# taz.de -- Debatte um Gewalt im Fußball: Mehr so was wie ein Gefühl | |
> Der Sicherheitsgipfel im deutschen Fußball ist Ausweis von gefährlich | |
> autoritären Tendenzen – und von Gleichgültigkeit. | |
Bild: Wie viele Polizisten braucht es, um ein Fußballspiel sicher zu machen? | |
Eigentlich, glaubt BVB-Boss Watzke, gehe es im Fußball recht okay zu: „Ich | |
finde, dass das Fußballerlebnis sehr friedlich ist.“ Auch Bayerns | |
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) findet: „Fußball ist insgesamt in | |
Deutschland kein Gewaltproblem.“ Und die Zahlen der [1][polizeilichen | |
Informationsstelle ZIS] zur Saison 2022/23 zeigen: Die Verletzten sind in | |
den ersten drei Männerligen bei Normalbetrieb seit Jahren ziemlich | |
unverändert. Pyro-Verletzte sind im Vergleich zu 2018/19 gar um satte 40 | |
Prozent zurückgegangen. Warum gleich jetzt noch mehr Repression? Verstanden | |
hat das niemand. | |
Es verhält sich mit Fangewalt wohl ähnlich wie mit Asylanträgen, | |
„Ausländerkriminalität“ oder faulen Arbeitslosen: Es braucht keinen Daten- | |
oder Wirksamkeitsbeleg für eine Maßnahme. Es reicht, dass es irgendwie eine | |
Stimmung gibt, ein populistisch behauptetes Gefühl. Die | |
Innenminister:innen der Länder haben also mit DFB und DFL eine | |
bundesweite Stadionverbotskommission beschlossen. Was diese Entmachtung der | |
Klubs bringen soll, ist unklar, außer: mehr Anonymität, mehr Härte, weniger | |
Einzelfall. Dass Fans nicht eingeladen waren, zeigt, dass es nie um | |
konstruktive Lösungen ging. Es ist ein zweifelhafter Eingriff in die | |
Grundrechte. Denn die eh teils willkürlichen Verbote sollen sofort | |
ausgesprochen werden, sobald ein Ermittlungsverfahren nur eingeleitet ist. | |
Unschuldsvermutung? Rechtsstaat? Wenn’s um Fans geht, nicht so wichtig. | |
Man kann das belächeln als die nächste populistische Scharfmacherei durch | |
Fußball-Ahnungslose. Klüger wäre, die Gefahr als Teil einer autoritären | |
Entwicklung ernst zu nehmen. In der deutschen Gesellschaft, die spätestens | |
seit dem Vormarsch der Rechtsextremen, dem Stellvertreterkrieg mit Russland | |
und dem Nahostkrieg innerlich und äußerlich immer weiter aufrüstet, geht es | |
Rechten wie Ex-Liberalen obsessiv um Sicherheit. | |
Ein autoritäres Verständnis von Sicherheit, die die gefühlten | |
Kontrollverluste wieder rückgängig machen soll, aber sich dabei stets nur | |
selbst radikalisiert. Ein Perpetuum mobile aus mehr Waffen, [2][mehr | |
Grenzkontrollen], mehr Abschiebungen, mehr Repression gegen Proteste und | |
NGOs wie beim Thema Palästina oder Klima. Und das Ziel liegt fast immer | |
links oder unten. Es ist eine Politik, die verlernt hat, „wehrhafte | |
Demokratie“ und Autoritarismus auseinanderzuhalten. Und das ist wirklich | |
gefährlich. | |
## Fehlende politische Unterstützung | |
Vor dem Fußball macht diese Entwicklung nicht Halt. Zur Männer-EM 2024 | |
überboten sich Fußball und Politik mit Eingriffen in die Grundrechte: | |
Demonstrationsverbote am Stadion, Kontrollen an allen Außengrenzen, massive | |
Kameraüberwachung, eine verpflichtende Ticket-App, Live-Tracking von Fans | |
bei einer weiteren Uefa-App, womöglich unter Mitnutzung durch die | |
Landespolizei. Da es keine funktionsfähige linke Opposition mehr gibt, | |
werden Fans kaum noch politisch geschützt. | |
Bezeichnend ist, wie gering der Aufschrei auch nun jenseits der | |
Fußballblase ausfiel. Viele Unbeteiligte stimmen offenbar schweigend zu | |
oder finden das alles nicht so wild. Und auch das ist bedrohlich. Dabei | |
lohnt es, auf Fangewalt differenziert zu schauen. Denn natürlich ist jeder | |
einzelne Verletzte ein Problem. Ein Problem sind auch die alkoholisierten | |
Horden aggressiver Männer im öffentlichen Raum. Aber eben auch die massive | |
unaufgeklärte Polizeigewalt. | |
Dabei ist längst klar, wie sich die Lage wirklich verbessern lässt. Nicht | |
mit noch mehr Schlagstock und Verbotspolitik, sondern [3][durch | |
Fanprojekte], Bildungsarbeit, Awareness-Konzepte und viel mehr. Die gute | |
Nachricht ist, dass es auch Menschen gibt, die daran arbeiten, für die | |
Sicherheit eine Sicherheit aller ist. Beim Sicherheitsgipfel dagegen ging | |
es nie wirklich um Gewalt und ihre Opfer. Mehr so um ein Gefühl. | |
25 Oct 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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