# taz.de -- Marode Autobahn in Berlin: Eine Spur weniger reicht doch auch | |
> Bis Ende April soll die Ringbahnbrücke der A100 abgerissen sein. Das | |
> große Chaos blieb aus, BUND und Verkehrsforscher fordern jetzt ein | |
> Downsizing. | |
Bild: Rollt doch: Notbetrieb auf der A100 am Dreieck Funkturm | |
Berlin taz | „When life gives you lemons, make lemonade“ – nach diesem | |
Motto handelt ganz offensichtlich die Autobahn GmbH des Bundes: Sie streamt | |
den [1][Abbruch der maroden Ringbahnbrücke der Autobahn A100 per Webcam] | |
und macht so gleich noch ein bisschen Werbung in eigener Sache. „Die | |
Autobahn GmbH reagiert damit unmittelbar auf das starke öffentliche | |
Interesse am aktuellen Baugeschehen“, heißt es in einer Mitteilung von | |
Freitagnachmittag. „Ziel ist es, die Arbeiten für alle Bürgerinnen und | |
Bürger jederzeit nachvollziehbar zu machen und eine offene, direkte | |
Informationsquelle zu schaffen.“ | |
Wie aussagekräftig die Bilder für Laien sein werden, sei dahingestellt. | |
Immerhin die Frage „Steht sie noch oder ist sie weg?“ dürfte sich nach | |
einem Blick in den Livestream ohne Weiteres beantworten lassen. Allzu viel | |
Zeit ist dafür gar nicht, wenn alles nach Plan läuft: Nach einem erneuten | |
„Spitzengespräch“, zu dem Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) und | |
Staatssekretärin Susanne Henckel vom Bundesverkehrsministerium eingeladen | |
hatten, teilte die Senatsverwaltung ebenfalls am Freitag mit, dass die | |
Abrissarbeiten in der kommenden Woche beginnen und schon am 25. April | |
abgeschlossen werden sollen. | |
Zu Boden gebracht wird nicht nur die Ringbahnbrücke, mit der die A100, von | |
Südosten kommend, über die Ringbahn verschwenkt wird. Auch die | |
Westendbrücke, die die Autobahn einen Kilometer weiter nördlich wieder über | |
die Gleise an die Seite der Gegenfahrbahn zurückführt, wird abgetragen. Für | |
beide Brücken aus den 1960er-Jahren lief ohnehin schon die Planung von | |
Ersatzbauwerken – diese wurde jetzt durch die Ausdehnung eines Risses in | |
der Ringbahnbrücke unverhofft akut. | |
Um Schäden an der Ringbahntrasse zu vermeiden, auf der der S-Bahn-Verkehr | |
aktuell zwischen Halensee und Westend ruht, sollen die Gleise mit einem | |
„Fallbett“ aus Kies bedeckt werden. Dessen Entfernung wird im Anschluss an | |
den Abriss noch ein paar Tage in Anspruch nehmen. „Nach derzeitigem Stand“, | |
so die Verkehrsverwaltung, könne der S-Bahn-Verkehr aber schon am 28. April | |
wiederaufgenommen werden. | |
## Verkehrsapokalypse blieb aus | |
Währenddessen entspinnt sich gerade eine verkehrswissenschaftliche und | |
-politische Debatte über die Effekte von Engpässen wie aktuell rund um die | |
A100. Hatten anfangs viele [2][– wenn auch nicht alle –] BeobachterInnen | |
geradezu apokalyptische Zustände mit Dauerstaus und Gefahrenlagen | |
heraufziehen sehen, sieht es aktuell so aus, als hätte sich das Problem im | |
Alltagstest weitgehend verflüchtigt. Obwohl der Pkw-Verkehr in Richtung | |
Norden sich nun mit einer Notspur auf die Gegenfahrbahn zwängt und schwere | |
Lkws Umwege über angrenzende Straßen nehmen müssen, könne man aktuell keine | |
akute Stau-Belastung erkennen, so die Senatsverwaltung. | |
Der Berliner BUND zieht daraus das Fazit: „Fällt eine stark genutzte | |
Straßenverbindung plötzlich weg oder reduziert sich die Kapazität deutlich, | |
verdunstet nach einer Eingewöhnungszeit der Autoverkehr wie von | |
Zauberhand.“ Zwar habe sich im umgebenden Straßennetz die Verkehrsbelastung | |
deutlich erhöht, unterm Strich aber habe sich der Auto- und Lkw-Verkehr „in | |
erheblichen Größenordnungen reduziert“. | |
Für Landesgeschäftsführerin Gabi Jung ein anschaulicher Beleg dafür, was | |
die Verkehrswissenschaft seit Jahrzehnten wisse: „Autoverkehr ist keine | |
Naturgewalt, sondern wird maßgeblich von der ihm zur Verfügung stehenden | |
Infrastruktur stimuliert.“ Jetzt müssten daraus die richtigen Schlüsse | |
gezogen werden. „Aus unserer Sicht darf der anstehende Neubau der | |
Ringbahnbrücke sowie des gesamten Autobahndreiecks Funkturm nicht in der | |
bisherigen Dimension erfolgen“, so Jung. „Mindestens eine Fahrspur pro | |
Richtung muss künftig wegfallen.“ Das gelte perspektivisch für die gesamte | |
A100 und die Avus (A115). | |
Auch Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) | |
sieht diese Zusammenhänge. „Der Personenverkehr ist viel flexibler, viel | |
elastischer, als wir immer annehmen“, sagt er zur taz. Viele Autofahrende | |
könnten sich auf die veränderte Situation einstellen, nutzten andere | |
Strecken oder verzichteten völlig auf Fahrten. Das gelte allerdings nicht | |
für den Lkw-Verkehr: „Da sehen wir weiterhin noch eine Belastung der | |
Umgebung.“ [3][Dass es auch die S-Bahn-NutzerInnen getroffen habe], sei | |
besonders bedauerlich. | |
## „Die Peaks gibt es so nicht mehr“ | |
Überhaupt, so Knie, nehme der Autoverkehr gerade seit der Pandemie ab, in | |
der viele die Möglichkeit des Arbeitens von zu Hause für sich entdeckt | |
hätten. Ebenso trügen Navigationsapps zur Entspannung des Verkehrs bei, die | |
nicht nur bei Staus weiträumige Umfahrungen vorschlügen, sondern mit denen | |
Fahrten auch je nach Verkehrslage vorausschauend geplant werden könnten. | |
„Die Peaks wie früher haben wir mittlerweile gar nicht mehr“, sagt der | |
Wissenschaftler. | |
Auch er glaubt, dass es an der Zeit sein, die Infrastruktur für den | |
motorisierten Individualverkehr „bedarfsgerechter zu machen – also | |
weniger“. Er fordert, dass nach der Rückstufung der A104 zu einem Zubringer | |
der A100 und dem geplanten Abriss der Autobahnbrücke über den | |
Breitenbachplatz („Die Leute dort bereiten schon die Party vor“) die A103 | |
vom Kreuz Schöneberg zum Steglitzer Kreisel als nächstes auf die | |
Streichliste kommen sollte. „Das brächte eine völlig neue Qualität von | |
Stadt.“ | |
4 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/live/_IavCsnv6_o | |
[2] /Kaputte-Stadtautobahn-in-Berlin/!6077945 | |
[3] /Verkehrschaos-in-Berlin/!6079587 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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