# taz.de -- Urteil in Hamburg: Aushungern von Asylsuchenden verboten | |
> Hamburgs Sozialgericht erklärt den Entzug von Asylbewerberleistungen für | |
> rechtswidrig. Im neuen „Dublin-Zentrum“ gibt's nur Bett, Brot und Seife. | |
Bild: Bett, Brot und Seife gibt es im „Dublin-Zentrum“ – und sonst nichts | |
Hamburg taz | So nicht, sagt Hamburgs Sozialgericht zu der Praxis des | |
Hamburger Amtes für Migration, Geflüchteten alle Leistungen zu streichen. | |
In drei Fällen erklärten die Richter die „Aufhebungsbescheide“ für | |
rechtswidrig, in denen Ende März mitgeteilt wurde, dass die Empfänger | |
fortan weder Anspruch auf die Bezahlkarte mit rund 170 Euro im Monat noch | |
auf ein Nahverkehrsticket haben. Das Gericht äußert „ernsthafte Zweifel“ … | |
der Rechtmäßigkeit. | |
Diese Bescheide erhalten jene Menschen, die in das [1][Dublin-Zentrum am | |
Stadtrand] in Hamburg-Rahlstedt verlegt werden. Wie berichtet, sollen sich | |
dort jene Asylbewerber aufhalten, für deren Verfahren nach Auffassung des | |
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ein anderer EU-Staat zuständig | |
ist. Sie bekommen dort nur „Bett, Brot, Seife“, sprich ein Bett in einer | |
Halle, Essen und einmalig 8,85 Euro für Hygieneartikel, für einen Zeitraum | |
von zwei Wochen als „Überbrückungsleistung“ und im Anschluss als sogenann… | |
„Billigkeitsleistung“, ohne Anspruch. Es ist ein Leben unterhalb des | |
Existenzminimums. Geld für Kleidung, eine Busfahrt oder den Handytarif gibt | |
es nicht. Möglich ist dies seit einer Verschärfung von Paragraf 1 Absatz 4 | |
des Asylbewerberleistungsgesetztes (AsylbLG) durch die Ampel-Regierung im | |
Oktober 2024. | |
In der Antwort auf eine [2][Anfrage der Linksfraktion] nennt der Senat | |
erste Zahlen. Demnach wurden bis zum 10. April 32 solcher Bescheide | |
erlassen. Zu dem Zeitpunkt lebten in der früheren Gewerbehalle [3][am | |
Barkoppelweg 13 Männer], fünf waren da bereits in ein anderes EU-Land | |
abgeschoben worden. | |
„Es ist absurd, dass dieser Leistungsausschluss überhaupt durch das | |
Gesetzgebungsverfahren gekommen ist“, sagt Lena Frerichs von der | |
[4][Gesellschaft für Freiheitsrechte] (GFF), die diese Klarstellung des | |
Gerichts gemeinsam mit Anwältin Malena Bayer erwirkt hat. Die Entscheidung | |
stelle klar, dass der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum | |
weder durch Gesetze noch durch Behörden ausgehebelt werden kann. Der Mann, | |
der hier geklagt hatte, ist seit vier Monaten in Deutschland und | |
gesundheitlich eingeschränkt. | |
Die Klägerseite argumentiert, dass solche Bescheide die Betroffenen in | |
ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verletzen und | |
gegen die Verfassung sowie gegen EU-Recht verstoßen. So sei in der | |
[5][Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende von 2013] festgelegt, dass auch | |
Bedarfe für Bekleidung, Fortbewegung oder Teilhabe durch Kommunikation | |
gedeckt werden müssen. Zudem sei in den Bescheiden keine Rechtsgrundlage | |
genannt, was sie formell rechtswidrig mache. | |
Das Hamburger Amt für Migration argumentierte, sein Vorgehen entspreche den | |
Auslegungsempfehlungen des Bundesministeriums für Inneres und Heimat. Für | |
Asylbewerber, die in Dublin-Fällen bereits eine „Überstellungsentscheidung�… | |
erhalten haben, gelte eine neuere EU-Richtlinie aus 2024 mit entsprechenden | |
Einschränkungsmöglichkeiten. | |
Die Kammer 28 des Sozialgerichts Hamburg ordnete nun im Eilverfahren die | |
„aufschiebende Wirkung des Widerspruchs“ gegen einen der Bescheide an und | |
verfasste eine gepfefferte 15-seitige Begründung. Der schlossen sich die | |
zuständigen Kammern in den anderen beiden Fällen vollständig an. Die | |
Klägerseite weise „zutreffend“ darauf hin, dass der Bescheid bereits wegen | |
nicht hinreichender Begründung „formell rechtswidrig“ sein dürfte. Auch | |
habe die Behörde „zu keinem Zeitpunkt“ eine Rechtsgrundlage genannt. | |
„Der Aufhebungsbescheid ist nach summarischer Prüfung aber auch materiell | |
rechtswidrig“, schreiben die Richter. Sprich: Gäbe es später mal ein | |
Hauptsacheverfahren, hätte der Kläger gute Erfolgsaussichten, da er nicht | |
von den Leistungen hätte ausgeschlossen werden dürfen. Denn das Hamburger | |
Migrationsamt hätte in dem Einzelfall prüfen und darlegen müssen, dass dem | |
Betroffenen eine Ausreise binnen besagter 14 Tage möglich ist. | |
## Betroffene können gar nicht freiwillig ausreisen | |
Asylbewerber, so führt das Gericht aus, könnten anders als EU-Bürger gar | |
nicht ohne weiteres freiwillig und selbstständig in den zuständigen | |
Mitgliedsstaat ausreisen. „Ein Rechtsanspruch des Asylbewerbers auf | |
freiwillige Ausreise besteht nicht.“ Und selbst wenn sie dies versuchten, | |
dauere die Besorgung der dafür nötigen Papiere in der Regel länger als zwei | |
Wochen. | |
Und eine Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems könne nur | |
angenommen werden, wenn eine eigenverantwortliche Selbsthilfe „zumutbar und | |
tatsächlich möglich ist“, so die Richter. Ihr Fazit: „Es dürfte daher an | |
der Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 4 AsylbLG gefehlt haben“. | |
Die Linke und die Gesellschaft für Freiheitsrechte sehen sich durch die | |
Beschlüsse bestätigt. „Solange die Überstellung in den zuständigen EU-Sta… | |
noch nicht erfolgt und eine Ausreise nicht tatsächlich möglich ist, besteht | |
weiterhin Anspruch auf Sozialleistungen“, schreibt die GFF. Deshalb hätten | |
zuvor auch schon etliche Gerichte, etwa in Rheinland-Pfalz oder | |
Baden-Württemberg, den Leistungsausschluss aufgehoben. | |
Hamburg dagegen setzt dies weiter um. „Das Dublin-Zentrum gehört sofort | |
abgeschafft. Es erweist sich in jeder Hinsicht als Fehlkonstrukt“, sagt | |
Flüchtlingspolitikerin Carola Ensslen von der Linksfraktion. Auf ihre | |
Anfrage hin räumte der Rot-Grüne Senat ein, dass freiwillige Ausreisen ohne | |
Überstellungstermin derzeit gar nicht durchgeführt werden. Die Betroffenen | |
hätten es also gar nicht in der Hand, den Ausschluss abzuwenden, sagt | |
Ensslen. „Vor diesem Hintergrund ist es zynisch und rechtswidrig, ihnen das | |
Existenzminimum zu verwehren“. | |
Die Frage ist nun, wie Hamburgs Behörden damit umgehen. Das Amt für | |
Migration kann gegen die Beschlüsse Beschwerde einlegen. Die Sprecherin der | |
Innenbehörde, Kim-Katrin Hensmann, sagt, man sei von der Rechtmäßigkeit der | |
neuen Regelung zum Leistungsausschluss bei Dublin-Fällen überzeugt und | |
prüfe gemeinsam mit der Sozialbehörde nun die Gerichtsbeschlüsse. Eine | |
Auflösung des Dublin-Zentrums, wie sie Die Linke fordert, sei jedenfalls | |
„nicht vorgesehen“, so Hensmann. Denn diese Beschlüsse beträfen nicht das | |
Zentrum als solches. | |
Unterdessen will die Seebrücke Hamburg am Samstag vor dem Landesparteitag | |
der SPD gegen die „rechte Asylpolitik des Hamburger Senats“ protestieren. | |
22 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Ausreisezentrum-in-Hamburg/!6074159 | |
[2] https://www.linksfraktion-hamburg.de/sozialgerichtsurteil-zum-dublin-zentru… | |
[3] /Asylrechts-Verschaerfung-in-Hamburg/!6076399 | |
[4] /Nominierte-2017-Gesellschaft-fuer-Freiheitsrechte/!164570/ | |
[5] https://www.asyl.net/recht/gesetzestexte/asylrecht/aufnahmerichtlinie-20133… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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