| # taz.de -- Prekäre Beschäftigung in Deutschland: Mehr als nur Putzeimer schl… | |
| > Fast ein Viertel aller Jobs erledigen Menschen ohne formale | |
| > Qualifizierung. Eine Studie zeigt, wie verbreitet die Ausbeutung unter | |
| > den Betroffenen ist. | |
| Bild: In Deutschland weit verbreitet: sogenannte Einfachjobber | |
| Berlin taz | Güven Ciftici macht sich keine Illusionen: „Die meisten Leute | |
| denken, wir kommen hierher, haben Wasser im Eimer und damit ist die Sache | |
| erledigt“. Aber so sei es nicht, sagt der angelernte Gebäudereiniger aus | |
| Berlin und schiebt die schwere Wischmaschine über den Boden eines | |
| Bürogebäudes. | |
| „Manche Verschmutzungen kriegst du mit Wasser nicht weg. In der Maschine | |
| benutze ich Chemie. Es gibt Fußabdrücke, Stark-Verschmutzungen. Kaugummi | |
| kratze ich weg. Aber man kann nicht einfach Chemie auf die Untergründe | |
| draufschmieren, da kann man eine Menge falsch machen“, erklärt Ciftici. | |
| Er gehört zu den sogenannten „Basisarbeiter:innen“, die einen Job machen, | |
| zu dem man keine formale Berufsausbildung mit Abschluss braucht. Je nach | |
| Definition und Datengrundlage machen die un- und angelernten Tätigkeiten | |
| einen Anteil von 16 bis 23 Prozent an allen Beschäftigungsverhältnissen | |
| aus, heißt es in der [1][Studie mit dem Titel „Die Unverzichtbaren: | |
| Menschen in Basisarbeit“] des Progressiven Zentrums, die am Donnerstag in | |
| Berlin vorgestellt wurde. | |
| Zur Studie, die eine Meinungsumfrage und Interviews auswertet, gehört auch | |
| ein Dokumentarfilm, in dem Ciftici auftritt. Das Projekt des Vereins | |
| „Progressives Zentrum“, der sich als „Thinktank“ bezeichnet, wird vom | |
| Bundesarbeitsministerium gefördert. | |
| ## Kampf gegen Klischees | |
| Die Macher der Studie wollen dem Eindruck entgegenwirken, dass es sich bei | |
| der „Basisarbeit“ um minderwertige, „niedrigqualizierte“ Arbeit handelt. | |
| „Die Basisarbeit ist ein sehr heterogenes Feld“, sagt Studienautorin | |
| Johanna Siebert der taz. Das Spektrum reicht von tariflich bezahlter | |
| Fließbandarbeit in Großunternehmen mit Betriebsrat und Gesundheitsschutz | |
| bis hin zur Ausbeutung in der Dienstleistung, die von Notlagen profitiert. | |
| Die Ambivalenz aus Chancen und Ausbeutung zeigt sich beim | |
| Logistikunternehmen Amazon. Dort arbeiteten zu mehr als 95 Prozent | |
| Ausländer, sagt Hedi Tounsi, 33, Betriebsrat und Lagerarbeiter im | |
| Amazon-Logistikzentrum in Winsen an der Luhe, im Gespräch mit der taz. Auch | |
| er selbst, der vor acht Jahren als Flüchtling aus Tunesien nach Deutschland | |
| kam, konnte damals bei Amazon im Lager anfangen, weil seine mangelnden | |
| Deutschkenntnisse nicht ins Gewicht fielen. „Die Leute hier sprechen | |
| Arabisch, Englisch, Spanisch“, sagt er. In den PCs im Betrieb könne man | |
| sogar „seine“ Sprache einstellen und dann in der Heimatsprache die Arbeit | |
| abwickeln. | |
| Amazon kann sich so immer auf einen Nachschub an neuen Mitarbeitern | |
| verlassen, denn die Nachfrage nach Jobs, die keine guten Deutschkenntnisse | |
| erfordern, ist gerade bei Geflüchteten groß. „Die Leute bleiben, auch wenn | |
| sie sagen, die Arbeit ist sehr hart“, sagt Tounsi. In manchen Fällen sei | |
| der Aufenthaltsstatus davon abhängig, dass sie ihren Job behalten, erklärt | |
| der Betriebsrat. Dabei ist der Zeitdruck bei Amazon ebenso berüchtigt wie | |
| die bedrohlichen Mitarbeitergespräche mit Kranken und die schweren | |
| Metallwände auf den Klos, damit die Leute dort nicht zur Entspannung mit | |
| Handyempfang surfen können. Tounsi, der für einen Tarifvertrag bei Amazon | |
| kämpft, ist Pate des Projekts über die „Basisarbeit“. | |
| Aus den Befragungen und dem Dokumentarfilm geht aber auch hervor, dass sich | |
| viele der Basisarbeiter:innen keineswegs als Opfer sehen und sehen | |
| wollen. Für Ciftici war das Jobangebot in der Reinigungsfirma eine Chance, | |
| da er eine kleine Vorstrafe hatte. Sein Chef sei zufrieden mit ihm, sagt | |
| er. Er kann sich vorstellen, dort „bis zur Rente“ zu bleiben. | |
| ## Arbeit als Chance | |
| Und für die ebenfalls im Film porträtierte Cynthia Würpel ist ihr Job ein | |
| Einstieg in die Pflegebranche, der ihr gefällt. „Ich liebe meine Arbeit“, | |
| sagt Würpel, 34, im Gespräch mit der taz. Als ambulante Pflegehilfskraft | |
| versorgt sie die Bewohner:innen in einer Anlage für „Betreutes Wohnen“ | |
| in Magdeburg. 28 Klient:innen sind es pro Schicht, die sie nach und nach | |
| in ihren Appartements aufsucht, denen sie die Kompressionsstrümpfe aus- und | |
| anzieht, Insulin spritzt, die Mahlzeiten vorbereitet, beim Duschen hilft. | |
| „Wir werden so als Arsch-Abwischer gesehen“, sagt sie, „aber das stimmt | |
| nicht. Es ist keine Arbeit, die jeder machen kann. Man muss Lust auf | |
| Menschen haben“. Im September beginnt sie eine Ausbildung zur | |
| Pflegefachkraft. | |
| In der Dokumentation erlebt man Würpels professionelle Freundlichkeit. Wenn | |
| sie sich nach kurzer Zeit wieder verabschiedet, sagt sie etwa: „frühstücke | |
| für mich mit“ oder „wir sehen uns, weil es so schön war, am Mittag | |
| nochmal“, zumindest aber „bis morgen, Du Schöne“. „Viele der Menschen … | |
| kaum noch Angehörige, für die sind wir das Highlight am Tag“, schildert | |
| sie. | |
| Allerdings: „Es kommt auf die Details der Belastung in der Arbeit an, da | |
| gibt es große Unterschiede“, sagt Studienautorin Siebert. Würpel zum | |
| Beispiel arbeitet nicht im Heim, sie muss nicht ständig Patient:innen | |
| heben oder wie am Fließband waschen und keine Nachtschichten machen. Und | |
| sie habe eine solidarische Chefin, die auch selbst mal einspringe, wenn | |
| jemand krank werde, erzählt Würpel. | |
| Auch wenn die Basisarbeit laut Studie überdurchschnittlich viel | |
| körperlichen Einsatz erfordert, gibt dies manchem der Beschäftigten | |
| Lebensfreude. In der Studie erklärten Befragte, sie schätzten an der | |
| Arbeit, dass sie sich „körperlich bewegen“ könnten und in „Kontakt mit | |
| Menschen kämen“. | |
| ## Verunsicherung spürbar | |
| Aber die Unsicherheiten sind groß: Immerhin 16 Prozent der Un- und | |
| Angelernten fürchteten laut Studie, dass sie im Krankheitsfall keinen Lohn | |
| bekommen, bei den Qualifizierten waren das nur vier Prozent. Die | |
| Arbeitsbedingungen unterscheiden sich laut Studie unter anderem auch in | |
| Firmen mit und ohne Betriebsrat und mit und ohne Tarifvertrag. | |
| Die Arbeitsbedingungen stehen auch in Zusammenhang mit der politischen | |
| Perspektive, wie sich in den Befragungen zeigt. Je unsicherer und weniger | |
| selbstbestimmt sich die Beschäftigten fühlten, desto schwächer sei ihr | |
| Vertrauen in die Demokratie, erklärt Studienautorin Siebert. Dieser Befund | |
| sei „problematisch, weil Basisarbeiter:innen sowohl gesellschaftlich | |
| als auch wirtschaftlich und politisch unverzichtbar sind“. | |
| 12 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.progressives-zentrum.org/wp-content/uploads/2025/06/Die_Unverzi… | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| prekäre Beschäftigung | |
| Arbeit | |
| Amazon | |
| Gebäudereinigungsbranche | |
| Pflege | |
| Social-Auswahl | |
| Rente | |
| Ausbeutung | |
| Tarifverhandlungen | |
| Schwerpunkt Zeitungskrise | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rolf Schmachtenberg über Altersvorsorge: „Rentenkürzungen betreffen überwi… | |
| Rolf Schmachtenberg, Mastermind des gescheiterten Rentenpakets 2 der | |
| Ampelkoalition, über die künftigen Chancen für eine „generationengerechte�… | |
| Rente. | |
| Ausbeutung in der Saisonarbeit: Sind alle gleich vor dem Gesetz? | |
| Seit drei Jahren kämpft Levani Idadze um den Lohn für seine Arbeit auf | |
| deutschen Erdbeerfeldern. Er zog dafür vor Gericht – und hofft nun auf | |
| Gerechtigkeit. | |
| Löhne von Reinigungskräften: Unsichtbar und mies bezahlt | |
| Auch die zweite Runde der Tarifverhandlungen für | |
| Gebäudereiniger*innen blieb ohne Einigung. Die meist weiblichen und | |
| migrantischen Putzkräfte arbeiten prekär. | |
| Streik bei DuMont: Gegen prekäre Arbeitsbedingungen | |
| Das Image des altehrwürdigen Verlagshauses DuMont bröckelt. Das liegt vor | |
| allem an seinem Umgang mit den Mitarbeitenden. |