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# taz.de -- FAQ zu maroden Brücken: Abreißen und neu bauen? Oder gibt es eine…
> Deutschlands Infrastruktur altert, und besonders die Brücken sind
> betroffen: etwa 50.000 gelten als marode. Das könnte jedoch auch ganz
> anders sein.
Bild: Ein Bagger frisst sich durch die Berliner Westendbrücke. Für den Neubau…
Mitte März entdeckten Ingenieure bei einer Routinekontrolle, dass sich ein
Riss an der Westendbrücke der Berliner Stadtautobahn A 100 massiv
ausgeweitet hat. Sie entnahmen Bohrproben und stellten fest: akute
Einsturzgefahr. [1][Das Bauwerk darf nicht mehr befahren werden, Abriss und
Neubau sind unvermeidbar.] Da unter der Brücke die Schienen der Ringbahn
verlaufen, musste auch der S-Bahn-Verkehr unterbrochen werden. Für Berlin
ein infrastruktureller Schwerbelastungstest. Die Westendbrücke im Stadtteil
Charlottenburg gehört mit 90.000 Fahrzeugen pro Tag zu den meistbefahrenen
Strecken Deutschlands. Die üblicherweise eng getaktete Ringbahn befördert
täglich 80.000 Menschen.
Mal wieder Verkehrschaos in Berlin. Warum sollte mich das interessieren?
Die Westendbrücke steht exemplarisch für die marode Brückeninfrastruktur
Deutschlands. Eine kürzlich von der verkehrspolitischen Denkfabrik
Transport and Environment veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass
für bis zu 36 Prozent der Brückenfläche im deutschen Fernstraßennetz ein
Abriss unumgänglich sei. Bei den kommunalen Brücken schätzen die
Studienautor:innen den Sanierungsbedarf ähnlich hoch ein.
Warum sind so viele Brücken in einem derart schlechten Zustand?
„Die Brücken, die heute kaputtgehen, kommen alle aus derselben Zeit“, sagt
Benedikt Heyl von Transport and Environment. Zwischen den 1960er und 1980er
Jahren kam es zu einer Hoch-Zeit des Autobahn- und Brückenbaus. Nun, 50 bis
70 Jahre später, sind viele Bauwerke am Ende ihrer Lebensdauer angelangt –
schon, denn die planmäßige Nutzungsdauer moderner Brückenbauten beträgt
eigentlich 100 Jahre.
Doch die damaligen Ingenieur:innen konnten die Menge an Autos und
Schwerlastverkehr, die heute über die Brücken Deutschlands rollt, nicht
absehen. Bei derart hohen Verkehrsbelastungen, wie sie heute üblich sind,
entstünden schnell „Probleme mit den sogenannten Ermüdungsbeanspruchungen�…
erklärt Steffen Marx, Brückenexperte von der TU Dresden. Die in den Brücken
verbauten Stahlseile seien wie Büroklammern: „Wenn sie zwanzig Mal
umbiegen, dann brechen sie.“
Bei Brücken seien es eben nicht nur zwanzig, sondern viele Millionen Mal.
Jede Überfahrt verursacht Schwingungen, biegt sie ein kleines bisschen.
Entscheidend dabei ist, wie stark die Schwingungen sind. „Nur 10 Prozent
Lasterhöhung gegenüber einem bestimmten Grenzmaß kann die Lebenserwartung
von Brücken von hundert Jahren auf eines verkürzen“, sagt Marx. Dazu kommt
ein weiteres Problem: Die meisten Brücken wurden jahrzehntelang kaum
gewartet.
Weshalb wurden denn viele Brücken kaum gewartet?
Schuld sei eine Verkehrspolitik, [2][die zu sehr auf Neubau und zu wenig
auf Instandhaltung setzt], erklärt Steffen Marx. „Die Strategie heißt:
Verschleißen lassen, bis die Brücke kaputt ist.“ Bei modernen Bauten
handele es sich fast immer um Spannstahlkonstruktionen. Dabei werden die
Stahlseile im Beton verspannt, wodurch deutlich höhere Abstände zwischen
den Pfeilern möglich sind.
Bei einer intakten Brücke sind die Stahlseile vollständig von Beton
ummantelt. Bildet dieser aber Risse, können die Stahlseile anfangen zu
rosten und verlieren Stabilität – die Brücke ist einsturzgefährdet. „Da
reicht eine kaputte Abdichtung, durch die Feuchtigkeit in den Beton
eintritt“, sagt Marx.
Dichtungen ausbessern oder Risse schließen, also frühzeitige
Reparaturmaßnahmen, die verhindern, dass Feuchtigkeit eintritt, könnten die
Lebensdauer der Bauwerke deutlich verlängern. Doch würden diese selten
durchgeführt, sagt Marx. Zwar werden die Brücken regelmäßig durch
Ingenieur:innen inspiziert, Maßnahmen jedoch meistens erst dann
ergriffen, wenn ihr Abriss unausweichlich ist.
Nun gibt es ja bald [3][die vielen Milliarden aus dem Sondervermögen
Infrastruktur der Bundesregierung]. Lassen sich damit nicht einfach alle
maroden Brücken abreißen und neu bauen – und das Problem ist gelöst?
Verschleiß bis zum Abriss ist die teuerste und unsicherste Art, mit
Bauwerken umzugehen. Während mögliche Risse im Beton bei Inspektionen
schnell erkannt werden können, bleiben Ermüdungserscheinungen des Stahls
oft unentdeckt. Die Prüfer:innen untersuchen die Brücken in der Regel
nur optisch. Ob die Stahlseile im Innern des Betons rissig sind, können sie
so nicht feststellen.
Welche Gefahr diese Ungewissheit bedeutet, zeigte der Einsturz der Dresdner
Carolabrücke im September des vergangenen Jahres. [4][Völlig unerwartet
und im laufenden Betrieb stürzte das 375 Meter lange Bauwerk ein]. Nur
durch Glück kam niemand zu Schaden.
Der Ersatzneubau einer Autobahnbrücke ist zudem aufwendig und langwierig.
Bei der Berliner Westendbrücke wird es noch mindestens zwei Jahre dauern,
bis Autofahrer:innen sie wieder nutzen können. Dabei setzten der Bund,
Berlin und die Autobahn GmbH schon alle Hebel in Bewegung, um die auf vier
Jahre angedachte Bauzeit zu reduzieren. Die 2022 angepeilten Kosten von 45
Millionen Euro dürften sich heute deutlich erhöht haben. Für sämtliche
bundesweit sanierungsbedürftigen Brücken beläuft sich der
Investitionsbedarf auf über 100 Milliarden Euro.
Die etwa 50.000 maroden Brücken in Deutschland abzureißen und neuzubauen
wäre zudem auch für das Klima ein großes Problem. Die Hunderttausende
Tonnen Beton und Stahl, die in den alten Bauwerken verbaut sind, müssten
für Neubauten wieder produziert werden. Besonders bei der Zementproduktion
werden aber große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt. Insgesamt ist die
Bau- und Rohstoffindustrie in Deutschland für 10 Prozent der CO₂-Emissionen
verantwortlich. Die Klimaziele des Pariser Abkommens einzuhalten,
erfordert, so wenig wie möglich neu zu bauen.
Wie könnte ein zukunftstauglicher Umgang mit Brücken und öffentlicher
Infrastruktur aussehen?
Für den Brückenexperten Steffen Marx liegt der Schlüssel einer nachhaltigen
Infrastrukturpolitik darin, die Lebensdauer der Bauwerke so weit wie
möglich auszudehnen. Wie das möglich sein könnte, untersuchen Forschende
der TU Dresden gerade in Bautzen. Auf dem Firmengelände der Hentschke Bau
GmbH haben sie eine 45 Meter lange Forschungsbrücke errichtet, die in ihrer
Bauweise modernen Autobahnbrücken gleicht.
Über die Brücke fährt ein Schwerlastcontainer auf Schienen, der die
Verkehrsbelastung simulieren soll. Unter der Brücke sind rund 200 Sensoren
installiert. Sie sammeln rund um die Uhr Daten über den Zustand des
Bauwerks: Dehnt der Beton sich aus, wird er rissig, feucht oder reißen die
Stahlseile? Verarbeitet durch KI, sollen Schäden so frühzeitig erkannt
werden. Dann könnte kostengünstig gegengesteuert werden, bevor ein Abriss
unumgänglich ist. „Das sind ganz wichtige Zukunftstechnologien“, sagt Marx.
„Wir könnten uns damit viele unnütze Baumaßnahmen ersparen.“
Und wenn doch hier und da neu gebaut werden müsste?
Umweltverbände und Mobilitätsexperten fordern angesichts des hohen
Sanierungsbedarfs sämtliche Neubau- und Erweiterungsprojekte von Autobahnen
einzustellen. Bei den unvermeidbaren Ersatzneubauten sollten
Planer:innen den Ressourceneinsatz optimieren. Der Thinktank Transport
and Environment empfiehlt in seiner Studie zudem, in Ausschreibungen neuer
Bauprojekte eine verbindliche Quote für den Einsatz CO₂-frei produzierten
grünen Stahls und Zements festzuschreiben.
Kann die marode Brückeninfrastruktur auch eine Chance sein, vom bislang
dominierenden Autoverkehr in Deutschland wegzukommen?
Ja. [5][Befahrbare Verkehrswege führen zwar kurzfristig zu weniger Stau,
langfristig vor allem aber zu mehr Verkehr.] Diese grundlegende Erkenntnis
nennen Verkehrsforscher:innen „induzierten Verkehr“. Weniger
automobile Infrastruktur zu bauen und mehr in Schiene und ÖPNV zu
investieren ist im Umkehrschluss der effektivste Weg, die Verkehrsmengen
auf der Straße zu verringern.
Das offenbart auch das Beispiel der Berliner Westendbrücke. Die Brücke
gehört mit 90.000 Fahrzeugen pro Tag zu den meistbefahrenen Strecken
Deutschlands. Zum befürchteten „Verkehrskollaps“ in den umliegenden Kiezen
durch die Sperrung der A 100 und der Ringbahn kam es dort nicht.
Stattdessen „verpuffte“ ein Großteil des Verkehrs nach einer Weile: Stellen
Autofahrer:innen fest, dass es auf einer gewohnten Route wegen
Sperrung oder Stau nicht mehr flüssig läuft, suchen sie Alternativen. Sie
fahren nicht nur Umwege, sondern steigen auch auf andere Verkehrsträger um
oder verzichten vollends auf den Weg. [6][In Berlin fordern Grüne wie auch
der BUND deshalb, die Westendbrücke mit weniger Fahrspuren als zuvor neu
aufzubauen.]
Berücksichtigt die Bundesregierung diese Erkenntnisse denn schon in ihrer
Verkehrsplanung?
Bislang nicht. Der Bundesverkehrswegeplan orientiert sich immer noch an
prognostizierten Verkehrsmengen. Diese steigen durch den Zubau neuer
Autobahnen, sodass aus dem Planungsinstrument eine selbsterfüllende
Prophezeiung wird. Bis 2030 sollen noch 180 Milliarden Euro in den Neubau
von Fernstraßen und Brücken fließen.
Mit Lebensdauern von 50 bis 100 Jahren zementieren diese nicht mehr
zeitgemäße verkehrspolitische Vorstellungen weit in die Zukunft hinein.
Gabriel Kapfinger, Verkehrsexperte vom BUND, mahnt deshalb: Die
entscheidende Frage, welche Verkehrsinfrastruktur mit dem Schutz von Klima
und Natur vereinbar ist und wie wir als Gesellschaft mobil sein wollen,
müsse politisch verhandelt werden.
22 May 2025
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## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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