# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Rumänien: Hauptsache, nicht er | |
> Rumänien wählt am Sonntag seinen Präsidenten. Der extrem rechte | |
> Kandidat George Simion hat gute Chancen. Einblicke in ein Land am | |
> Scheideweg. | |
Bild: Eine Demo in Bukarest anlässlich des Europatags am 9.Mai. 70 Prozent Zus… | |
## 1. Auf dem Landmarkt | |
Bukarest und Călugăreni Clotilde Armand lächelt charmant über den Ärger | |
hinweg. „Ich werde Simion wählen“, ruft ein Mann ihr hinterher, ein anderer | |
murmelt Beschimpfungen und wendet sich ab. Für Armand ist der Landmarkt von | |
Călugăreni, knapp eine Autostunde südlich von Rumäniens Hauptstadt | |
Bukarest, kein Heimspiel. Inmitten der Stände mit Gemüse, Hühnerkäfigen und | |
Emailletöpfen bemüht sie sich um Wahlkampf. Es geht um viel: um Rumäniens | |
Zukunft und vielleicht sogar um die Zukunft Europas. | |
Es ist Sonntagfrüh, genau eine Woche vor der zweiten Runde der | |
Präsidentschaftswahl. Die Politikerin Armand wirbt für den proeuropäischen | |
Kandidaten Nicușor Dan. In der ländlich geprägten Region der Großen | |
Walachei ist das nicht einfach. [1][Die Mehrheit unterstützt hier den | |
rechtsextremen George Simion]. Armand zielt auf die Unentschlossenen. „Wir | |
müssen Präsenz zeigen“, sagt sie. | |
Auf dem Markt gibt es alles: gebrauchte Radios, neue Kettensägen, Honig, | |
Kohlrabi, Setzlinge, Bettwäsche, Pferdegeschirr, Kaninchen und weiße Tauben | |
in Drahtkäfigen. Ein Mann mit sonnengegerbtem Gesicht führt ein Blechgerät | |
vor, das Zaunpfähle leichter in den Boden rammt. Über allem wabern | |
Rauchschwaden von Grillständen, auf denen Männer mit dicken Oberarmen | |
Bratwürstchen und Mici umdrehen, die rumänischen Hackfleischröllchen. | |
Armand schiebt sich mit zwei Dutzend Helferinnen und Helfern durch die | |
Reihen zwischen den Ständen. Die meisten kommen wie sie von der | |
neoliberalen Partei USR. Manche tragen weiße Kappen, einige dazu noch | |
Leibchen, auf denen sie für die Präsidentschaft Nicușors werben. Nicușor, | |
das heißt „kleiner Nick“ und viele nennen ihn dieser Tage nur bei diesem | |
Vornamen. Im Vorbeigehen drückt die Truppe jedem, der sich nicht wehrt, | |
einen Faltflyer in die Hand. „Ein Präsident für alle Rumänen“, heißt es | |
darin. „Wir sehen uns am 18. Mai bei der Abstimmung.“ | |
Viele Rumäninnen und Rumänen blicken dem Sonntag mit Sorge entgegen. Das | |
Land ist von politischen Krisen geschüttelt. Im November hatte der | |
rechtsextreme Verschwörungsideologe Călin Georgescu die | |
Präsidentschaftswahl gewonnen. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der | |
Wahlkampffinanzierung und Verdacht auf russische Einflussnahme annullierten | |
die Behörden die Wahl und schlossen Georgescu aus. | |
In der nun wiederholten Wahl holte in der ersten Runde am 4. Mai der | |
rechtsextreme George Simion von der Partei AUR [2][mit 41 Prozent die | |
deutliche Mehrheit der Stimmen]. Er [3][steht zu Georgescu] und kündigte | |
an, ihn im Fall eines Sieges zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Denn die | |
aktuelle Regierungskoalition ist zerbrochen. Einen Tag nach der ersten | |
Wahlrunde erklärte der sozialdemokratische Ministerpräsident Marcel Ciolacu | |
wegen des schlechten Abschneidens des Kandidaten seiner Partei den | |
Rücktritt. | |
Zweitplatzierter wurde statt eines Sozialdemokraten [4][mit 21 Prozent der | |
parteilose Nicușor Dan]. Der Bürgermeister von Bukarest gründete einst die | |
neoliberale USR, die mehr Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung | |
fordert und rechts der Mitte steht. Dan verließ die Partei 2017, nachdem | |
sie sich gegen ein homophobes Referendum stellte, das die Ehe als Beziehung | |
aus Mann und Frau in die Verfassung meißeln wollte. | |
Trotzdem gilt er nun auch für Linke und Progressive als letzte Hoffnung. | |
Dan und Simion treten am 18. Mai in der Stichwahl gegeneinander an. | |
Umfragen sehen Simion vorn. In Rumänien bestimmt der Präsident die Außen- | |
und Sicherheitspolitik. Gewinnt Simion, fürchten viele eine Abkehr vom | |
Westen. Nach Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei droht | |
mit ihm Rumänien zu einem weiteren Land zu werden, das die Unterstützung | |
der Ukraine infrage stellt, mit dem Nato-Bündnis fremdelt und statt einer | |
föderalistischen EU ein nationalistisches [5][„Europa souveräner | |
Vaterländer“] anstrebt. | |
An den Marktständen von Călugăreni scheinen Brüssel, Washington und Moskau | |
weit weg zu sein. „Die Busse fahren nicht“, klagt ein Händler, als Armand | |
an seinen Stand tritt. Außenpolitik spielt auch auf dem Wahlflyer für | |
Nicușor Dan keine Rolle. Sehr wohl aber, dass er seit über 20 Jahren gegen | |
Korruption kämpfe. „Ich wurde in einem Viertel am Rande einer Kleinstadt in | |
eine Familie einfacher Leute hineingeboren“, stellt er sich vor. Von seiner | |
[6][Promotion in Mathematik an der Sorbonne in Paris] liest man nichts. | |
Schon im ersten Anlauf der Präsidentschaftswahl ging es mehr um Frust als | |
um konkrete politische Vorhaben. Die Wahlen galten als Abstrafung der | |
etablierten Regierungsparteien, die pseudosozialdemokratische PSD und die | |
nationalliberale PNL, die für viele eine korrupte Machtelite sind. | |
Simion, ein 38-jähriger ehemaliger Fußballhooligan, der Trump und Milei | |
seine Vorbilder nennt, [7][beleidigt politische Gegner, schimpft über | |
„politisches Parasitentum“ und „Globalisten“, eine antisemitische Chiff… | |
Der 55-jährige Dan mit seinem nüchternen technischen Stil hat es dagegen | |
schwer. | |
Auch Armand wirkt auf dem Markt nicht wie ein Fisch im Wasser. Sie sticht | |
heraus. Die 51-Jährige ist einen halben Kopf größer als die meisten hier, | |
trägt ein rotes Oberteil und Dr.-Martens-Stiefel. In Rumänien ist sie keine | |
Unbekannte: Die französisch-rumänische Unternehmerin zog für die USR 2019 | |
ins Europaparlament, bevor sie 2020 Bürgermeisterin des reichen Bezirks | |
Sektor 1 von Bukarest wurde. | |
Ihre Amtszeit war von Skandälchen geprägt. Alle Seiten erhoben irgendwann | |
Vorwürfe der Wahlmanipulation, [8][ein Gebührenstreit mit dem | |
Abfallunternehmen] führte zu einem Müllchaos. Im Jahr 2024 warf die | |
Staatsanwaltschaft ihr Vorteilsnahme vor, weil sie sich selbst zur Leiterin | |
eines EU-geförderten Antikorruptionsprojekts ernannte und Zulagen | |
kassierte. Armand erklärt, alles sei rechtens gewesen und der ganze Prozess | |
politisch motiviert. Für den rechtsextremen Simion reichte das, um sie in | |
einem TV-Duell mit Dan namentlich zu erwähnen und zu versuchen, ihn damit | |
zu beschädigen. | |
„Clotilde Armand“ flüstert eine Frau auf dem Markt, als sie an ihr | |
vorbeigeht, „Clotilde Armand“, brummt auch ein Mann, der Säcke mit Getreide | |
aus seinem Kofferraum anbietet. Längst nicht alle reagieren missmutig. Ein | |
Verkäufer lädt sie ein, Schafskäse zu probieren, und schält mit einem | |
Messer eine Kante aus einem Käselaib. Ein kurzer Plausch, ein Lächeln, | |
Armand kauft noch einen Salat und zieht weiter. Ein Mann in schwarzem | |
Trainingsanzug bittet sie um ein Selfie. Fast wirkt es, als wäre sie in | |
eigener Sache unterwegs. Dass sie eigens aus der Hauptstadt in die Provinz | |
gereist ist, findet Anerkennung. | |
## 2. Auf dem Boulevard | |
Die soziale Schere zwischen der Millionenmetropole und dem Land ist enorm. | |
In Bukarest locken französische Patisserien mit Tarte au citron und | |
kostenlosem WLAN, während in Călugăreni und anderswo Pferdewagen zum | |
Straßenbild gehören. 32 Prozent der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, | |
ein Viertel hat kein fließendes Wasser im Haus. Am schlechtesten geht es | |
den Roma. | |
Gleichzeitig hat sich Rumänien im Zuge der EU-Mitgliedschaft seit 2007 | |
stark entwickelt, sowohl wirtschaftlich als auch in Sachen bürgerlicher | |
Freiheiten. | |
Am Freitag versammelten sich im Zentrum von Bukarest Zehntausende auf dem | |
Platz nahe der Universität. Sie fürchten um die Errungenschaften der | |
letzten Jahrzehnte. Mit Europa- und rumänischen Fahnen zogen sie zum | |
Regierungsgebäude. Offiziell fand die Demo anlässlich des „Europatags“ | |
statt, doch allen war klar, worum es eigentlich ging. | |
In Umfragen zeigt sich Rumänien mit rund 70 Prozent Zustimmung zur EU als | |
eines der europafreundlichsten Länder. Doch bei der Präsidentschaftswahl | |
spiegelt sich das nicht wider – womöglich auch, weil die | |
sozialdemokratische PSD sich weigert, ihren langjährigen Kritiker Nicușor | |
Dan offiziell zu unterstützen. Einige in der Partei erwägen wohl hinter | |
vorgehaltener Hand eine mögliche Zusammenarbeit mit Simions Partei AUR. | |
Dass die Großdemonstration in Bukarest tatsächlich kein Konsensevent war, | |
zeigte sich vorher schon in den sozialen Medien. „Es gibt nur einen Weg: | |
Europa zerstören, um nicht der Vasall von äußeren Mächten zu sein“, | |
schreibt ein Mann unter der Ankündigung für die Demo. Andere sprechen von | |
Gehirnwäsche durch die Medien und beschimpfen die Veranstalter in | |
antisemitischer Konnotation als „Sorosisten“ oder „Diener giftiger Eliten… | |
Europa sei eine Geißel und alles habe im Jahr 2015 mit der Flüchtlingskrise | |
begonnen. | |
Als die Demo startet, rufen die Leute: „Rumänien wählt, Europa zählt“ und | |
„Bukarest ist nicht Budapest“. Die Sympathien sind klar: „Nicușor, Nicu�… | |
hallt es zwischen den ergrauten Prachtbauten des zentralen Boulevards | |
Nicolae Bălcescu. | |
Ein Mann in Sportschuhen und blauer Funktionsjacke schwenkt eine | |
Nato-Flagge. Was er davon hält, dass Simion meint, Rumänien solle „neutral�… | |
sein? „Er ist ein Extremist“, sagt er. „Ein Misogynist, ein Rassist, ein | |
Faschist.“ Der Mann hört gar nicht mehr auf. Für die Demo sei er extra | |
angereist, erzählt er. | |
Auch ein junges Pärchen ist gekommen. Eine der Frauen trägt grün gefärbte | |
Haare, ihre Partnerin Piercings in Nase und Ohren. „Selbstverständlich ist | |
Nicușor Dan die bessere Alternative“, sagt die Frau mit den Piercings. | |
„Besser als dieser Clown Simion.“ So sei eben die Lage. „Wir sind in | |
Rumänien gerade ein Haufen kopfloser Hühner, die durch die Gegend rennen.“ | |
Als der Protestzug nach etwa einer Stunde das Regierungsgebäude am Piața | |
Victoriei erreicht, werden die Tausenden Demonstrierenden mit Musik | |
begrüßt. „Es war einmal in Rumänien, ein großer Haufen Schurken“, schal… | |
es aus den Lautsprechern einer überdachten Bühne. Beim Refrain singen viele | |
mit: „Lieber tot als Kommunist.“ Das Lied heißt „Imnul golanilor“, Hym… | |
der Strolche. Es ist eine bekannte antikommunistische Komposition. | |
Nach der Demo werden deswegen einige kritische Stimmen laut. Adina | |
Marincea, Wissenschaftlerin am Elie Wiesel National Institute zur | |
Erforschung des Holocausts in Rumänien, erklärte auf Facebook, die Hymne | |
habe auf einer Demo gegen die extreme Rechte nichts zu suchen. Über 30 | |
Jahre lang habe man sich in Rumänien ausschließlich um die Kritik am | |
kommunistischen Regime gekümmert und dabei die Gefahr der extremen Rechten | |
missachtet. Gerade die rechtsextreme AUR und dessen Anführer Simion seien | |
gewalttätige Antikommunisten und träten gegen liberale Werte und einen | |
vermeintlichen „Neomarxismus“ an. | |
Auch die Journalistin und Theaterkuratorin Iulia Popovici kritisierte | |
einige Reden, die antikommunistischen“ Kämpfern gehuldigt hätten. Simion | |
spreche von Volk, Nationalstolz, Gott und der traditionellen Familie – | |
nicht von Mehrwert oder der Vereinigung der Proletarier. „Der Kommunismus | |
ist jetzt nicht die Bedrohung“, schreibt Popovici. Die Gefahr sei, dass | |
Rumänien ab dem 19. Mai einen faschistischen Präsidenten habe. | |
## 3. Vor der Stele | |
Wer Rumäniens besondere Erinnerungskultur verstehen will, die auch als | |
ideologischer Hintergrund der aktuellen Wahl zugrunde liegt, sollte mit | |
Mihai Demetriade sprechen. Der Historiker wartet am Freitagvormittag in | |
einem Wohnviertel im zweiten Bukarester Sektor auf einem vielleicht zehn | |
Meter breiten Grünstreifen, der zwei Fahrbahnen trennt. In einem hellrosa | |
Baumwollhemd steht er vor einer Betonstele und schüttelt den Kopf. | |
Demetriade ist Mitarbeiter der Forschungsdirektion des C.N.S.A.S., des | |
Nationalen Rats für das Studium der Archive der Securitate, das mit der | |
Aufarbeitung der Verbrechen der Geheimpolizei unter dem stalinistischen | |
Diktator [9][Nicolae Ceaușescu] befasst ist. Die Institution ist das | |
rumänische Pendant zur deutschen Stasiunterlagenbehörde. | |
Der Historiker will beweisen, dass sich manche gesellschaftlichen | |
Großkonflikte eben auch auf einer Verkehrsinsel zeigen. Die Umgebung wirkt | |
eigentlich harmlos: historische Architektur, schattige Alleen, eine Oase | |
zwischen den Autokolonnen der breiten Boulevards. | |
Doch der Betonsockel, der Demetriade empört, hat es in sich. Oben prangt | |
darauf eine Bronze des Kopfes von Mircea Vulcănescu, darunter eine | |
Inschrift: „Schriftsteller, Ökonom, Philosoph, der grundlegend über das | |
Sprechen und die spirituelle Identität des Rumänischen nachgedacht hat; | |
hingerichtet in den Kerkern von Aiud.“ | |
„Das Wichtigste fehlt“, sagt Demetriade. Vulcănescu war von 1941 bis 1944 | |
Unterstaatssekretär im Finanzministerium des faschistischen Diktators Ion | |
Antonescu. Dessen Regime war mit den Nazis verbündet und verübte einen | |
eigenen Holocaust an Juden und Roma. Vulcănescu ist ein verurteilter | |
Kriegsverbrecher und war aktiv daran beteiligt, den Judenhass in Gesetze | |
und Verordnungen zu gießen. „Er war ein Nationalist und Antisemit“, sagt | |
Demetriade. | |
Das Denkmal verschweigt diese Fakten. Was man indirekt erfährt, ist die | |
Spaltung der Gesellschaft und den Zustand der Vergangenheitsaufarbeitung – | |
zumindest wenn man Demetriade zuhört. Denn längst [10][gab es | |
zivilgesellschaftliche Initiativen], die Stele von Vulcănescu aus dem Park | |
zu entfernen [11][und eine nach Vulcănescu benannte Straße umzutaufen]. Das | |
[12][forderte etwa das Elie-Wiesel-Institut in Rumänien] bereits im Jahr | |
2014. Doch bis heute geschah nichts. | |
Eigentlich ist es aber noch schlimmer. Denn der Schrein für Vulcănescu ist | |
nicht alt. Die Stadtverwaltung des Bezirks Sektor 2 ließ ihn 2009 errichten | |
– trotz eines Gesetzes von 2002, das die Verherrlichung von Völkermördern | |
und Kriegsverbrechern verbietet. Im selben Jahr wurden auch Büsten zweier | |
weiterer faschistischer Intellektueller aufgestellt. „Aus nationalistischen | |
Motiven“, erklärt Demetriade. | |
Nach dem Krieg fehlte in Rumänien ein echter Entfaschisierungsprozess, sagt | |
der Historiker. „Das führte zur unkritischen Rehabilitierung der Komplizen | |
der Diktatur von Ion Antonescu und der rumänischen Akteure, die am | |
Holocaust beteiligt waren.“ Nach 1990 sei der Nationalismus in Form eines | |
antikommunistischen Nationalismus wieder aufgelebt. | |
„Im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen ist dieses Thema aktueller, | |
als uns lieb ist“, sagt der Historiker. „Das Fehlen einer kritischen | |
Erinnerung und der Mangel an Empathie gegenüber den Opfern des,anderen | |
Totalitarismus', also des faschistischen, in dem Rumänien Akteur und | |
Regisseur und nicht Opfer war, prägen den historischen Moment des Jahres | |
2025.“ George Simion setze die antisemitische Rhetorik und die | |
Verherrlichung von Ion Antonescu und anderen Kriegsverbrechern fort. | |
Aber der Historiker macht auch Nicușor Dan Vorwürfe. Er spricht von einer | |
„strategischen Unklarheit“ des Bürgermeisters in Fragen des Kultes um | |
Kriegsverbrecher in Bukarest, von „Untätigkeit“ und „Schweigen“. | |
Mihai Demetriade hinterfragt auch [13][Dans Rolle bei der geplanten | |
Einrichtung] eines Museums für den Holocaust und die Geschichte der Juden | |
Rumäniens. Das wurde 2019 beschlossen. Bis heute ist es nicht eröffnet. Das | |
Fehlen eines wohlwollenden und proaktiven Engagements von Nicușor Dan nennt | |
Demetriade „besorgniserregend“. | |
Ob er Dan dennoch Simion vorziehen würde? Die Frage erübrigt sich. | |
## 4. Im NGO-Büro | |
Wie schlimm ein Sieg Simions auch innenpolitisch wäre, wissen wohl wenige | |
in Rumänien besser als Vlad Viski. Anfang der Woche sitzt er in seinem Büro | |
in einem unscheinbaren Wohnhaus im Zentrum von Bukarest. Viski, | |
promovierter Politikwissenschaftler, leitet die rumänische | |
LGBTQI-Organisation MosaiQ. Im Erdgeschoss betreibt die NGO ein | |
Begegnungszentrum, mit Studententreffpunkt, kleiner Bibliothek und | |
Kleiderbörse. Überall dekorieren Regenbogenflaggen die Räume, auch die | |
blau-weiß-pinke Transfahne ist dabei und eine Version mit dem Wagenrad der | |
Roma-Community. | |
An den Wänden hängen Plakate einer Kampagne aus dem Jahr 2018: MosaiQ und | |
andere queere Organisationen riefen damals zum Boykott des | |
Verfassungsreferendums auf, das die Homoeehe verbieten wollte. Eben jenes | |
Referendum, für dessen Durchführung sich Nicușor Dan aussprach – genauso | |
wie Clotilde Armand. Viski sieht die Gegenkampagne seiner NGO als Erfolg, | |
denn das Referendum scheiterte am nötigen Quorum. Dennoch ist die | |
gleichgeschlechtliche Partnerschaft bis heute in Rumänien nicht gesetzlich | |
verankert. | |
Auf ein Plakat, das im Treppenhaus hängt, macht Viski besonders aufmerksam. | |
Es ist die erste Ausgabe des Magazins Gay 45. Dessen Redaktion sitzt heute | |
in Wien, gegründet aber wurde es als eine der ersten queeren Publikationen | |
Osteuropas in Rumänien. Die Titelseite der Erstausgabe zeigt das Foto von | |
Bill Clinton (dem „liberalsten amerikanischen Präsidenten“) und als Datum | |
den 1. April 1993 – eine Vorsichtsmaßnahme: Queere Inhalte waren damals | |
noch verboten, die Herausgeber wollten sich die Ausrede offenhalten, dass | |
alles nur Satire sei. | |
Es sind jene Zeiten, die Viski heute wieder fürchtet. Für den Fall, dass | |
Simion die Präsidentschaftswahl gewinnt, kann er ein Horrorszenario | |
abspulen: Simion könnte versuchen, Călin Georgescu als Premierminister | |
vorzuschlagen. Wenn das dreimal scheitert, wäre der Weg frei für | |
vorgezogene Neuwahlen. „Ein Präsident im Amt gewinnt immer an Popularität, | |
was dessen Partei AUR die absolute Mehrheit verschaffen könnte“, so Viski. | |
Die Rechtsextremisten könnten dann alle öffentlichen Institutionen | |
umkrempeln. „Und dann verlieren wir wirklich alles.“ Die Nationalbank, das | |
Nationale Komitee zur Bekämpfung von Diskriminierung, die Behörden zur | |
Kontrolle und Regulation der alten und neuen Medien, sie alle könnten | |
unterwandert werden. „Schon ohne Parlamentsmehrheit kann der neue Präsident | |
einen neuen Richter für das Verfassungsgericht vorschlagen“, sagt Viski. | |
„Für uns wäre all das ein Desaster.“ AUR habe bereits jetzt vorgeschlagen, | |
gegen sogenannte homosexuelle Propaganda vorzugehen. „Sie könnten die Pride | |
Parade verbieten, wie in Ungarn, sie könnten NGOs wie uns dazu zwingen, | |
sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren, wie in der Slowakei“, s… | |
Viski. | |
Er bleibt sachlich dabei, zählt das alles einfach so auf. | |
Und Nicușor Dan? | |
Viski holt etwas aus. Spricht von der Partei PiS in Polen und Orbáns Partei | |
Fidesz in Ungarn. „Diese Regime haben das Zentrum so stark nach rechts | |
verschoben, dass die einzige ernstzunehmende verbliebene Opposition auch | |
nur noch rechte Parteien sind“, sagt er. So sei es auch in Rumänien nach | |
der ersten annullierten Wahlrunde gelaufen. Immerhin: Bei seinem großen | |
öffentlichen Wahlkampfauftritt in der Hauptstadt am Wochenende habe Nicușor | |
Dans Team auch bekannte Aktivisten der Roma-Community auf die Bühne geholt. | |
Er zeigte sich zumindest auch offen dafür, dass es eine Debatte über zivile | |
homosexuelle Partnerschaften geben könnte. Dan komme selbst aus der | |
Zivilgesellschaft. | |
„Nicușor Dan würde den Status quo erhalten“, sagt Viski. „Das ist es, um | |
was es gerade noch geht.“ | |
17 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale04052025/pv/romania/results/ | |
[2] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale04052025/pv/romania/results/ | |
[3] https://www.dw.com/ro/interviu-spotmediaro-george-simion-s-a-schimbat-radic… | |
[4] https://www.reuters.com/world/europe/romanian-hard-right-frontrunner-simion… | |
[5] /Orban-Kickl-Meloni-Fico-und-Le-Pen/!6038301 | |
[6] https://www.ft.com/content/160dd559-1eb1-4d4c-8917-ba775171d5f2 | |
[7] https://www.libertatea.ro/stiri/nicusor-dan-george-simion-comunicare-public… | |
[8] https://romania.europalibera.org/a/patru-razboaie-clotilde-armand-gunoaiele… | |
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolae_Ceau%C8%99escu | |
[10] https://revista22.ro/eseu/alexandru-florian/mircea-vulc259nescu-351i-memor… | |
[11] https://www.rfi.fr/ro/rom%C3%A2nia/20250303-institutul-elie-wiesel-solicit… | |
[12] https://www.rfi.fr/ro/rom%C3%A2nia/20250303-institutul-elie-wiesel-solicit… | |
[13] /Geschichtsaufarbeitung-in-Rumaenien/!5628779 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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