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# taz.de -- Blockade der Unions-Fraktion: Sie gefährden das Verfassungsgericht
> Wenn nur noch farblose Kandidat:innen gewählt werden, wird das
> Bundesverfassungsgericht an Mumm verlieren. Als Korrektiv fällt es dann
> weitgehend aus.
Bild: Passend gemacht: die roten Roben der Richter:innen in Karlsruhe
Die Verfassungsrichterwahl, wie wir sie kennen, ist in Gefahr. Falls die
Kampagne [1][gegen Frauke Brosius-Gersdorf] Erfolg hat, können kaum noch
markante Persönlichkeiten ans Bundesverfassungsgericht gewählt werden. Das
Karlsruher Gericht wäre dann farblos-homogen – und kraftlos.
Zur Erinnerung: Die Verfassungsrichter:innen werden im Bundestag
oder Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Die Beteiligung der
Opposition an der Richterwahl sichert, dass das Bundesverfassungsgericht
als überparteiliche Institution akzeptiert wird.
Die Zweidrittelmehrheit wird bisher dadurch erreicht, dass alle Fraktionen,
die für das Quorum benötigt werden, [2][Vorschlagsrechte entsprechend ihrer
Stärke] bekommen. Derzeit lautet die Formel 3:3:1:1. Das heißt, dass
CDU/CSU und SPD je drei Verfassungsrichter:innen pro Senat
vorschlagen können. Auch die Grünen und die mittlerweile aus dem Bundestag
ausgeschiedene FDP haben je ein Vorschlagsrecht.
## Pragmatische Praxis
In der Praxis machte eine Fraktion einen Vorschlag, der zu ihrer
politischen Ausrichtung passt. Diese Vorschläge wurden von den anderen
Fraktionen zwar geprüft, aber in aller Regel akzeptiert. Ein Veto wurde nur
äußerst selten ausgesprochen.
Eigentlich haben auch alle Fraktionen ein gemeinsames Interesse an einem
restriktiv verstandenen Vetorecht. Schließlich will jede Fraktion, dass die
eigenen Vorschläge von den anderen Fraktionen ebenfalls in aller Regel
akzeptiert werden. Es ging bisher also nicht um die Suche nach dem
kleinsten gemeinsamen Nenner. Das Verfahren sicherte vielmehr ein
pluralistisch zusammengesetztes Bundesverfassungsgericht, dem auch markante
Persönlichkeiten angehören können.
Überhaupt nicht verwunderlich ist deshalb, dass die Verantwortlichen der
Unions-Fraktion (Fraktionschef Jens Spahn, CDU-Justiziar Ansgar Heveling
und CSU-Justiziar Thomas Silberhorn) den SPD-Vorschlag Frauke
Brosius-Gersdorf akzeptiert haben. Das war kein politischer Fehler, sondern
entsprach der gängigen Praxis. Die Äußerung markanter
verfassungsrechtlicher Positionen war bisher kein Grund, eine
vorgeschlagene Kandidatin als Verfassungsrichterin abzulehnen.
## Nur noch Unions-kompatible Positionen?
Es ist dagegen ein Bruch mit der gängigen Praxis, wenn mehr [3][als 60
Unions-Abgeordnete Brosius-Gersdorf nicht mitwählen wollen] (und so das
Erreichen der Zweidrittelmehrheit verhindern), weil sie mit den
profilierten wissenschaftlichen Positionen der Professorin, insbesondere
zum Schwangerschaftsabbruch, nicht einverstanden sind. Wollen die
Unions-Abgeordneten nur noch Personen wählen, die mit der Union kompatible
Positionen vertreten? Inzwischen werden auch Bedenken gegen die zweite von
der SPD vorgeschlagenen Kandidatin, die Rechtsprofessorin Ann-Katrin
Kaufhold, geäußert.
Wenn die Unions-Minderheit künftig alle Kandidat:innen blockiert, die
auch nur in Teilen Positionen links von der CDU/CSU-Linie vertreten, wäre
dies das Ende eines pluralistisch besetzten Bundesverfassungsgerichts. Denn
natürlich würden es die anderen Fraktionen der Union gleichtun und
ihrerseits ebenfalls keine Personen mit markanten Unionsnahen Positionen
mehr wählen.
Alsbald könnten dann überhaupt keine Rechtsprofessor:innen mehr
gewählt werden, weil sie alle schon in die eine oder andere Richtung
prononcierte Positionen vertreten haben. Denn allgemein gilt: Wer nur die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lobt, macht selten
rechtswissenschaftliche Karriere.
An eine Wahl von Ex-Politiker:innen, etwa die des aktuellen Präsidenten
des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, der bis 2018
CDU/CSU-Fraktionsvize war, wäre gar nicht mehr zu denken. Und das, obwohl
gerade die CDU als eine Partei gilt, die immer wieder profilierte Politiker
nach Karlsruhe geschickt hat, die den Rollenwechsel zu unabhängigen
Verfassungsrichtern hervorragend bewältigten, etwa Ernst Benda (zuvor
Bundesinnenminister) oder Peter Müller (zuvor Ministerpräsident des
Saarlands).
## Das Korrektiv wird so geschwächt
Der kleinste gemeinsame Nenner wäre zukünftig die Wahl von Richter:innen,
die bisher nur über Zivilrecht, Arbeitsrecht oder Steuerrecht entschieden
und sich noch nie zum Verfassungsrecht geäußert hätten. Dass jedoch ein
Bundesverfassungsgericht ohne Verfassungsexpert:innen selbstbewusst
genug wäre, die Politik, wenn nötig, verfassungsrechtlich in die Schranken
zu weisen, ist zu bezweifeln. Mit der aktuellen Blockade der
CDU/CSU-Rebell:innen droht also eine Schwächung des
Bundesverfassungsgerichts als Korrektiv und Schiedsrichter. Auch wenn das
vermutlich nicht die Intention der Union ist, wäre es die Folge ihrer
Kurzsichtigkeit.
Strengere Anforderungen gelten bisher zu Recht nur für Präsident:in und
Vizepräsident:in, die das Bundesverfassungsgericht nach außen präsentieren.
Hier sind tatsächlich eher mittige, integrierende Positionen gefragt. Daher
haben sich auch die meisten der bisherigen Vetos bei
Verfassungsrichterwahlen auf designierte Vizepräsident:innen (Herta
Däubler-Gemlin, Horst Dreier, Günter Krings) bezogen.
Auch [4][Frauke Brosius-Gersdorf] sollte ursprünglich Vizepräsidentin
(und später Präsidentin) des Bundesverfassungsgerichts werden. Darauf hat
die SPD inzwischen zwar verzichtet, die Unions-Rebell:innen konnte das
jedoch nicht mehr beeindrucken. Es zeigt sich, dass die Gegner:innen von
Brosius-Gersdorf das bisherige Wahlsystem ganz generell nicht verstehen
oder nicht akzeptieren.
## Bereits die Grünen setzten den Ton
Jens Spahn ist also nicht vorzuwerfen, dass er den Widerstand gegen
Brosius-Gersdorf nicht kommen sah, sondern, dass es ihm nicht gelungen ist,
seinen Abgeordneten [5][das bisherige Prinzip der
Verfassungsrichter:innenwahlen] zu verdeutlichen.
Aber auch die Grünen tragen eine Mitschuld an der aktuellen Misere. Sie
haben Ende 2024 den CDU/CSU-Kandidaten Robert Seegmüller, einen sehr
konservativen Bundesverwaltungsrichter, abgelehnt. Offiziell begründeten
sie das nicht mit den politischen Positionen Seegmüllers, sondern mit
dessen inkonsistenter Argumentation beim Vorstellungsgespräch.
Derartige Kleinlichkeit hatte bis dahin nicht für ein Veto gereicht.
Vermutlich haben die Grünen damit den Ton gesetzt, der Unions-Abgeordnete
nun glauben machte, sie könnten kurzerhand eine SPD-Kandidatin für das
Bundesverfassungsgericht ablehnen. Einfach deshalb, weil sie ihnen
inhaltlich nicht passt.
19 Jul 2025
## LINKS
[1] /Wahl-der-VerfassungsrichterInnen/!6100685
[2] /Posten-beim-Bundesverfassungsgericht/!6094536
[3] /Wahl-von-Verfassungsrichterinnen/!6097091
[4] /Wahl-neuer-Verfassungsrichterinnen/!6098392
[5] /Wahl-des-Bundesverfassungsgerichts/!6084716
## AUTOREN
Christian Rath
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