gewinnt,
schenkt der DFB dem Team zur Würdigung des Titels ein Kaffeeservice.
Was Frauen in der Fußballwelt dürfen und was nicht, entscheiden also auch
gegen Ende des 20. Jahrhunderts immer noch Männer. Fußballspielen bleibt
für Frauen eine feministische Tätigkeit.
Während ich mein Rad im Innenhof an den Zaun schließe, frage ich mich, was
wohl aus dem Frauenfußball geworden wäre, wenn er seinen eigenen Weg
gegangen wäre. Ohne DFB. Die selbstorganisierten Strukturen gab es ja. Ich
schließe die Haustür auf und überlege: Gäbe es heute in Deutschland Frauen,
die auf einem so hohen Niveau Fußball spielen, wenn der Frauenfußball nie
Teil des DFB geworden wäre? Wer weiß? Vielleicht wäre aus dem Frauenfußball
eine selbstorganisierte, emanzipierte Sportart geworden, [1][wie der
Rollschuhsport Roller Derby.] Wo das Geschlecht der Athlet:innen egal
ist, sie sich lustige Fantasienamen geben und Wettkämpfe solidarisch
austragen. Pyros schwingende Ultra-Boys (und dann ja vielleicht auch viel
mehr Girls) wären Teil dieser coolen, feministischen Fußballkultur. Sie
würden nicht mehr zu den Männerbundesligaspielen gehen. Deren Spieler
würden sich zusammenschließen und sagen: Wir wollen auch so viel
Aufmerksamkeit wie die Spieler:innen dieser queeren, basisdemokratischen
Alternativliga! Ich grinse ein wenig, als ich die Treppen zur Wohnung
hochlaufe. So eine absurde Vorstellung. So lief’s beim Frauenfußball nun
mal nicht. Er wurde Teil des DFB.
## Fußballerinnen im Playboy
Und der vermarktete die Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland mit dem
Spruch „20Elf von seiner schönsten Seite“. Ja glaubt man’s denn. Das
Magazin Playboy veröffentlichte [2][ein Cover mit fünf
Nationalspielerinnen]. Der [3][Focus schreibt dazu:] „Dass die
Fußball-Damen nicht bullig, sondern anmutig, nicht unweiblich, sondern
schön anzusehen sind – dafür ist mit dem Playboy-Shooting endlich der
Foto-Beweis erbracht.“
Frauenfußball – Where are you heading at?
Etwas hat sich verändert. Frauenfußball ist jetzt nicht mehr der nervige
Abklatsch des Männerfußballs, sondern etwas „Eigenes“. Frauen, die Fußba…
spielen, sind jetzt schön. Das männliche Urteil bleibt bestimmend. Und
Frauenfußball bleibt … feministisch? Irgendwie keine klare Sache mehr.
Die Weltmeisterschaft bringt dem deutschen Frauenfußball viel
Aufmerksamkeit. Die Anzahl der Mädchenteams schießt in die Höhe. [4][Es ist
auch die Zeit, in der Vereine, die erfolgreich im Männerfußball sind,
beginnen in den Frauenfußball zu investieren.] Und so langsam entsteht auch
eine Debatte, die zu Zeiten von Lotte Specht undenkbar gewesen wäre: die
Debatte um Gleichberechtigung im Fußball.
Fußballerinnen fordern bessere Trainingsbedingungen, mehr Bezahlung und
eine professionelle Spielübertragung. Es dauert, es ist zäh und doch
verbessert sich in dieser Hinsicht einiges im Laufe der 2010er Jahre.
Mittlerweile muss keine Frau in der ersten Bundesliga mehr neben dem
Fußball Vollzeit arbeiten. In den unteren Ligen sieht das noch anders aus.
Trotzdem: Die Veränderung ist spürbar und anders als noch vor 50 Jahren ist
das Thema präsent und weitere Verbesserungen der Strukturen denkbar.
Ist der deutsche Frauenfußball also doch eine feministische
Erfolgsgeschichte?
Durch den Frauenfußball gibt es definitiv mehr weibliche Vorbilder im
Sport. Mehr Möglichkeiten, „weiblich“ zu sein. Der Frauenfußball ist
außerdem ein starker Bezugspunkt für die queere Community. Denn Queerness
und Lesbischsein wird hier offen gelebt, ist normal. Frauen, die sich durch
als „männlich“ geltende Merkmale wie Dominanz, Stärke und
Durchsetzungsvermögen auszeichnen, sind Stars.
Natürlich gibt es viele Menschen, denen das nicht gefällt und es gibt noch
immer Diskriminierung gegenüber Fußballerinnen. Noch immer wird Jungs mehr
Raum zum wild sein und toben zugestanden als Mädchen, noch immer gilt ein
muskulöser Körper als unweiblich. So gesehen ist der Frauenfußball trotz
seiner Errungenschaften nach wie vor per se ein feministisches Projekt. Das
Problem: So wie er heute auftritt, hinterfragt der Frauenfußball nie das
große Ganze. Er möchte lediglich seinen Teil vom Kuchen.
## Vermarktung der Emanzipation
Oben in der Wohnung lasse ich mich aufs Sofa fallen. Langsam wird mir
schwindelig. Ist Frauenfußball jetzt was Feministisches, oder nicht? Ich
denke daran, wie sich Profifußballerinnen bei Social Media vermarkten und
mit Werbedeals Geld verdienen. Dass sich Unternehmen für Fußballerinnen als
Werbeträgerinnen entscheiden, weil sie eine bestimmte Zielgruppe erreichen
wollen: jung, weiblich, queer. Kann etwas, das so sehr Ware ist, Feminismus
sein?
Dann denke ich daran, dass Lotte Specht und ihr Team vor hundert Jahren mit
Steinen beworfen wurden. Und daran, welche Kämpfe Frauen führen mussten,
damit ihr Fußball respektiert wird. Lotte Specht hat gesagt: „Meine Idee,
die kam nicht aus der Liebe zum Fußballsport, sondern war vor allen Dingen
frauenrechtlerisch.“ Und wahrscheinlich ist das der springende Punkt.
Frauenfußball ist heute nicht mehr durch seine bloße Existenz feministisch.
Er ist nur feministisch, wenn die Akteur:innen ein Bewusstsein
entwickeln, Forderungen stellen und grundlegende Kritik üben.
Dieser Frauenfußball würde sich nicht damit zufriedengeben, dass es
mittlerweile Frauen in wichtigen Positionen des DFB gibt. Er hätte nicht
nur die Spitze, sondern alle Frauen im Blick. Denn die mangelnde
Finanzierung und schlechte Ausstattung im Amateurbereich benachteiligt vor
allem arme Mädchen und Frauen. Er würde auch fragen, warum es im deutschen
Frauenfußball so wenige nicht-weiße Spielerinnen gibt, denn aktuell werden
die strukturellen Ursachen dafür nicht untersucht.
Der Frauenfußball hat in Bezug auf Sichtbarkeit aktuell einen Peak.
Spielerinnen, Trainer:innen und Fans könnten den nutzen.
23 Jul 2025
## LINKS
[1] /Roller-Derby-in-Hamburg/!5952988
[2] https://shop.playboy.de/playboy-07-2011/
[3] https://www.focus.de/panorama/boulevard/fussball-damen-ganz-ohne-trikot-jul…
[4] /Gleichstellung-im-Fussball/!5864948
## AUTOREN
Marie Gogoll
## TAGS
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