# taz.de -- Rolf Schmachtenberg über Altersvorsorge: „Rentenkürzungen betre… | |
> Rolf Schmachtenberg, Mastermind des gescheiterten Rentenpakets 2 der | |
> Ampelkoalition, über die künftigen Chancen für eine | |
> „generationengerechte“ Rente. | |
Bild: In weiter Ferne: eine „generationengerechte“ Rente | |
taz: Herr Schmachtenberg, Sie waren im Bundesarbeitsministerium zu Zeiten | |
der Ampelregierung für das Rentenpaket 2 zuständig. Dieses sollte das | |
aktuelle Rentenniveau sichern, scheiterte aber am Widerstand der FDP. | |
Kernfrage: Kann es überhaupt eine generationengerechte Rente geben? | |
Rolf Schmachtenberg: Ja. Und zwar dann, wenn in dieser Gesellschaft eine | |
Verständigung darüber erreicht wird, wie hoch überhaupt eine angemessene | |
Altersvorsorge aussehen soll, heute und in Zukunft. Altersvorsorge muss | |
auskömmlich, also bedarfsgerecht sein, sollte die Volkswirtschaft nicht | |
überfordern und sie sollte generationengerecht sein. Das heißt, wer heute | |
mit seinen Beiträgen Renten auf einem bestimmten Niveau finanziert, sollte | |
später selbst Renten zu dem gleichen Niveau bekommen. | |
taz: Das Umlageverfahren wird aber zum Problem, wenn es immer mehr Alte | |
gibt. Heute sind 23 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt, im Jahre | |
2070 werden es fast 30 Prozent sein. Wenn eine heute 35-Jährige 70 Jahre | |
alt ist, gibt es noch weniger Leute im Erwerbsalter, die ihre Rente | |
bezahlen. Wie kann man dieses Problem lösen? | |
Schmachtenberg: Die gesetzliche Rente ist eine verteilungspolitische Frage. | |
Die enge Anbindung der Finanzierung der Rente an die Löhne steht weder im | |
Grundgesetz noch wird das von Gott entschieden, sondern es ist veränderbar. | |
Es geht letztlich um eine Umlage aus einem volkswirtschaftlichen | |
Gesamtprodukt, die übrigens gar nicht so hoch ist. | |
taz: Es heißt aber doch immer, die Renten belasten die Volkswirtschaft | |
zunehmend. | |
Schmachtenberg: Die gesetzliche Rente macht in Deutschland schon seit 50 | |
Jahren ziemlich genau einen Anteil von neun bis zehn Prozent des | |
Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus, dieser Anteil ist im internationalen | |
Vergleich nicht besonders üppig. Ich kann mir nicht vorstellen, warum es | |
nicht möglich sein sollte, auch in den Jahren 2060 oder 2070 elf oder | |
vielleicht auch zwölf Prozent des BIP den Älteren aus dem laufenden | |
volkswirtschaftlichen Einkommen zur Verfügung zu stellen. Einen künftig | |
etwas höheren Anteil halte ich für gerechtfertigt, weil die Älteren dann | |
auch einen höheren Anteil an der Bevölkerung ausmachen werden. | |
taz: Wer soll das dann bezahlen? | |
Schmachtenberg: Derzeit wird die Rente zu einem Drittel aus den Beiträgen | |
der Arbeitnehmer bezahlt, zu einem Drittel aus den Beiträgen der | |
Arbeitgeber und zu einem Drittel aus Mitteln des Bundeshaushaltes, also aus | |
Steuermitteln. Man könnte in Zukunft den Steueranteil erhöhen, etwa auf 40 | |
Prozent. Denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die | |
Erwerbstätigen ein ausreichendes Einkommen im Alter und bei | |
Erwerbsminderung zu gewährleisten. | |
taz: Woher sollen die Steuergelder kommen? | |
Schmachtenberg: Renten mehr aus Steuern zu bezahlen, sorgt heute schon für | |
etwas mehr Verteilungsgerechtigkeit. Denn die zehn Prozent der | |
einkommensreichsten Haushalte tragen 55 Prozent der Einkommenssteuer. | |
Beispielsweise finanzieren so Beamte und vermögende Rentnerhaushalte mit | |
ihren Steuern heute schon die Rente mit. Und wenn in Zukunft aufgrund der | |
demografischen Entwicklung womöglich der Anteil der Lohnsumme an dem, was | |
jährlich erwirtschaftet wird, fallen wird, dann ist es notwendig und | |
machbar, den Finanzierungsmix anzupassen, um aus der laufenden | |
Volkswirtschaft die Altersversorgung leisten zu können. | |
taz: Welche Steuern könnten denn erhöht werden? | |
Schmachtenberg: Es bietet sich an, die Lasten zu verteilen. Stefan Bach, | |
Volkswirt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hat | |
Rechnungen vorgelegt für Steuermehreinnahmen. Diese bestehen aus etwas | |
höheren Einkommenssteuern, einer jährlichen Vermögensabgabe für sehr Reiche | |
mit Vermögen von über 25 Millionen Euro, Anhebungen bei der | |
Erbschaftssteuer sowie einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Er kommt auf | |
Mehreinnahmen von 74 Milliarden Euro im Jahr. Wenn man diese Mittel der | |
Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung als zusätzliche Zuschüsse zur | |
Verfügung stellt, kann der Beitragssatz für die gesamten | |
Sozialversicherungen um vier bis fünf Punkte fallen. | |
taz: Bei einer Vermögensbesteuerung protestieren sofort die | |
Familienunternehmer:innen. Und eine höhere Einkommenssteuer zahlen dann | |
doch wieder nur die erwerbstätigen Jüngeren. | |
Schmachtenberg: Ein Prozent Vermögenssteuer auf einen Betrieb, der im Jahr | |
vier oder fünf Prozent Gewinn abwirft, das wäre bei einem Vermögen oberhalb | |
von 25 Millionen Euro verkraftbar. Die von Herrn Bach vorgeschlagenen | |
höheren Einkommenssteuern betreffen nicht die arbeitende Mitte. Sie würde | |
im Übrigen bei meinem Vorschlag durch die Absenkung der Beiträge entlastet. | |
Es gibt viele Rentner mit großen Vermögen, die erzielen Einkommen. Selbst | |
im reichsten Zehntel der Einkommensbezieher finden sich viele Haushalte, | |
die eine Rente beziehen. Sie haben hohe Einkommen aus Vermögen, aus | |
Vermietungen zum Beispiel, die kann man durchaus etwas höher besteuern. | |
Dies wäre ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit innerhalb der Generationen. | |
taz: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Wirtschaft schlägt zur | |
Stabilisierung der Renten eine Anhebung des Renteneintrittsalters in der | |
Zukunft vor oder eine Erhöhung der Renten nur noch nach der | |
Preissteigerung. Wäre das generationengerechter? | |
Schmachtenberg: Nein. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters in der | |
Zukunft betrifft vor allem die heute Jüngeren, die dann erst später in | |
Rente gehen könnten. Und wenn die Renten langsamer steigen, also das | |
Rentenniveau sinkt, merken das später vor allem die heute Jüngeren. | |
taz: Menschen mit niedrigen Einkommen haben eher verschleißende Jobs, | |
bekommen weniger Rente und beziehen diese auch noch kürzer, weil sie eine | |
niedrigere Lebenserwartung haben als Wohlhabende. Der Sachverständigenrat | |
schlägt vor, künftig hohe Renten langsamer steigen zu lassen als niedrige, | |
um einen Ausgleich zu schaffen. Wäre das angebracht? | |
Schmachtenberg: Nein, denn aus der Rentenhöhe kann ich nicht auf das | |
Einkommen eines Haushaltes schließen. So gilt für Paarhaushalte mit | |
Rentenbezug, dass die Haushalte mit den höchsten Einkommen in der Regel | |
Renten unterhalb von 1.000 Euro beziehen. Das kann beispielsweise jemand | |
sein, der durch jahrzehntelange Teilzeittätigkeit neben anderen Einkünften | |
als Selbstständiger oder Beamter einen relativ geringen Rentenanspruch | |
erworben hat. Eine Aufstockung seiner Rente wäre nicht gerechtfertigt. Um | |
das Einkommen von Rentnern, die trotz langjähriger Beitragszahlung eine | |
niedrige Rente und ein niedriges Einkommen haben, zu verbessern, wäre ich | |
dafür, die sogenannte Grundrente, die es schon gibt, zu erweitern, also | |
Vorbeschäftigungszeiten, Einkommensgrenzen, Berechnungsgrößen zu verändern. | |
taz: Eine klassische Forderung ist, die Beamten in die gesetzliche Rente | |
einzubeziehen. | |
Schmachtenberg: Das kann man machen, aber man kann damit kein Geld | |
verdienen. Außer, man beschneidet die Leistungen in der Altersversorgung | |
der Beamten. Dann würde der öffentliche Dienst Schwierigkeiten bekommen, | |
Fachkräfte zu gewinnen. | |
taz: Sie haben sich im Ministerium lange mit Rentenkonzepten beschäftigt. | |
Gibt es da eigentlich so eine Überlegung in der Politik: Hey, diesen | |
Vorschlag können wir nicht machen, da steigen uns Millionen | |
Rentner:innen aufs Dach? Es wird von Jüngeren oft behauptet, allein die | |
Wählermacht der Alten verunmögliche jede Rentenreform. | |
Schmachtenberg: Diese Behauptung höre ich im Wesentlichen von | |
Volkswirtschaftlern, die mit dem Wort „Rentenreformen“ Rentenkürzungen | |
bezeichnen. Sie fordern die Politik regelmäßig zu „mutigen Reformen“ auf | |
und suchen nach einer Erklärung, warum keine der im Bundestag vertretenen | |
Parteien ihre Vorschläge aufgreift. Doch die Kürzungsvorschläge | |
beispielsweise des Sachverständigenrates sind ja ganz überwiegend gerade | |
gegen die Jungen gerichtet, weil sie in die Zukunft hineinwirken. Sie | |
sollen länger arbeiten und niedrigere Renten bekommen. | |
Eine Kürzung bei den gesetzlichen Renten würde bedeuten, dass die Menschen | |
mehr privat über den Kapitalmarkt vorsorgen müssen. So will es auch der | |
Sachverständigenrat. Das würde Ungleichheiten weiter verstärken und das | |
Nettoeinkommen der Jüngeren absenken. Denn sie sollen mehr Mittel in die | |
Kapitalanlagen stecken, als sie aufgrund der Rentenkürzungen bei den | |
Beiträgen entlastet werden würden. | |
14 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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