| # taz.de -- Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy: Leben im Schwebezustand | |
| > Die Kinothek Asta Nielsen Frankfurt zeigt die erste Retro der | |
| > Dokumentarfilmerin Aysun Bademsoy. Sie blickt auf Fußballerinnen, | |
| > Migration und Terror. | |
| Bild: Womit es anfing: Szene aus Aysun Bademsoys Dokumentarfilm „Mädchen am … | |
| Herbst in Berlin. Auf einem Bolzplatz mit einem Torrahmen aus Metall macht | |
| eine Frau Ballübungen und zieht zwischendurch ein paarmal den Ball ins Tor. | |
| Die Sträucher hinter dem Metallzaun, der den Platz umgibt, sind kahl, die | |
| Farben fahl, doch die Frau strahlt und erzählt davon, wie sie in ihrer | |
| Kindheit auf ebendiesem Platz mit den Jungs aus der Nachbarschaft gebolzt | |
| hat. Weil die Mutter das nicht wollte, hat sie sich versteckt, wenn die | |
| vorbeikam. | |
| „Ich wollte Fußball spielen und sie wollte das nicht. Deshalb musste ich | |
| eine Lösung finden und sagen, dass ich was für die Schule mache, und dann | |
| war’s wieder gut. Und wir war’n beide glücklich.“ Sagt sie und lächelt … | |
| der Erinnerung. | |
| „Spielerinnen“ von Aysun Bademsoy ist ein Film über Rückblicke und Blicke | |
| nach vorn. „Spielerinnen“ feierte letzten Herbst bei Dok Leipzig Premiere. | |
| Heute Abend eröffnet der Film in Frankfurt im Kino des Deutschen | |
| Filminstituts & Filmmuseums die Filmreihe „Nirgends ist man richtig da“, | |
| die erste Werkschau der Filme von Aysun Bademsoy, organisiert von der | |
| Kinothek Asta Nielsen. | |
| „Spielerinnen“ greift einen Faden auf, den Bademsoy knapp 30 Jahre zuvor | |
| aufnahm. In dem halblangen Dokumentarfilm „Mädchen am Ball“ (1995) | |
| begleitete die Regisseurin die jungen Frauen einer Fußballmannschaft des | |
| BSC-Agrispor und dokumentiert jene drei Spiele, die über den Aufstieg in | |
| die Verbandsliga entscheiden. Gleich am ersten Drehtag torpedierte ein | |
| etwas unklarer Vorfall auf dem Platz, der zu einer roten Karte und einem | |
| Sportgerichtsverfahren führt, die geplante Struktur. | |
| Zwischen diesen beiden Strukturen porträtiert der Film die jungen Frauen – | |
| einerseits bei dem Balanceakt zwischen den oft eher konservativen Eltern | |
| und der Lust am Fußballspielen, andererseits mit ihren Wünschen für die | |
| Zukunft und Alltagssorgen wie dem Übergang von der Schule zum Beruf. Auf | |
| „Mädchen am Ball“ folgten zwei weitere Filme über die Fußballerinnen, �… | |
| dem Spiel“ von 1997 und [1][„Ich geh jetzt rein“ von 2008]. | |
| ## Um ein Verhältnis zur Gesellschaft ringen | |
| Diese Trilogie über Fußballerinnen, die mit „Spielerinnen“ nun um einen | |
| Rückblick ergänzt wurde, machte Bademsoy als Dokumentarfilmerin bekannt. Im | |
| Rückblick wird noch deutlicher, dass schon in ihren ersten Filmen Menschen | |
| um ein Verhältnis ringen zu der Gesellschaft, in der sie leben, aber auch | |
| zu den Menschen in ihrer Familie, ihrem Freundeskreis. In den Filmen über | |
| die Fußballerinnen geht es neben diesen Themen auch um vermachtete | |
| Projektionen und Erwartungen, mit denen sich Frauen herumschlagen müssen. | |
| Zugleich lässt sich über die drei Filme der Weg der Regisseurin von der | |
| Form der Fernsehdokumentation zum Kinodokumentarfilm nachvollziehen. | |
| Bademsoy erarbeitete sich die Form ihrer Filme in der Praxis. Vor allem | |
| ihre ersten Filme entstehen am Rande des Absolvent_innen-Kosmos der | |
| Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). | |
| Bei „Mädchen am Ball“ ist [2][Thomas Arslan] eine der Kamerapersonen, | |
| Ludger Blanke taucht bei jenem Film, der der Reihe ihren Titel gegeben hat, | |
| in den Credits auf, und Anfang der 1990er Jahre ist sie Regieassistentin | |
| bei Filmen von Harun Farocki, der später einige ihrer Filme produzierte, | |
| und bei dem Abschlussfilm von [3][Christian Petzold] („Pilotinnen“). Ab | |
| 1996 arbeitet sie eine Handvoll Filme lang mit der Bildgestalterin Sophie | |
| Maintigneux. | |
| In „Nach dem Spiel“ ist die Kamera beobachtender, der Off-Kommentar aus | |
| „Mädchen am Ball“ ist verschwunden. Der Film ist der erste, der im Rahmen | |
| des Forums der Berlinale Premiere feierte. | |
| ## Alltag der Zurückgekehrten | |
| Mitte der 2000er Jahre porträtiert Bademsoy in „Am Rand der Städte“ das | |
| Leben von Menschen, die aus der Arbeitsemigration in die Türkei | |
| zurückgekehrt sind und oft in abgeschlossenen Siedlungsbauten leben. | |
| Geduldig und behutsam zeigt der Film Szenen aus dem Alltag der | |
| Zurückgekehrten, viele der Bilder zeigen sie beim Rentnerdasein in ihren | |
| Wohnungen, während ihre Kinder versuchen den Nicht-Orten am Strand etwas | |
| abzugewinnen. Die Trennlinie ist nicht nur räumlich: Die Älteren blicken | |
| auf ihr Leben im Ausland zurück, die Jüngeren hadern mit ihrer Gegenwart. | |
| Bademsoys Film zeigt Leben im Schwebezustand. | |
| Gut zehn Jahre später zeigt sie in [4][„Spuren – Die Opfer des NSU“] ein | |
| Panorama der Trauer und Enttäuschung unter Hinterbliebenen und | |
| Freund:innen der vom NSU Ermordeten. Bademsoys ruhiger, aber | |
| eindringlicher Film konzentriert sich ganz auf die Begegnung mit den | |
| Familien und Freund:innen von Enver Şimşek, Süleyman Taşköprü und Mehmet | |
| Kubaşik und zeigt deren unterschiedlichen Umgang mit den Verlusten. | |
| Die Werkschau der Kinothek Asta Nielsen nimmt die Filme Aysun Bademsoys | |
| ernst genug, um sie neben den Vorführungen im Kino auch an anderen Orten zu | |
| zeigen und zu diskutieren. Das ist den Filmen einer Regisseurin angemessen, | |
| deren Protagonist:innen in den Filmen um Selbstverortung und | |
| Selbstbehauptung ringen. Die Vorführungen im Kino des Frankfurter | |
| Filmmuseums hingegen verorten Bademsoys Filme hoffentlich da, wo sie | |
| ohnehin schon längst hingehören, im Kernbestand eines angemessen komplexen | |
| politischen Dokumentarfilms in Deutschland. | |
| 24 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
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