# taz.de -- Ob Männer- oder Frauenfußball: Deutscher Nationalstolz ist immer … | |
> Der Schwarz-Rot-Gold-Ekel wich während der Fußball-EM der Frauen einem | |
> koketten Patriotismus. Das ist nicht Fortschritt, sondern Regression. | |
Bild: Deutschlandflaggen im Stadion in Zürich während des Halbfinales gegen S… | |
Die DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch sagte am vergangenen Mittwoch im | |
Deutschlandfunk über die deutsche Nationalmannschaft der Frauen: „Wir | |
stehen für all das, was manchmal der Jugend oder überhaupt Deutschland | |
abgesprochen wird, Moral, Kampf, Teamgeist, Leidenschaft.“ Man könne, sagte | |
sie, deshalb nur stolz auf diese Mannschaft blicken. Sie wusste zudem zu | |
berichten, was das Team ausmache, nämlich „der unbedingte Wille, die | |
Leidenschaft, die Emotion, der Teamgeist.“ Vor allem die Leidenschaft „für | |
die Nation zu spielen“ schien die Funktionärin zu beeindrucken. | |
Am Abend dann verlor [1][dieses Team] gegen Spanien und steht am Sonntag | |
somit nicht im Finale gegen England. Aber der Schaden ist trotzdem | |
angerichtet. Denn nach all den Jahren der Schande, die die Männer über das | |
Land gebracht haben, sorgten in den vergangenen Wochen die Frauen für ein | |
Deutschlandgefühl, dass zwischen Stolz, Freude, Glück und Euphorie keinen | |
Platz mehr für etwas anderes lässt: Unwohlsein. Denn Frauenfußball hin oder | |
her: Es ist immer noch Deutschland. Das schienen einige komplett vergessen | |
zu haben. Warum eigentlich? Weil es ja „nur“ Frauen sind? | |
Die antinationalen Abwehrreflexe der Linken, über Jahrzehnte relativ | |
funktionstüchtig, wenn die deutsche Nationalmannschaft der Männer spielt, | |
wurden entsorgt [2][wie Thomas Müller bei Bayern München]. Schlimmer noch: | |
Der eigentlich gefestigte Schwarz-Rot-Gold-Ekel wich einem koketten | |
Patriotismus feministischer Note, denn – so die Argumente der neuen | |
Jubel-Deutschen – das seien doch jetzt die Guten. Keine homophoben | |
Proll-Männer mit Runen-Tattoos und ausdifferenziertem Alkoholproblem. | |
Sondern Frauen. Sympathisch. Authentisch. Tragen sogar die | |
Regenbogen-Binde. Haben doch auch lange auf diese Form der Anerkennung | |
gewartet. | |
Doch was nach Fortschritt aussieht, ist in Wahrheit Regression. Eine | |
Normalisierung nationaler Identifikation, flankiert von Popfeminismus, | |
Regenbogen-Binde und Wohlfühlästhetik. Und die Rechten jubeln, denn seit | |
Jahren suchen sie nach einem neuen, unverfänglichen Vehikel für ihren | |
Heimatstolz. Hier ist es: Die Frauenmannschaft. Endlich wieder Deutschland, | |
fast ohne Schwarze! Sie sind weiß und blond, kaum eine hat einen | |
Migrationshintergrund, sie hören gerne deutsche Schlager und singen die | |
Nationalhymne – nicht so wie seinerzeit Teile der deutschen Mannschaft, die | |
ja vor allem aus [3][Vaterlandsverrätern wie Mesut Özil] bestand. | |
## Alles ist erlaubt, weil es diesmal nicht toxisch ist | |
Dabei bleibt das Grundproblem gleich: Nationalismus ist keine Frage des | |
Geschlechts. Flagge bleibt Flagge, egal wer sie trägt. Die Ignoranz macht | |
die Sache sogar noch gefährlicher. Wenn sich jetzt ausgerechnet auch | |
angebliche Linke beim Public Viewing in Deutschlandtrikots zeigen, haben | |
sie nicht verstanden, was 2006 schon falsch war – und was 2025 noch viel | |
falscher ist. Denn diesmal passiert es mit Zustimmung der progressiven | |
Öffentlichkeit. Wer jetzt nicht jubelt, ist sexistisch. Wer Kritik übt, ist | |
ein Miesmacher. | |
Das Drumherum, das mediale Aufpumpen, das kollektive Fahnenschwenken, das | |
ist der eigentliche Skandal. Denn so wurde die EM 2025 zur nationalen | |
Katharsis. Alles ist erlaubt, weil es diesmal nicht toxisch ist. Weil es | |
nicht Männlichkeit, sondern Gleichstellung repräsentiert. Aber die | |
Botschaft lautet noch immer: Deutschland über alles. Im Zweifel auch über | |
den politischen Verstand. | |
Es ist eine bekannte Dialektik, die hier wirkt. Adorno und Horkheimer haben | |
bereits in der „Dialektik der Aufklärung“ gezeigt, wie schnell die | |
Aufklärung selbst in Mythologie umschlagen kann. Der scheinbar | |
emanzipatorische Moment wird zur Bühne der Regression, der neue deutsche | |
Feminismus wird so zur nationalen Selbstvergewisserung. Die Kritik an | |
autoritären Strukturen weicht der Affirmation eines Staates, dessen | |
Geschichte alles andere als unschuldig ist. | |
Gerade deshalb – weil Deutschland nicht ist wie andere Länder –, ist auch | |
der deutsche Nationalstolz kein neutraler. Er ist immer kontaminiert, immer | |
rückschrittlich, immer gefährlich. Wer das vergisst, macht sich | |
mitschuldig, weil Geschichte sich nicht wegemanzipieren lässt. Deutschland | |
kann man nicht lieben, und die Sehnsucht danach, es doch irgendwie zu tun, | |
ist eine Kapitulation. Eine Flucht in die nationale Normalität, die es für | |
dieses Land nie geben darf. | |
Wir erleben die Re-Nationalisierung über den Umweg der Liberalität. Man | |
darf wieder deutsch sein, weil man dabei nett ist. Weil man | |
pseudofeministisch Frauen bejubelt. Weil man doch ohnehin gegen Rechts ist. | |
Die Rhetorik der Leistung, der Herkunft, des Stolzes aber bleibt dieselbe, | |
nur die Verpackung ist eine andere. Nicht weniger nationalistisch, nur | |
schwerer zu kritisieren. Der alte Nationalismus hat sich ein neues Gesicht | |
zugelegt, aber dahinter steckt dieselbe Nation. Dieselbe Geschichte. | |
Dieselbe Gefahr. | |
24 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Matthias Kalle | |
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