| # taz.de -- Leistungen für Geflüchtete: Ausreise oder Geld weg | |
| > Das Sozialamt Dessau streicht einer alleinerziehenden Geflüchteten ohne | |
| > Papiere sämtliche Leistungen, um sie zu zwingen auszureisen. Sie klagt | |
| > dagegen. | |
| Bild: Die Bundesregierung will mehr Menschen zur Ausreise zwingen. Auch mit Rep… | |
| Leipzig taz | Sie darf nicht arbeiten, aber das Sozialamt in Dessau | |
| unterstütze sie auch nicht weiter. Die Behörde in Sachsen-Anhalt hat im Mai | |
| einer Geflüchteten mit zwei Kindern die Leistungen gestrichen. Die | |
| 24-Jährige aus dem Sudan wehrt sich nun rechtlich dagegen, unterstützt von | |
| der Menschenrechtsorganisation „European Center for Constitutional and | |
| Human Rights“ (ECCHR). Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt kritisiert den | |
| Leistungsausschluss – und weist darauf hin, dass es nicht der einzige Fall | |
| ist. | |
| Die Alleinerziehende kam im Herbst 2023 mit ihren Kindern nach Deutschland. | |
| Laut ECCHR erlebte sie auf ihrer Flucht aus dem Sudan über Libyen Gewalt | |
| und Folter. Dann erreichte sie Europa, landete in Italien. Dort wurde ihr | |
| internationaler Schutz zuerkannt. Doch sicher war sie nicht. | |
| Dem Wortlaut nach erfuhr sie mehrfach sexualisierte Gewalt. Unter anderem | |
| deshalb floh sie im Herbst 2023 weiter nach Deutschland. Ihr Name ist der | |
| taz bekannt, soll aber in diesem Bericht keine Rolle spielen, um sie vor | |
| Anfeindungen zu schützen. | |
| Die kleine Familie lebt derzeit in einer Unterkunft in Dessau, sie haben | |
| gemeinsam ein Zimmer. Die Kinder gehen zur Schule. Doch einen ruhigen | |
| Alltag? Den haben sie nicht. Im Mai kam der Bescheid vom Sozialamt Dessau: | |
| Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen in Deutschland. Mit Hilfe der | |
| Anwältin Lea Hupke legte die 24-Jährige Widerspruch ein und stellte einen | |
| Eilantrag auf Gewährung von Leistungen. | |
| ## Asylfeindliche Politik | |
| Das Sozialamt stützt sich dabei auf § 1 Abs. 4 Asylbewerberleistungsgesetz | |
| (AsylbLG). Seit 2019 ermöglicht das Gesetz den Ämtern, Leistungen für | |
| Menschen zu streichen, denen ein anderer Dublin-Staat internationalen | |
| Schutz zuerkannt hat. Bei diesen sei die Annahme berechtigt, dass sie | |
| kurzfristig ausreisen können. | |
| Allerdings verweist Anwältin Hupke darauf, dass die Alleinerziehende | |
| aktuell über „gar keine Dokumente“ verfüge, mit denen sie die Grenzen nach | |
| Italien eigenständig überqueren könne. Sie könne Deutschland kurzfristig | |
| gar nicht verlassen. Zudem sei derzeit unklar, ob die Kinder ebenfalls | |
| internationalen Schutz in Italien bekommen haben. | |
| Den Eilantrag der Alleinerziehenden hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau | |
| inzwischen abgelehnt. Sie und Anwältin Hupke haben dagegen Beschwerde | |
| eingelegt. Nun befasst sich der 8. Senat des Landessozialgerichts (LSG) | |
| Sachsen-Anhalt mit dem Fall. Der entscheidet, ob der Beschluss Bestand hat | |
| oder ob das Sozialamt verpflichtet ist, wieder zu zahlen. Um die | |
| Zwischenzeit zu überbrücken, bekomme die Alleinerziehende für zwei Wochen | |
| wieder Leistungen, bestätigt das LSG. | |
| Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt hatte schon im Mai auf den Fall | |
| aufmerksam gemacht. Und nicht nur auf diesen: Weiteren Familien streiche | |
| das Sozialamt ebenfalls die Leistungen. Nachdem sich die Situation im Juni | |
| nicht verbessert hatte, kritisierte Stefanie Mürbe, Sprecherin des | |
| Flüchtlingsrats: Kinder müssten ohne Essen zur Schule, „die asylfeindliche | |
| Debatte und Politik schlägt sich in repressiver Willkür vor Ort nieder“. | |
| Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt halte es für rechtswidrig, dass das | |
| Sozialamt Leistungen streicht. | |
| ## Gerichte hoben Leistungsstopp in anderen Fällen wieder auf | |
| Tatsächlich beschäftigen sich derzeit deutschlandweit vermehrt Gerichte mit | |
| der Frage, inwieweit ein vollständiger Leistungsausschluss rechtskonform | |
| ist. Denn seit einer Gesetzesänderung im letzten Oktober betrifft das | |
| Gesetz noch einen weiteren Kreis: die „Dublin-Fälle“ – also Menschen, f�… | |
| deren Asylantrag ein anderer Dublin-Staat zuständig ist. | |
| Wenn die Personen im Dublin-Verfahren „rechtlich und tatsächlich“ ausreisen | |
| können, haben sie keinen Anspruch auf Leistungen, heißt es im Gesetz. Doch | |
| was „rechtlich und tatsächlich“ bedeutet, ist umstritten. Oft können die | |
| Betroffenen als Angehörige von Drittstaaten nicht einfach so durch Europa | |
| reisen. | |
| Bei mehreren Dutzend Eilverfahren hoben Gerichte den Leistungsausschluss | |
| wieder auf. Eine solche Entscheidung fällte im Juni auch das | |
| Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen und fügte an: Die Vereinbarkeit | |
| mit „Verfassungs- und Europarecht ist zweifelhaft“. Es sei fraglich, ob mit | |
| dem Leistungsausschluss das Existenzminimum noch sichergestellt sei. Eine | |
| vollständige Prüfung durch das Landessozialgericht war im Eilverfahren aber | |
| nicht drin. | |
| Doch aus Sicht des Bundesinnenministeriums ist eine Ausreise möglich, wenn | |
| das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) Hindernisse prüft und | |
| auf den Bescheid schreibt, dass die Ausreise möglich ist. So steht es in | |
| einem Schreiben des Ministeriums vom 7. Februar, das der taz vorliegt. | |
| Lena Frerichs von der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat schon mehrere | |
| Gerichtsprozesse unterstützt, in denen der Leistungsausschluss aufgehoben | |
| wurde. Es sei irritierend, sagt sie, dass Verwaltungen die Praxis weiter | |
| umsetzen, obwohl „wir mehr als 50 sozialgerichtliche Entscheidungen aus | |
| Eilverfahren haben“. | |
| ## Integrationsbeauftragte prüft | |
| In Dessau ist laut Sozialamt derzeit eine vierköpfige Familie mit zwei | |
| Minderjährigen als Dublin-Fall von Leistungsstreichungen betroffen. Auf | |
| taz-Anfrage berichtet das Sozialamt, es habe ab Februar in einzelnen Fällen | |
| geprüft, inwieweit es Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes | |
| einschränken kann. „Im Ergebnis dieser Prüfung besteht für eine Familie | |
| kein Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG“. | |
| Von dem anderen Fall der kompletten Leistungsstreichung für die | |
| alleinerziehende Mutter aus Dessau hat derweil auch Sachsen-Anhalts | |
| Integrationsbeauftragte Susi Möbbeck (SPD) gehört. Die Betroffene habe sich | |
| an Möbbeck gewandt und um Unterstützung gebeten, berichtet das | |
| Sozialministerium auf Anfrage der taz. Möbbeck prüfe derzeit den Fall. | |
| In seiner Antwort an die taz verweist das Sozialministerium auf eine | |
| Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Darin habe es | |
| festgehalten, „dass das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum | |
| ausnahmslos gilt – für alle Menschen, auch für Geflüchtete.“ | |
| 17 Jul 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| David Muschenich | |
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