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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Rumänien: Hauptsache, nicht er
> Rumänien wählt am Sonntag seinen Präsidenten. Der extrem rechte
> Kandidat George Simion hat gute Chancen. Einblicke in ein Land am
> Scheideweg.
Bild: Eine Demo in Bukarest anlässlich des Europatags am 9.Mai. 70 Prozent Zus…
## 1. Auf dem Landmarkt
Bukarest und Călugăreni Clotilde Armand lächelt charmant über den Ärger
hinweg. „Ich werde Simion wählen“, ruft ein Mann ihr hinterher, ein anderer
murmelt Beschimpfungen und wendet sich ab. Für Armand ist der Landmarkt von
Călugăreni, knapp eine Autostunde südlich von Rumäniens Hauptstadt
Bukarest, kein Heimspiel. Inmitten der Stände mit Gemüse, Hühnerkäfigen und
Emailletöpfen bemüht sie sich um Wahlkampf. Es geht um viel: um Rumäniens
Zukunft und vielleicht sogar um die Zukunft Europas.
Es ist Sonntagfrüh, genau eine Woche vor der zweiten Runde der
Präsidentschaftswahl. Die Politikerin Armand wirbt für den proeuropäischen
Kandidaten Nicușor Dan. In der ländlich geprägten Region der Großen
Walachei ist das nicht einfach. [1][Die Mehrheit unterstützt hier den
rechtsextremen George Simion]. Armand zielt auf die Unentschlossenen. „Wir
müssen Präsenz zeigen“, sagt sie.
Auf dem Markt gibt es alles: gebrauchte Radios, neue Kettensägen, Honig,
Kohlrabi, Setzlinge, Bettwäsche, Pferdegeschirr, Kaninchen und weiße Tauben
in Drahtkäfigen. Ein Mann mit sonnengegerbtem Gesicht führt ein Blechgerät
vor, das Zaunpfähle leichter in den Boden rammt. Über allem wabern
Rauchschwaden von Grillständen, auf denen Männer mit dicken Oberarmen
Bratwürstchen und Mici umdrehen, die rumänischen Hackfleischröllchen.
Armand schiebt sich mit zwei Dutzend Helferinnen und Helfern durch die
Reihen zwischen den Ständen. Die meisten kommen wie sie von der
neoliberalen Partei USR. Manche tragen weiße Kappen, einige dazu noch
Leibchen, auf denen sie für die Präsidentschaft Nicușors werben. Nicușor,
das heißt „kleiner Nick“ und viele nennen ihn dieser Tage nur bei diesem
Vornamen. Im Vorbeigehen drückt die Truppe jedem, der sich nicht wehrt,
einen Faltflyer in die Hand. „Ein Präsident für alle Rumänen“, heißt es
darin. „Wir sehen uns am 18. Mai bei der Abstimmung.“
Viele Rumäninnen und Rumänen blicken dem Sonntag mit Sorge entgegen. Das
Land ist von politischen Krisen geschüttelt. Im November hatte der
rechtsextreme Verschwörungsideologe Călin Georgescu die
Präsidentschaftswahl gewonnen. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der
Wahlkampffinanzierung und Verdacht auf russische Einflussnahme annullierten
die Behörden die Wahl und schlossen Georgescu aus.
In der nun wiederholten Wahl holte in der ersten Runde am 4. Mai der
rechtsextreme George Simion von der Partei AUR [2][mit 41 Prozent die
deutliche Mehrheit der Stimmen]. Er [3][steht zu Georgescu] und kündigte
an, ihn im Fall eines Sieges zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Denn die
aktuelle Regierungskoalition ist zerbrochen. Einen Tag nach der ersten
Wahlrunde erklärte der sozialdemokratische Ministerpräsident Marcel Ciolacu
wegen des schlechten Abschneidens des Kandidaten seiner Partei den
Rücktritt.
Zweitplatzierter wurde statt eines Sozialdemokraten [4][mit 21 Prozent der
parteilose Nicușor Dan]. Der Bürgermeister von Bukarest gründete einst die
neoliberale USR, die mehr Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung
fordert und rechts der Mitte steht. Dan verließ die Partei 2017, nachdem
sie sich gegen ein homophobes Referendum stellte, das die Ehe als Beziehung
aus Mann und Frau in die Verfassung meißeln wollte.
Trotzdem gilt er nun auch für Linke und Progressive als letzte Hoffnung.
Dan und Simion treten am 18. Mai in der Stichwahl gegeneinander an.
Umfragen sehen Simion vorn. In Rumänien bestimmt der Präsident die Außen-
und Sicherheitspolitik. Gewinnt Simion, fürchten viele eine Abkehr vom
Westen. Nach Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei droht
mit ihm Rumänien zu einem weiteren Land zu werden, das die Unterstützung
der Ukraine infrage stellt, mit dem Nato-Bündnis fremdelt und statt einer
föderalistischen EU ein nationalistisches [5][„Europa souveräner
Vaterländer“] anstrebt.
An den Marktständen von Călugăreni scheinen Brüssel, Washington und Moskau
weit weg zu sein. „Die Busse fahren nicht“, klagt ein Händler, als Armand
an seinen Stand tritt. Außenpolitik spielt auch auf dem Wahlflyer für
Nicușor Dan keine Rolle. Sehr wohl aber, dass er seit über 20 Jahren gegen
Korruption kämpfe. „Ich wurde in einem Viertel am Rande einer Kleinstadt in
eine Familie einfacher Leute hineingeboren“, stellt er sich vor. Von seiner
[6][Promotion in Mathematik an der Sorbonne in Paris] liest man nichts.
Schon im ersten Anlauf der Präsidentschaftswahl ging es mehr um Frust als
um konkrete politische Vorhaben. Die Wahlen galten als Abstrafung der
etablierten Regierungsparteien, die pseudosozialdemokratische PSD und die
nationalliberale PNL, die für viele eine korrupte Machtelite sind.
Simion, ein 38-jähriger ehemaliger Fußballhooligan, der Trump und Milei
seine Vorbilder nennt, [7][beleidigt politische Gegner, schimpft über
„politisches Parasitentum“ und „Globalisten“, eine antisemitische Chiff…
Der 55-jährige Dan mit seinem nüchternen technischen Stil hat es dagegen
schwer.
Auch Armand wirkt auf dem Markt nicht wie ein Fisch im Wasser. Sie sticht
heraus. Die 51-Jährige ist einen halben Kopf größer als die meisten hier,
trägt ein rotes Oberteil und Dr.-Martens-Stiefel. In Rumänien ist sie keine
Unbekannte: Die französisch-rumänische Unternehmerin zog für die USR 2019
ins Europaparlament, bevor sie 2020 Bürgermeisterin des reichen Bezirks
Sektor 1 von Bukarest wurde.
Ihre Amtszeit war von Skandälchen geprägt. Alle Seiten erhoben irgendwann
Vorwürfe der Wahlmanipulation, [8][ein Gebührenstreit mit dem
Abfallunternehmen] führte zu einem Müllchaos. Im Jahr 2024 warf die
Staatsanwaltschaft ihr Vorteilsnahme vor, weil sie sich selbst zur Leiterin
eines EU-geförderten Antikorruptionsprojekts ernannte und Zulagen
kassierte. Armand erklärt, alles sei rechtens gewesen und der ganze Prozess
politisch motiviert. Für den rechtsextremen Simion reichte das, um sie in
einem TV-Duell mit Dan namentlich zu erwähnen und zu versuchen, ihn damit
zu beschädigen.
„Clotilde Armand“ flüstert eine Frau auf dem Markt, als sie an ihr
vorbeigeht, „Clotilde Armand“, brummt auch ein Mann, der Säcke mit Getreide
aus seinem Kofferraum anbietet. Längst nicht alle reagieren missmutig. Ein
Verkäufer lädt sie ein, Schafskäse zu probieren, und schält mit einem
Messer eine Kante aus einem Käselaib. Ein kurzer Plausch, ein Lächeln,
Armand kauft noch einen Salat und zieht weiter. Ein Mann in schwarzem
Trainingsanzug bittet sie um ein Selfie. Fast wirkt es, als wäre sie in
eigener Sache unterwegs. Dass sie eigens aus der Hauptstadt in die Provinz
gereist ist, findet Anerkennung.
## 2. Auf dem Boulevard
Die soziale Schere zwischen der Millionenmetropole und dem Land ist enorm.
In Bukarest locken französische Patisserien mit Tarte au citron und
kostenlosem WLAN, während in Călugăreni und anderswo Pferdewagen zum
Straßenbild gehören. 32 Prozent der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze,
ein Viertel hat kein fließendes Wasser im Haus. Am schlechtesten geht es
den Roma.
Gleichzeitig hat sich Rumänien im Zuge der EU-Mitgliedschaft seit 2007
stark entwickelt, sowohl wirtschaftlich als auch in Sachen bürgerlicher
Freiheiten.
Am Freitag versammelten sich im Zentrum von Bukarest Zehntausende auf dem
Platz nahe der Universität. Sie fürchten um die Errungenschaften der
letzten Jahrzehnte. Mit Europa- und rumänischen Fahnen zogen sie zum
Regierungsgebäude. Offiziell fand die Demo anlässlich des „Europatags“
statt, doch allen war klar, worum es eigentlich ging.
In Umfragen zeigt sich Rumänien mit rund 70 Prozent Zustimmung zur EU als
eines der europafreundlichsten Länder. Doch bei der Präsidentschaftswahl
spiegelt sich das nicht wider – womöglich auch, weil die
sozialdemokratische PSD sich weigert, ihren langjährigen Kritiker Nicușor
Dan offiziell zu unterstützen. Einige in der Partei erwägen wohl hinter
vorgehaltener Hand eine mögliche Zusammenarbeit mit Simions Partei AUR.
Dass die Großdemonstration in Bukarest tatsächlich kein Konsensevent war,
zeigte sich vorher schon in den sozialen Medien. „Es gibt nur einen Weg:
Europa zerstören, um nicht der Vasall von äußeren Mächten zu sein“,
schreibt ein Mann unter der Ankündigung für die Demo. Andere sprechen von
Gehirnwäsche durch die Medien und beschimpfen die Veranstalter in
antisemitischer Konnotation als „Sorosisten“ oder „Diener giftiger Eliten…
Europa sei eine Geißel und alles habe im Jahr 2015 mit der Flüchtlingskrise
begonnen.
Als die Demo startet, rufen die Leute: „Rumänien wählt, Europa zählt“ und
„Bukarest ist nicht Budapest“. Die Sympathien sind klar: „Nicușor, Nicu�…
hallt es zwischen den ergrauten Prachtbauten des zentralen Boulevards
Nicolae Bălcescu.
Ein Mann in Sportschuhen und blauer Funktionsjacke schwenkt eine
Nato-Flagge. Was er davon hält, dass Simion meint, Rumänien solle „neutral�…
sein? „Er ist ein Extremist“, sagt er. „Ein Misogynist, ein Rassist, ein
Faschist.“ Der Mann hört gar nicht mehr auf. Für die Demo sei er extra
angereist, erzählt er.
Auch ein junges Pärchen ist gekommen. Eine der Frauen trägt grün gefärbte
Haare, ihre Partnerin Piercings in Nase und Ohren. „Selbstverständlich ist
Nicușor Dan die bessere Alternative“, sagt die Frau mit den Piercings.
„Besser als dieser Clown Simion.“ So sei eben die Lage. „Wir sind in
Rumänien gerade ein Haufen kopfloser Hühner, die durch die Gegend rennen.“
Als der Protestzug nach etwa einer Stunde das Regierungsgebäude am Piața
Victoriei erreicht, werden die Tausenden Demonstrierenden mit Musik
begrüßt. „Es war einmal in Rumänien, ein großer Haufen Schurken“, schal…
es aus den Lautsprechern einer überdachten Bühne. Beim Refrain singen viele
mit: „Lieber tot als Kommunist.“ Das Lied heißt „Imnul golanilor“, Hym…
der Strolche. Es ist eine bekannte antikommunistische Komposition.
Nach der Demo werden deswegen einige kritische Stimmen laut. Adina
Marincea, Wissenschaftlerin am Elie Wiesel National Institute zur
Erforschung des Holocausts in Rumänien, erklärte auf Facebook, die Hymne
habe auf einer Demo gegen die extreme Rechte nichts zu suchen. Über 30
Jahre lang habe man sich in Rumänien ausschließlich um die Kritik am
kommunistischen Regime gekümmert und dabei die Gefahr der extremen Rechten
missachtet. Gerade die rechtsextreme AUR und dessen Anführer Simion seien
gewalttätige Antikommunisten und träten gegen liberale Werte und einen
vermeintlichen „Neomarxismus“ an.
Auch die Journalistin und Theaterkuratorin Iulia Popovici kritisierte
einige Reden, die antikommunistischen“ Kämpfern gehuldigt hätten. Simion
spreche von Volk, Nationalstolz, Gott und der traditionellen Familie –
nicht von Mehrwert oder der Vereinigung der Proletarier. „Der Kommunismus
ist jetzt nicht die Bedrohung“, schreibt Popovici. Die Gefahr sei, dass
Rumänien ab dem 19. Mai einen faschistischen Präsidenten habe.
## 3. Vor der Stele
Wer Rumäniens besondere Erinnerungskultur verstehen will, die auch als
ideologischer Hintergrund der aktuellen Wahl zugrunde liegt, sollte mit
Mihai Demetriade sprechen. Der Historiker wartet am Freitagvormittag in
einem Wohnviertel im zweiten Bukarester Sektor auf einem vielleicht zehn
Meter breiten Grünstreifen, der zwei Fahrbahnen trennt. In einem hellrosa
Baumwollhemd steht er vor einer Betonstele und schüttelt den Kopf.
Demetriade ist Mitarbeiter der Forschungsdirektion des C.N.S.A.S., des
Nationalen Rats für das Studium der Archive der Securitate, das mit der
Aufarbeitung der Verbrechen der Geheimpolizei unter dem stalinistischen
Diktator [9][Nicolae Ceaușescu] befasst ist. Die Institution ist das
rumänische Pendant zur deutschen Stasiunterlagenbehörde.
Der Historiker will beweisen, dass sich manche gesellschaftlichen
Großkonflikte eben auch auf einer Verkehrsinsel zeigen. Die Umgebung wirkt
eigentlich harmlos: historische Architektur, schattige Alleen, eine Oase
zwischen den Autokolonnen der breiten Boulevards.
Doch der Betonsockel, der Demetriade empört, hat es in sich. Oben prangt
darauf eine Bronze des Kopfes von Mircea Vulcănescu, darunter eine
Inschrift: „Schriftsteller, Ökonom, Philosoph, der grundlegend über das
Sprechen und die spirituelle Identität des Rumänischen nachgedacht hat;
hingerichtet in den Kerkern von Aiud.“
„Das Wichtigste fehlt“, sagt Demetriade. Vulcănescu war von 1941 bis 1944
Unterstaatssekretär im Finanzministerium des faschistischen Diktators Ion
Antonescu. Dessen Regime war mit den Nazis verbündet und verübte einen
eigenen Holocaust an Juden und Roma. Vulcănescu ist ein verurteilter
Kriegsverbrecher und war aktiv daran beteiligt, den Judenhass in Gesetze
und Verordnungen zu gießen. „Er war ein Nationalist und Antisemit“, sagt
Demetriade.
Das Denkmal verschweigt diese Fakten. Was man indirekt erfährt, ist die
Spaltung der Gesellschaft und den Zustand der Vergangenheitsaufarbeitung –
zumindest wenn man Demetriade zuhört. Denn längst [10][gab es
zivilgesellschaftliche Initiativen], die Stele von Vulcănescu aus dem Park
zu entfernen [11][und eine nach Vulcănescu benannte Straße umzutaufen]. Das
[12][forderte etwa das Elie-Wiesel-Institut in Rumänien] bereits im Jahr
2014. Doch bis heute geschah nichts.
Eigentlich ist es aber noch schlimmer. Denn der Schrein für Vulcănescu ist
nicht alt. Die Stadtverwaltung des Bezirks Sektor 2 ließ ihn 2009 errichten
– trotz eines Gesetzes von 2002, das die Verherrlichung von Völkermördern
und Kriegsverbrechern verbietet. Im selben Jahr wurden auch Büsten zweier
weiterer faschistischer Intellektueller aufgestellt. „Aus nationalistischen
Motiven“, erklärt Demetriade.
Nach dem Krieg fehlte in Rumänien ein echter Entfaschisierungsprozess, sagt
der Historiker. „Das führte zur unkritischen Rehabilitierung der Komplizen
der Diktatur von Ion Antonescu und der rumänischen Akteure, die am
Holocaust beteiligt waren.“ Nach 1990 sei der Nationalismus in Form eines
antikommunistischen Nationalismus wieder aufgelebt.
„Im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen ist dieses Thema aktueller,
als uns lieb ist“, sagt der Historiker. „Das Fehlen einer kritischen
Erinnerung und der Mangel an Empathie gegenüber den Opfern des,anderen
Totalitarismus', also des faschistischen, in dem Rumänien Akteur und
Regisseur und nicht Opfer war, prägen den historischen Moment des Jahres
2025.“ George Simion setze die antisemitische Rhetorik und die
Verherrlichung von Ion Antonescu und anderen Kriegsverbrechern fort.
Aber der Historiker macht auch Nicușor Dan Vorwürfe. Er spricht von einer
„strategischen Unklarheit“ des Bürgermeisters in Fragen des Kultes um
Kriegsverbrecher in Bukarest, von „Untätigkeit“ und „Schweigen“.
Mihai Demetriade hinterfragt auch [13][Dans Rolle bei der geplanten
Einrichtung] eines Museums für den Holocaust und die Geschichte der Juden
Rumäniens. Das wurde 2019 beschlossen. Bis heute ist es nicht eröffnet. Das
Fehlen eines wohlwollenden und proaktiven Engagements von Nicușor Dan nennt
Demetriade „besorgniserregend“.
Ob er Dan dennoch Simion vorziehen würde? Die Frage erübrigt sich.
## 4. Im NGO-Büro
Wie schlimm ein Sieg Simions auch innenpolitisch wäre, wissen wohl wenige
in Rumänien besser als Vlad Viski. Anfang der Woche sitzt er in seinem Büro
in einem unscheinbaren Wohnhaus im Zentrum von Bukarest. Viski,
promovierter Politikwissenschaftler, leitet die rumänische
LGBTQI-Organisation MosaiQ. Im Erdgeschoss betreibt die NGO ein
Begegnungszentrum, mit Studententreffpunkt, kleiner Bibliothek und
Kleiderbörse. Überall dekorieren Regenbogenflaggen die Räume, auch die
blau-weiß-pinke Transfahne ist dabei und eine Version mit dem Wagenrad der
Roma-Community.
An den Wänden hängen Plakate einer Kampagne aus dem Jahr 2018: MosaiQ und
andere queere Organisationen riefen damals zum Boykott des
Verfassungsreferendums auf, das die Homoeehe verbieten wollte. Eben jenes
Referendum, für dessen Durchführung sich Nicușor Dan aussprach – genauso
wie Clotilde Armand. Viski sieht die Gegenkampagne seiner NGO als Erfolg,
denn das Referendum scheiterte am nötigen Quorum. Dennoch ist die
gleichgeschlechtliche Partnerschaft bis heute in Rumänien nicht gesetzlich
verankert.
Auf ein Plakat, das im Treppenhaus hängt, macht Viski besonders aufmerksam.
Es ist die erste Ausgabe des Magazins Gay 45. Dessen Redaktion sitzt heute
in Wien, gegründet aber wurde es als eine der ersten queeren Publikationen
Osteuropas in Rumänien. Die Titelseite der Erstausgabe zeigt das Foto von
Bill Clinton (dem „liberalsten amerikanischen Präsidenten“) und als Datum
den 1. April 1993 – eine Vorsichtsmaßnahme: Queere Inhalte waren damals
noch verboten, die Herausgeber wollten sich die Ausrede offenhalten, dass
alles nur Satire sei.
Es sind jene Zeiten, die Viski heute wieder fürchtet. Für den Fall, dass
Simion die Präsidentschaftswahl gewinnt, kann er ein Horrorszenario
abspulen: Simion könnte versuchen, Călin Georgescu als Premierminister
vorzuschlagen. Wenn das dreimal scheitert, wäre der Weg frei für
vorgezogene Neuwahlen. „Ein Präsident im Amt gewinnt immer an Popularität,
was dessen Partei AUR die absolute Mehrheit verschaffen könnte“, so Viski.
Die Rechtsextremisten könnten dann alle öffentlichen Institutionen
umkrempeln. „Und dann verlieren wir wirklich alles.“ Die Nationalbank, das
Nationale Komitee zur Bekämpfung von Diskriminierung, die Behörden zur
Kontrolle und Regulation der alten und neuen Medien, sie alle könnten
unterwandert werden. „Schon ohne Parlamentsmehrheit kann der neue Präsident
einen neuen Richter für das Verfassungsgericht vorschlagen“, sagt Viski.
„Für uns wäre all das ein Desaster.“ AUR habe bereits jetzt vorgeschlagen,
gegen sogenannte homosexuelle Propaganda vorzugehen. „Sie könnten die Pride
Parade verbieten, wie in Ungarn, sie könnten NGOs wie uns dazu zwingen,
sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren, wie in der Slowakei“, s…
Viski.
Er bleibt sachlich dabei, zählt das alles einfach so auf.
Und Nicușor Dan?
Viski holt etwas aus. Spricht von der Partei PiS in Polen und Orbáns Partei
Fidesz in Ungarn. „Diese Regime haben das Zentrum so stark nach rechts
verschoben, dass die einzige ernstzunehmende verbliebene Opposition auch
nur noch rechte Parteien sind“, sagt er. So sei es auch in Rumänien nach
der ersten annullierten Wahlrunde gelaufen. Immerhin: Bei seinem großen
öffentlichen Wahlkampfauftritt in der Hauptstadt am Wochenende habe Nicușor
Dans Team auch bekannte Aktivisten der Roma-Community auf die Bühne geholt.
Er zeigte sich zumindest auch offen dafür, dass es eine Debatte über zivile
homosexuelle Partnerschaften geben könnte. Dan komme selbst aus der
Zivilgesellschaft.
„Nicușor Dan würde den Status quo erhalten“, sagt Viski. „Das ist es, um
was es gerade noch geht.“
17 May 2025
## LINKS
[1] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale04052025/pv/romania/results/
[2] https://prezenta.roaep.ro/prezidentiale04052025/pv/romania/results/
[3] https://www.dw.com/ro/interviu-spotmediaro-george-simion-s-a-schimbat-radic…
[4] https://www.reuters.com/world/europe/romanian-hard-right-frontrunner-simion…
[5] /Orban-Kickl-Meloni-Fico-und-Le-Pen/!6038301
[6] https://www.ft.com/content/160dd559-1eb1-4d4c-8917-ba775171d5f2
[7] https://www.libertatea.ro/stiri/nicusor-dan-george-simion-comunicare-public…
[8] https://romania.europalibera.org/a/patru-razboaie-clotilde-armand-gunoaiele…
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolae_Ceau%C8%99escu
[10] https://revista22.ro/eseu/alexandru-florian/mircea-vulc259nescu-351i-memor…
[11] https://www.rfi.fr/ro/rom%C3%A2nia/20250303-institutul-elie-wiesel-solicit…
[12] https://www.rfi.fr/ro/rom%C3%A2nia/20250303-institutul-elie-wiesel-solicit…
[13] /Geschichtsaufarbeitung-in-Rumaenien/!5628779
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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