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# taz.de -- Gewalt im Amateurfußball: Mit Lotsen gegen Diskriminierungen
> Schmähgesänge, Beleidigungen, tätliche Angriffe: Niedersachsens
> Fußballverband setzt auf Konfliktlots*innen, die vermitteln, wenn es
> eskaliert.
Bild: Konfliktfeld: So manches Fußballspiel endet mit Gewalt und Diskriminieru…
Bremen taz | Respekt, Fairness, Zusammenhalt – das sind Werte, die der
Fußball für sich beansprucht. Die Realität auf Plätzen, gerade im Amateur-
und Jugendbereich, sieht manchmal anders aus. Um Eskalationen aufzuarbeiten
und im besten Fall auch zu verhindern, sind im Niedersächsischen
Fußballverband (NFV) seit 2021 Konfliktlots*innen unterwegs.
Zwar haben die Vorfälle auf Fußballplätzen seit 2018 nicht sonderlich
zugenommen. In der Saison 2023/24 gab es bei 173.633 Spielen in
Niedersachsen 360 [1][Gewaltvorfälle], 242 Diskriminierungsvorfälle und 90
Spiele mussten abgebrochen werden. Aber: „Gewalt nimmt überall und daher
auch im Fußball zumindest in der Intensität gerade andere Ausmaße an“, sagt
Sebastian Ratzsch, Teamleiter Gesellschaftliche Verantwortung im NFV.
Deswegen hat der Verband zusammen mit dem Landessportbund Niedersachsen
folgendes Konzept erarbeitet: Seit Ende 2020 gibt es beim Niedersächsischen
Fußballverband eine [2][Anlaufstelle für Gewalt- und
Diskriminierungsvorfälle]. 2021 wurden in der NFV-Akademie an zwei
Wochenenden die ersten Konfliktlots*innen ausgebildet. 2022 folgte ein
weiterer Durchlauf. Künftig soll es das in allen Bundesländern geben, wenn
es nach dem Deutschen Fußballbund (DFB) geht.
Bereits seit 2014 muss ein*e Schiedsrichter*in im Spielbericht angeben,
ob es zu einem Gewaltvorfall kam. Falls ja, gibt es auch einen Bericht
dazu. „Der DFB hat einen Leitfaden, was unter Gewalt und Diskriminierung
fällt“, sagt Ratzsch.
## Vereine können selber entscheiden
Sein Kollege Alain Nkem sichtet nach jedem Spieltag die digitalen
Spielberichte und bietet dann den involvierten Vereinen die Hilfe der
Konfliktlots*innen an. Die Vereine entscheiden dann, ob sie das Angebot
annehmen möchten oder nicht. „Die Wirkung wäre nicht sicherzustellen, wenn
es Pflicht wäre“, sagt Ratzsch über die Idee der Freiwilligkeit. Anders ist
es, wenn Sportgerichte die Lots*innen als Auflage einsetzen. Auch das
kommt vor. Seltener bitten Vereine von sich aus um Unterstützung.
Konfliktlotse Frank Dobroschke ist Rentner. „Ich kann alles, was mit
Kommunikation zu tun hat“, sagt er. „Und ich kann mich in Menschen
hineinversetzen.“ Gemeinsam mit einem Kollegen bearbeitet er derzeit einen
Fall, in dem sich zwei Jugendmannschaften nach einem Spiel beleidigt und
angegriffen haben. „Ein Verein kam auf uns zu und wollte, dass wir mit den
Jungs mal sprechen und sie auf dem richtigen Weg begleiten“, sagt
Dobroschke. Wie wollt ihr behandelt werden? Das ist eine der Fragen, die er
den Jugendlichen stellt. Und: Wie kann man auch mal locker auf eine
Beschimpfung reagieren, ruhiger bleiben? „Gerade Jüngere sind leicht
aufbrausend“, sagt er.
Das Rückspiel der Teams ist im Juni. Vorher wollen die Konfliktlotsen mit
beiden Vereinen gemeinsam Regeln für das erneute Aufeinandertreffen
aufstellen. „Wir erarbeiten mit den Spielern einen Verhaltenskodex.“
Spieler sollen auch sensibilisiert werden, füreinander da zu sein. „In
jeder Mannschaft sind auch emotionalere Leute. Da kann ich als Mitspieler
drauf achten.“
In einem anderen Fall – da gab es Schmähgesänge in der Kabine nach Abpfiff
– wird sportgerichtlich ermittelt. Bereits vor der Verhandlung seien die
Vereine auf die Konfliktlotsen zugekommen, erzählt Dobroschke. Seit 35
Jahren ist er Schiedsrichter-Coach und pfeift selbst bis zur Regionalliga.
Die Rolle sei anders, als Schiri entscheide man. Jetzt versuche er
vielmehr, im Vorhinein zu verhindern. „Menschenkenntnis ist in beiden
Rollen wichtig.“
In seiner Zeit als aktiver Spieler sei auch gepöbelt worden, erzählt
Dobroschke. „Aber danach ging man zusammen Bier oder Cola trinken. Wenn es
heute eskaliert, ist es weitaus schlimmer, weil die Leute nicht einfach
vergessen.“ Vielleicht auch wegen der sozialen Medien. „Im Netz geht es oft
weiter“, sagt Konfliktlotse Kai Münchow-Witt, „es tauchen Videos oder Fotos
auf.“
Münchow-Witt ist Mediator und sein Beruf ist auch Konfliktlotse: im Amt für
Migration Hamburg. Er weiß, wie wichtig es ist, beide Seiten
unvoreingenommen zu hören. In seinen vier Jahren Einsatz für den NfV hat er
noch keine Fälle erlebt, in denen ein Verein freiwillig auf ihn zugekommen
ist. „Wir sind immer noch relativ neu. Und einige Vereine haben Angst vor
der Öffentlichkeit, wenn sie sich bei uns melden. Fremde Hilfe könnte als
Führungsschwäche gelten.“
## Fairplay-Schulungen im Jugendbereich
Münchow-Witt arbeitet derzeit an Fällen, in denen seine Begleitung eine
Auflage vom Sportgericht ist. „Wir haben im Jugendbereich
Fairplay-Schulungen durchgeführt, nachdem es ein Urteil zu Gewalt und
Diskriminierung bei einem U16-Spiel gab.“ Die Beleidigungen seien nicht
rassistisch gewesen, hätten sich eher auf Äußerlichkeiten wie Körper oder
Frisur bezogen, oder auf die angeblich fehlenden Skills im Fußball. „Man
weiß nie genau, wie ernst die 20 jungen Kerle das samstags um zehn Uhr
nehmen“, sagt Münchow-Witt. Für die meisten sei die Teilnahme am Workshop
Pflicht. „Aber am Ende habe ich oft das Gefühl, dass es ’was gebracht hat.…
Drei der mittlerweile 21 Konfliktlots*innen beim Niedersächsischen
Fußballverband sind Frauen. Was ist eigentlich mit Frauen- oder
Mädchenteams? Keine Anfragen, sagt Münchow-Witt. „Wir haben sie nicht
vergessen, aber sie brauchen unsere Hilfe gerade anscheinend nicht. Das ist
ja auch nicht verkehrt.“
13 May 2025
## LINKS
[1] /Soziologe-ueber-Gewalt-im-Fussballstadion/!5973657
[2] https://www.nfv.de/gesellschaft-und-soziales/gewaltpraevention-anti-diskrim…
## AUTOREN
Alina Götz
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Fußball
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